Die Tourismusbranche ist im Wandel: Viele Urlaubsländer sind von Terror bedroht – eine Chance für abseitige Regionen.

Die Tourismusbranche muss umdenken. Sich verabschieden von beliebten Reisezielen und neue erschließen. An Orten wie Sousse, Hurghada und ­Istanbul trifft der Terror die Reiseindustrie ins Herz. In die Knie zwingen lassen sich aber weder die Branche noch ihre die Urlauber. So setzt zum Beispiel die „MSC Magnifica“ ihre Kreuzfahrten in die Türkei ab, ersetzt die Anläufe in Istanbul und Izmir aber gleichzeitig durch die griechischen Häfen von Athen und Mykonos.

„Es wird Gewinner und Verlierer geben“, sagt Montserrat Sierra, Präsidentin des Corps Touristique, der Vereinigung ausländischer Tourismusorganisationen in Deutschland. Eine Verlagerung der Reiseziele beobachtet auch das Onlinemeinungsportal „Holiday Check“: „Auffallend ist das gestiegene Interesse an den Ländern Bulgarien, Portugal, Spanien und Griechenland. All diese Destinationen verzeichnen ein deutliches zweistelliges Plus im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.“

Im sechsten Jahr in Folge bleiben immer mehr Deutsche im eigenen Land

70 Millionen Urlaubsreisen der Deutschen ermittelte die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) für 2015 – ohne Kurzreisen. Dafür gaben sie laut Prof. Dr. Martin Lohmann mit 69 Milliarden Euro vier Prozent mehr als im Vorjahr aus. „Die Urlaubslust bleibt auch 2016 auf hohem Niveau“, sagt Lohmann. „24 Prozent wollen sogar mehr Reisen machen als im Vorjahr und 28 Prozent dafür mehr Geld ausgeben.“ Dabei bleiben 30 Prozent im eigenen Land. Ob allerdings nach dem Anschlag in Istanbul die Reihenfolge Spanien, Italien, Türkei und Österreich so bleibt wie gehabt, darf bezweifelt werden.

Auch für Prof. Dr. Ulrich Reinhardt vom BAT Freizeit-Forschungsinstitut bleibt Reisen die populärste Form des Glücks: „Jedoch zeigen die Terror­anschläge Auswirkungen auf das Reiseverhalten der Deutschen. Was zählt, ist in erster Linie die Sicherheit – selbst wenn diese nur gefühlt ist. Die Bundesbürger wollen die schönsten Wochen des Jahres unbeschwert und sorgenfrei verbringen.“ Zu bedenken gibt Reinhardt, dass es nirgendwo auf der Welt absolute Sicherheit gibt, dass es Anschläge auch in London, Paris oder Madrid gab. „Für die Reisesaison 2016 erwarte ich insgesamt eine leicht abnehmende Reiseintensität, einen ­Anstieg der innerdeutschen Reiseziele, beim Städtetourismus eine zunehmende Popularität von mittelgroßen Städten und einen weiteren Boom des Kreuzfahrtsektors.“

„Bulgarien entwickelt sich sehr positiv als Alternative zu Tunesien“

Eine starke Nachfrage sieht Pressesprecherin Isabella Partasides von der Thomas Cook AG mit ihren Veranstaltermarken für Spanien, im Winter vor allem den Kanaren, im Sommer auch die Balearen. „Auch Bulgarien entwickelt sich sehr positiv als Alternative zu Tunesien für Gäste, die auf ihr Budget achten müssen“, sagt Partasides. „Wie sich die Buchungen für die Türkei, bei unseren Gästen generell eines der beliebtesten Urlaubsländer, entwickeln werden, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Für Kunden, die jetzt ihren Sommerurlaub buchen möchten und etwas verunsichert sind, bieten wir die ‚Flex-Option‘. Damit können sie bis zu zehn Tage vor Antritt ihre geplante Reise umbuchen.“

Profitieren von der Sehnsucht nach Sicherheit werden Skandinavien und Österreich, in geringerem Maße auch die Schweiz trotz des teuren Franken. Noch mehr Urlauber als zuvor werden in Deutschland bleiben. Bereits im sechsten Jahr in Folge boomt der Deutschlandtourismus. Rund 435 Millionen Übernachtungen konnte laut Claudia Gilles, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Tourismusverbands, 2015 verzeichnet werden – ein Plus von 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Was die Fernziele anbelangt, wird Kuba nach Meinung der Experten einen großen Sprung machen. Die Antilleninsel noch einmal erleben, bevor die Amerikaner daraus „ihre Insel“ machen, ist die Antriebsfeder. Außerdem zählt Kuba noch immer zu den günstigsten Inseln der Karibik.

Es wurde weltweit noch nie so viel gereist wie im vergangenen Jahr: Rund 1,2 Milliarden Ankünfte hat die Welttourismusorganisation UNWTO gezählt. Die Reiselust der Deutschen ist ebenfalls gewachsen. Trotz Terror und Krisen gab es im vergangenen Jahr 1,2 Milliarden Auslandsreisen. Die Zahl der internationalen Reiseankünfte wuchs im Vergleich zum Vorjahr um 4,4 Prozent. Die Deutschen sind die weltweit drittgrößte Reisezielgruppe.