Auf den Färöer Inseln gibt es mehr wollige Tiere als Einwohner und viel Natur – und eine Menge Wasser drumherum.

Den gewohnten Blick auf die Wetter-App sollte man sich vor einem Besuch der Färöer Inseln verkneifen – er würde einem nur die Laune verhageln. Tatsächlich sind die Tage nämlich meistens ganz anders als vorhergesagt. „Man hat hier alle Jahreszeiten an einem Tag“, sagt Per Hansen, autorisierter Touristenführer auf den Inseln, die im Nordatlantik zwischen Norwegen und Island liegen. Wenn es morgens so undurchsichtig ist, dass man fast meint, den Nebel trinken zu können, kann in einer halben Stunde oder ein paar Kilometer weiter schon wieder die Sonne scheinen. Und wenig später gibt es einen Regenguss. Per Hansen kennt das. Der 54-Jährige hat sein ganzes Leben auf den Inseln verbracht. „Warum das Paradies verlassen?“, sagt er.

18 Inseln umfassen die Färöer, auf denen etwa 49.000 Menschen leben. Um die 18.000 Färinger, wie die Insulaner heißen, leben in der Hauptstadt Tórshavn auf der größten Insel Streymoy. Die Wege zu den anderen Inseln sind recht lang. Wer beispielsweise die südlichste Insel Sudoroy besuchen möchte, auf den wartet eine zweistündige Fährfahrt.

Schafe und die grasgedeckten Häuser
sind typische Motive der Inseln
Schafe und die grasgedeckten Häuser sind typische Motive der Inseln © picture-alliance

Nach der Ankunft passieren wir bei der abendlichen Fahrt ins Hotel Føroyar das große Fußballstadion in Tórshavn, das in helles Flutlicht getaucht ist. Fußball wird hier auf den Inseln ganz großgeschrieben, jeder kleine Ort hat seinen Trainingsplatz, und im großen Stadion haben 4800 Zuschauer Platz, fast ein Zehntel der Gesamtbevölkerung. „Färöer liegt auf Platz 74 der Fifa-Weltrangliste“, sagt Per Hansen stolz. Auch die deutsche Nationalmannschaft hat hier schon gespielt. Und gewonnen. Aber so sehr viel Erfahrung hat die Färinger Nationalmannschaft noch nicht. Erst seit 1999 spiele man internationale Turniere, sagt Per Hansen.

Die ersten Straßen auf Färöer wurden vor weniger als 100 Jahren gebaut

Wer heute über die 1400 Quadratkilometer großen Inseln fährt, die im neunten Jahrhundert von Wikingern besiedelt wurden, kann sich kaum vorstellen, dass die gesamte Infrastruktur noch sehr neu ist. „Die ersten Straßen auf Färöer wurden vor weniger als 100 Jahren gebaut“, sagt Per Hansen. Bis dahin habe es nur Pfade gegeben – markiert durch kleine aufgehäufte Stein-Pyramiden, die den Weg auch im Nebel wiesen. Inzwischen gibt es überall hervorragend ausgebaute asphaltierte Straßen zwischen den Orten, dazu 18 Tunnel, die teilweise unter dem Meer oder unter den Bergen durchführen. „85 Prozent der Inselbewohner können sich mit dem Auto besuchen“, sagt Per Hansen, die anderen brauchen ein Boot oder müssen Fähren nutzen.

Steile Berge, manchmal mit tiefen Klüften gespalten, umgeben viele Dörfer, andernorts sind die Kuppen sanft gerundet. Die traditionellen schwarzen Häuser mit Grasdach schmiegen sich so an die Hänge, dass sie oftmals fast versteckt wirken. „Das Gras isoliert und macht das Trommeln des Regens leiser“, erklärt Per Hansen. Alles überragend ist der Eindruck, wie grün die Färöer sind. Die Grasnarbe ist überall dünn, aber ausreichend, um etwa 70.000 Schafe zu ernähren, die das ganze Jahr über im Freien leben. Schafsinseln heißen die Färöer wortwörtlich, aber man muss schon genau hingucken, um überhaupt Tiere zu erspähen in den weitläufigen Bergen. Lämmer und Schafe sind eine feste Größe im Speiseplan der Insulaner. „Etwa 5000 im Jahr werden geschlachtet“, sagt Hansen, doch das reiche nicht. Deshalb werde sehr viel Lammfleisch aus Neuseeland importiert. Einmal um die halbe Welt, sagt der Insulaner kopfschüttelnd, und das sei trotzdem immer noch billiger.

