Der Himmel über Südtirol lässt sich am besten im Planetarium bestauen. In der Gemeinde Karneid sind in fast jedem Haus Teleskope. .Deshalb wird auch vom ersten „Sternendorf“ Europas gesprochen.

Auf den Gipfeln von Latemar-Kette, Schwarzhorn und Weißhorn liegt goldenes Licht. Es ist die Stunde vor Sonnenuntergang. Dann funkeln die ersten Sterne auf. Die Besucher lassen die Köpfe in den Nacken sinken. In der Acht-Meter-Kuppel über ihnen erscheint der Nachthimmel über Gummer: heute, zur Zeit von Christi Geburt und vor 5000 Jahren, als der Jungsteinzeitmensch Ötzi durch die Alpen wanderte. „Ein Planetarium ist eine Zeitmaschine“, erklärt David Gruber. Der 30-jährige Astrophysiker moderiert die visuelle Reise durchs Universum. „Je größer das Teleskop, desto weiter schauen wir in die Vergangenheit.“

Im Sommer 2013 wurde das Planetarium als Außenstelle des Südtiroler Archäologiemuseums in Bozen eröffnet, das als Heimat und letzte Ruhestätte der Gletschermumie „Ötzi“ zu internationalem Ruhm gelangte. Mit asymmetrischen Panoramafenstern ist das Planetarium auch optisch ein ausgefallener Bau. Auf dem Dorfplatz von Gummer ruht es wie auf einem Tablett, angerichtet zwischen den Zacken des Latemars auf der einen und den Kuppeln von Sternwarte und Sonnenobservatorium in Obergummer auf der anderen Seite. Das Planetarium ist der Stolz der Region, die sich durch die Errungenschaft nicht nur für die Urlauber, sondern auch für ihre Bewohner aufgewertet sieht.

Jährlich gucken rund 6.000 Menschen durchs Teleskop in den Nachthimmel

Gummer gehört zu den raren Orten, die beides besitzen: den simulierten Sternenhimmel im Planetarium und die nach dem Bozener Astronomen benannte Volkssternwarte Max Valier – die einzige in Südtirol –, die in Obergummer den Blick auf reale Himmelsobjekte öffnet, flankiert vom Sonnenobservatorium gleich daneben. Gerade ist Rudi Holzer, der Präsident des Vereins Amateuer-Astronomen Max Valier, damit beschäftigt, die Linse aus dem Spiegelteleskop des Sonnenobservatoriums auszubauen. Denn auf der Weide nebenan hebt ein Bagger Erde für eine Wasserleitung aus, und die empfindlichen Linsen könnten durch die Erschütterungen Schaden nehmen. Esel und Ponys grasen, Fohlen staksen über die Wiese. Die beiden weißen Kuppeln wirken in dieser Idylle ein wenig, als wären sie tatsächlich selbst vom Himmel gefallen.

2002 wurde die einzige Volkssternwarte Südtirols errichtet, mittlerweile betrachten jedes Jahr rund 6000 Menschen durch das Spiegelteleskop mit acht Metern Brennweite den Nachthimmel. „Da kann man schon viele Lichtjahre hinausschauen“, erklärt Rudi Holzer, der als begeisterter Sternegucker zu Hause in Bozen drei Teleskope für den Hausgebrauch hat. Hier oben ist die Aussicht ins All dennoch eine andere. „Wenn der Saturn mit Ring und Monden sichtbar ist oder ein Doppelstern, haben wir aus der acht Meter großen Kuppel einfach einen fantastischen Blick“, schwärmt er. Schon als Schüler beobachtete er aus der heimischen Dachluke den Sternenhimmel – ein ganzes Berufsleben als Handelskaufmann überdauerte die Leidenschaft, für die er jetzt im Ruhestand endlich Zeit hat.

Obwohl das Winterhalbjahr als beste Zeit zum Sterneschauen gilt, ist der Andrang an der Sternwarte im Sommer besonders groß – weil dann Hochsaison ist, aber auch wegen der Sternschnuppenschauer im Juli und August. Um diese Kometenrückstände zu sehen, braucht es keine künstliche Linse. Die Besucher liegen auf den Wiesen neben der Sternwarte und schicken ihre Wünsche in den Nachthimmel.

