Eine ganz alte Tradition – mit einem zwei Meter großen Schneemann und Kanurennen auf dem Sankt-Lorenz-Strom.

Eric Fraser hat keine Angst vor den ­Elementen. „Dann wäre ich beim Kanufahren auf dem Eis falsch“, sagt der drahtige Mann, der in Québec ­City lebt und dessen größte Leidenschaft gleichzeitig einer der Höhepunkte des Winterkarnevals in der kanadischen Stadt ist: das Ice Race auf dem mehr oder ­weniger zuge­frorenen Sankt-Lorenz-Strom. In der Stadt ist der Fluss fast einen Kilo­meter breit. Selbst bei den deutlichen Minusgraden, die die Québecois ­alljährlich von Dezember bis März haben, ist der Strom nur selten komplett zugefroren. „Dazu ist er zu viel in Bewegung“, sagt Eric Fraser. Zudem müssen Eisbrecher durch den Fluss fahren, um ihn für den Schiffsverkehr bis zu den Großen Seen offen zu halten.

Der Karneval ist Nordamerikas größte Winterveranstaltung

Durch die Bewegung werfen sich ­Eisschollen auf, die mehrere Meter hoch werden können. „Es kann jedoch alle paar Sekunden anders aussehen.“ Und genau das ist die Herausforderung für die Sportler, die sich aufs Eis be­geben. „Man muss rudern, rennen und den besten Weg finden“, erläutert Fraser. Reine Männerteams, reine Frauenteams und gemischte Mannschaften nehmen an dem Rennen teil, das von Québec ­City nach Lévis an das andere Ufer des Flusses führt.

„Der Wettbewerb ist eigentlich aus einem Jux entstanden“, sagt Fraser. Früher waren die Kajaks die einzige Möglichkeit, von einer Seite auf die ­andere zu kommen. „Und irgendwann sind die Familien, die diese Fahrten ­an­boten, gegeneinander gefahren. Dabei wollte natürlich jeder der Schnellere sein.“ Seit dem Beginn des Carnaval de Québec, der als größte Winterveran­staltung in ganz Nordamerika gilt, gehört das Rennen dazu.

Fraser nimmt es sehr ernst. Das ­ganze Jahr über trainiert er alle mög­lichen Sportarten. Wenn dann der September kommt, rudern er und sein Team an ­Ergometern und heben fleißig Gewichte. „Und wir üben das, was wir Scootering nennen, sobald der erste Schnee da ist.“ Dabei ist ein Bein im Boot und eines auf dem Schnee. Man stößt sich gleichmäßig ab und kommt so vorwärts. Während des Wettbewerbs sind die Bedingungen selten optimal – aber der Nervenkitzel ist immer da. „Sich mit den Elementen zu messen, ist schon toll – auch wenn du weißt, dass du gegen die Natur immer den Kürzeren ziehen wirst.“Während die Kanuten so konzentriert sind, dass sie erst nach dem Rennen merken, wie kalt ihnen eigentlich ist, geht das bei den Tausenden Zuschauern entlang des Ufers schneller. Die Kälte kriecht langsam auch in die wärmste Kleidung hinein.

Dann helfen mehrere Dinge – ein strammer Marsch durch die hügelige Stadt, die zum Unesco-Welterbe gehört. Oder das, was sie hier als Geheimwaffe servieren: Caribou. Brandy, Wodka, Sherry und Portwein – natürlich hat ­jeder Anbieter und jede Kneipe ein eigenes Rezept für das flüssige „Rentier“. Doch egal, wie das Verhältnis der ­verschiedenen Alkohole ist, der Drink heizt ein. Vor allem in Verbindung mit einem Aufenthalt in einer der Kneipen entlang der Rue du Petit-Champlain, des Herzens der Altstadt.

Dort passiert es dann manchmal, dass ein Besucher glaubt, er habe nun den einen oder anderen Caribou zu viel verdrückt: Ein gut zwei Meter großer Schneemann marschiert und tanzt durch die engen Gassen der Stadt. Um ihn herum: eine Traube von Menschen, die den „Bonhomme Carnaval“ mit ­seiner roten Zipfelmütze und der bunten Schärpe um den stattlichen Bauch anfassen will und sich mit ihm fotografieren läss. Wo genau der Bonhomme auftaucht, weiß man nicht genau. Auch nicht, wie viele der Maskottchen durch die Stadt tanzen. Was man aber weiß: wo der große Schneemann wohnt, der seit dem Start 1955 zum Winterkarneval gehört. Direkt gegenüber vom Parlamentsgebäude. Dort wird ihm jedes Jahr aus funkelnden Blöcken ein riesiger Eispalast gebaut.

Sicher ist der Bonhomme immer ­dabei, wenn es Preise zu verleihen gibt: zum Beispiel für die Gewinner der Skulpturenwettbewerbe, die in den Plaines d’Abraham ausgetragen werden. Einst ein Schlachtfeld, ist das fast 100 Hektar große Areal heute ein riesiger Park mitten in der Stadt. Und einer der Hotspots beim Winterkarneval. Hier kann man Eishockey spielen und langlaufen, mit einem Gum­mireifen verschneite Hügel hinunterfahren – und den Künstlern zuschauen, wie sie aus überdimensionalen Schneeblöcken filigrane Skulpturen zaubern.

Doch für die beliebteste aller Aktivitäten braucht niemand weit zu wandern: Die „Cabane à sucre“ steht gleich am Eingang des Parks und ist kaum zu übersehen – vor allem wegen der vielen Menschen, die mit kleinen Holzstöckchen an der Schneebar stehen. Zwei kanadische Dollar zahlt man am Fenster der kleinen Zuckerhütte für den Stab, wie man ihn vom Eis am Stiel kennt. Mit einer Suppenkelle gießt Marie dann Ahornsirup auf den Schnee, der bei den frostigen Temperaturen leicht anfriert. „Man muss den richtigen Zeitpunkt abwarten und die Masse dann auf den Stab rollen, wie bei einem Lutscher“, erklärt sie.Das geht bei 20 Grad minus recht schnell – und schmeckt deutlich besser, als wenn man beim Kanurennen aus Versehen ins blanke Eis beißt.