Die Färinger, die bei jeder Gelegenheit auf ihre Eigenständigkeit pochen und eine eigene Sprache sprechen, sind seit 1948 weitgehend autonom innerhalb des Königreichs Dänemark, aber nicht Mitglied in der Europäischen Union. Sie haben mit dem Løgting eines der ältesten Parlamente der Welt (33 Abgeordnete), bekommen aber jedes Jahr millionenschwere Zuschüsse vom Festland.

Ana und Óli Rubeksen empfangen in
ihrem Haus Gäste zum „heimadlídni“
Ana und Óli Rubeksen empfangen in ihrem Haus Gäste zum „heimadlídni“ © Elisabeth Jessen

Die meisten Waren müssen importiert werden. Denn außer Kartoffeln, Rhabarber und mit Glück noch Karotten gedeiht nur Gras. Die Vegetationsphase ist zu kurz, um viel zu ernten – der Holunder beispielsweise blüht erst Ende August. An eine Ernte der Beeren ist da nicht zu denken.

Ana Rubeksen ist deshalb besonders erfinderisch darin, jene Lebensmittel aufzutischen, die sie selbst produziert. Gemeinsam mit ihrem Mann Óli bewirtet sie seit ein paar Jahren regelmäßig Gäste in ihrem Privathaus – gegen Voranmeldung. Die beiden haben eine Schafherde mit 150 Mutterschafen, beide arbeiten aber auch noch in ihren Berufen: sie als Krankenschwester, er als Pädagoge. Gekocht habe Ana schon immer gern, und diese privaten Essen, genannt „heimadlídni“, gäben ihnen die Möglichkeit, ihre eigenen Produkte zu nutzen, sagt Óli. Und die Gäste brächten ja auch etwas mit – interessante Themen und Gespräche. „Wir können ja nie jemanden außerhalb besuchen“, sagt Ana lächelnd. Die gesamte Familie mit Eltern, Geschwistern, Kindern und Enkelkindern lebe in der Nachbarschaft auf den Färöer.

In einem färingischen Haus zieht man die Schuhe aus, wenn man es betritt, aber Óli ist da nicht so streng. Dagegen sorgt er dafür, dass ein anderer Brauch strikt eingehalten wird: Jeder erwachsene Gast bekommt einen Willkommensschnaps. Der „Lívsibs vatn“, ein Aquavit, wird auf Island gebrannt – mit Färinger Wasser, das mit dem Schiff dorthin verfrachtet wird, denn eine eigene Lizenz hätten die Färöer nicht, sagt Óli. Der Hausherr füllt das Glas, reicht es dem ersten Gast, der trinkt davon, so viel er mag – man muss es nicht ganz leeren – und reicht es dem Gastgeber zurück. Der füllt es wieder auf und gibt es an den nächsten Gast, bis alle dran waren. Anfangs guckt man vielleicht noch zimperlich, aber der Alkohol wirkt schließlich desinfizierend. Also runter damit.Und dann tischt Ana auf: Fischsuppe mit Lachs und Kabeljau, Lammleber mit gebratenen Zwiebeln, Kohlrabi und Rauchkäse. Danach wird es speziell: Ana kredenzt uns halbfermentierten Kabeljau mit Bratkartoffeln, darüber gießt sie vorsichtig fermentiertes Schaffett. Der Geschmack kurz beschrieben: deutlich mehr Hammel als Lamm. „Das gehört zum Geschmack der Färöer“, sagt Óli. Über Geschmack wollen wir an dem Abend nicht streiten. Ihr Haus jedenfalls, Óli nennt es ein modernes Bauernhaus, wäre in einer Architekturzeitschrift bestens aufgehoben.