Für die Gemeinde Karneid, zu der außer Gummer und Steinegg auch Kardaun und Blumau gehören, ist die Mondsucht längst zum Wirtschaftsfaktor geworden. Mit Deutschnofen und Welschnofen hat sie sich zum ersten europäischen Sternendorf zusammengeschlossen, einem EU-Projekt, das vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung unterstützt wird.

Sternwarte und Sonnenobservatorium folgte die Entwicklung eines Planetenrundwegs, der Wanderer in drei Stunden von der Sternwarte durch Wiesen und Wald führt, vorbei an Stationen, die im Maßstab eins zu einer Milliarde den Entfernungen der Planeten im Sonnensystem entsprechen. Im Dorf schmücken Sonnenuhren die Vorgärten, Hotels besitzen Teleskope und haben für die Gäste Bibliotheken zum Thema eingerichtet; sogar Restaurants bieten am Freitag jeder Vollmondwoche von Astronomie inspirierte Menüs an und nehmen so ebenfalls am Sternen-Boom teil. Mit dem Planetarium ist nun ein Coup gelungen, der beweist, dass man sich in Südtirol selten damit begnügt, nur das Bestehende zu erhalten.

Die Gegend auf dem Hochplateau ist kaum von künstlichem Licht belastet

Dass Steinegg heute Heimat von 1360 umtriebigen Menschen ist, verdankt sich vor allem der Straße, die seit 1968 in 15 engen Kehren von Blumau im Tal bis zum 823 Meter hoch gelegenen Steinegg führt. „Als die Straße fertig war, waren wir nicht mehr abgeschnitten. Das Dorf wuchs wieder, statt kleiner zu werden“, sagt Franz Mahlknecht. Der Mittsiebziger hat 23 Jahre lang das Steinegger Heimatmuseum geleitet und springt nun gelegentlich als Führer durch das Labyrinth der fast 7000 Exponate ein. Für die Besucher wird die Tour durchs Museum, das in einem Felsen unter der Kirche des Dorfs versenkt ist, unter seiner Führung dann zur Zeitreise, in eine Ära, die viel weiter zurückzuliegen scheint, als dies tatsächlich der Fall ist: als der Himmel über Südtirol nachts ausschließlich von Mondlicht und Sternen erhellt wurde und Kinder Fackeln trugen, um an finsteren Wintermorgen den Weg zur Dorfschule zu finden.

„Früher hatte hier jede Familie ein Dutzend Kinder“, erzählt Mahlknecht, der selbst mit zwölf Geschwistern aufwuchs. Die Einrichtung der Bauernküche im Museum mit Kochstelle, Speisekasten und Brotschneider deckt sich mit seinen Kindheitserinnerungen: „Drei bis vier Kinder teilten sich einen Teller.“ Genauso wie den Bottich, der zweimal im Jahr mit Badewasser gefüllt wurde. Im Sommer war für die Schule keine Zeit: Die Kinder wurden zur Arbeit auf umliegende Höfe oder auf die Alm geschickt. Seither hat sich das Leben in Südtirol, das heute als wohlhabendste Region Italiens gilt, stark gewandelt. Außer der Schönheit der Bergpanoramen ist in Steinegg nur eines geblieben, wie es in Franz Mahlknechts Kindheit war: Noch immer wird hier vor allem im Sommer Geld verdient. Die meisten Hotels schließen Anfang November und öffnen erst Karneval oder Ostern wieder; Wintersportler reisen in die höher gelegenen Orte Obereggen und Carezza.

Unter fünf möglichen Standorten konnte der Verein der Amateur-Astronomen für die Sternwarte wählen. Neben der Lage auf dem Hochplateau in einer von künstlichem Licht wenig belasteten Gegend war es die perfekte Symmetrie der Koordinaten, die den Ausschlag für die Wahl des Plateaus in Obergummer gab: 11 Grad, 27 Minuten und 46 Sekunden östliche Länge und 46 Grad, 27 Minuten und 11 Sekunden nördliche Breite. Das konnte kein Zufall sein – eher eine Fügung der Sterne.