Etliche Kreuzfahrtschiffe laufen die Inseln wegen der Wal-Tötungen nicht an

Die Kirche von Saksun liegt an einem
Fjord
Die Kirche von Saksun liegt an einem Fjord © Elisabeth Jessen

Als vierten Gang servieren uns die beiden eine butterzarte Lammkeule. Etwa acht Stunden war sie im Ofen – eingewickelt in Rhabarberblätter und köstlich gewürzt. Unweigerlich kommt das Gespräch auf eine Tradition, die dem Ansehen der Inseln international schwer schadet – die massenhafte Tötung der Wale. „Ich bin kein Barbar“, sagt Óli. „Der Wal lebt bei uns im Meer. Zu Tausenden, nicht allein. Walfleisch gehörte immer zum Überleben der Färinger. Natürlich könnten wir heute in den Supermarkt gehen und Fleisch aus Australien und Neuseeland kaufen, aber Walfleisch gehört einfach zur färingischen Küche.“ Man könne heutzutage auch Papaya und Reis kaufen, aber das gehöre eben nicht zum täglichen Essen. Und dann fügt er hinzu: „Wenn wir Wale schlachten, ist es öffentlich, wenn Ihr Tiere schlachtet, gehen die Türen zu.“ Das massenhafte Töten hinter den Schlachthaustoren sei doch nicht besser. Die Inselbewohner würden sich seit jeher nehmen, was die Natur ihnen gibt, sagt unser Gastgeber – Fische, Schafe und eben auch Wale. So argumentieren viele auf den Inseln.

Etliche Kreuzfahrtunternehmen haben sich wegen der Waltötungen entschieden, die Färöer nicht mehr anzusteuern. Immerhin 50.000 Kreuzfahrtbesucher kamen bislang zusätzlich zu den 50.000 Urlaubern pro Jahr. Doch die Insel profitiere wenig von ihnen, meint Óli: „Sie geben hier kaum etwas aus.“ Ob man von ihnen abhängig sei? Er glaube nicht, sagt er.

Herr im eigenen Haus zu sein, ist den Färingern enorm wichtig, das klingt immer wieder durch. Dazu passt, dass die Inseln versuchen, in Energiefragen unabhängiger von den Öllieferungen vom Festland zu werden. „Derzeit werden 25 bis 30 Prozent der Energie mit Wind erzeugt, 30 Prozent mit Wasser und nur noch 40 Prozent mit Öl“, sagt Per Hansen stolz. In spätestens 15 Jahren solle die Energie zu 100 Prozent regenerativ erzeugt werden.

Die Elemente Wind und Wasser kann jeder Färöer-Besucher ganz direkt erleben, wenn er sich hinaus aufs Wasser begibt. Kapitän Jakob Andreas fährt mit seiner „Silja Star“ mehrmals täglich zu den Vogelfelsen von Vestmanna auf der Insel Streymoy, einer der größten Touristenattraktionen auf den Färöer. Auf den Inseln leben 260 Vogelarten, darunter der wunderhübsche Papageitaucher. Der Kapitän steuert vorbei an bis zu 300 Meter hohen steilen Felsen, aber die meisten Vögel sind schon weg. Idealerweise kommt man zur Brutzeit, aber auch jetzt sind die Klippen schön anzusehen.

Mit dem viereinhalb Meter breiten Boot gleitet der Kapitän in eine Höhle, links und rechts bleibt jeweils noch etwa ein Meter. Über uns türmen sich Stalagtiten, es tropft von der Decke. Beindruckend und ziemlich frisch.

Die Durchschnittstemperatur beträgt übrigens auch im Hochsommer nur 12 Grad – bei gut vier Stunden Sonnenschein pro Tag. Im Winter sinkt die Temperatur dafür kaum unter Null. Eine warme Jacke und ein Regencape sollte man jedenfalls immer im Gepäck haben. Nur ganz Mutige gehen im Nordatlantik baden. „Das Meer hat hier das ganze Jahr über nur fünf bis acht Grad“, sagt Touristenguide Per Hansen. Aber Gradzahlen sowie Sonnen- oder Regenstunden sind ohnehin eher etwas für die Statistik. Als Hamburger weiß man: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung.