Der Naturpark Flusslandschaft Peenetal ist für Natur-Liebhaber bis heute ein Geheimtipp. Bei Paddeltouren sieht man seltene Tiere – und wenig Anzeichen von Zivilisation.

Manchmal hat das Biber-Fieber kein Happy End. Heute aber läuft es gut auf der abendlichen Kanusafari durch das Peenetal, eine urwüchsige Flusslandschaft im nördlichen Mecklenburg-Vorpommern. An den Wellen erkennt Carsten Enke den Nager schon aus weiter Entfernung. Nun sollen sich die drei Kanus vorsichtig heranpirschen. Das Paddel gleitet daher so leise wie möglich durch das Wasser. Und auf einmal sitzt er dort gut sichtbar im Schilf: ein Biber, der sich am Ufer eifrig putzt. „Der Kamerad macht sich schön für uns“, flüstert einer der Mitpaddelnden. Dann schwimmt der Biber los, hält das Köpfchen über Wasser und legt eine Kür hin, die in mucksmäuschenstiller Aufregung beobachtet wird. Ein bisschen streng riecht er schon. „Biber-Muff“, grinst Carsten, der Tour-Führer von „Abenteuer Flusslandschaft“. Irgendwann hat das Tier genug und taucht unter Wasser ab, und die Gruppe paddelt zurück zum Solarboot, das im weichen Licht der untergehenden Sonne zum Ausgangspunkt nach Anklam zurückschnurrt.

Dabei ziehen Kraniche vorüber. Ein Reh steht am Ufer im Gebüsch und glaubt, dass es nicht gesehen wird. Zahlreiche Fisch-, Vogel- und Säugetierarten haben sich im Naturpark Flusslandschaft Peenetal angesiedelt – vom Fischotter über den Eisvogel bis eben hin zu den Bibern, die ihre Dämme und Burgen errichten. Hier sind sie schließlich ziemlich ungestört: Für die Schifffahrt hat die Peene mit der Zeit immer weiter an Bedeutung verloren. Und von Touristen wird die Landschaft auch nicht gerade überlaufen. „Wir sind bis heute ein Geheimtipp“, sagt Carsten, der den sanften Naturtourismus mag.

Warum das Peenetal als „Amazonas des Ostens“ bezeichnet wird, ist bald klar

Nach der abendlichen Peenesafari geht es auch am nächsten Tag wieder ins Kanu – diesmal direkt am Kanuverleih in Anklam, gegenüber einem Schrottplatz, bei dem sich die rostigen Altmetallberge auftürmen. Doch es dauert nicht lange, und die Anzeichen von Zivilisation verschwinden weitestgehend aus dem Blickfeld. Breit ist die Peene, windet sich, zunächst mit viel Schilf am Ufer. Ganz gemächlich fließt sie dahin durch die wohl größte Niedermoorlandschaft Mitteleuropas. Das Paddeln ist dabei kein Problem. Bei einem Gefälle von knapp über 20 Zentimetern zwischen Ursprung am Kummerower See und der Mündung ist kaum eine Strömung spürbar. Manchmal liegt die Wasseroberfläche sogar so glatt, dass sie zum Spiegel für die wilde Uferböschung wird.

Warum das Peenetal gern griffig als „Amazonas des Ostens“ bezeichnet wird, ist bald klar. Die Ufer sind größtenteils urwüchsig naturbelassen. Größere Eingriffe gab es kaum. Zahlreiche Landschaftsabschnitte des Moors, die zu DDR-Zeiten noch landwirtschaftlich genutzt wurden, werden seit einigen Jahren renaturiert. Und wenn irgendwann der Auenwald in Sichtweite kommt, könnte man tatsächlich denken, man sei im Urwald. Denn mit einem Gewirr aus Schnarren und Rufen ändert sich die Geräuschkulisse. Exotische Tiere sind es aber natürlich nicht, sondern „nur“ Stare. Zwischendurch ein Kuckuck. Und immer wieder auch andere Vögel.

Ab und zu zieht ein Hausboot vorbei

Touristen hingegen sieht man kaum. Ab und zu treibt mit einem Hauch komfortabler Huck-Finn-Romantik ein Hausboot vorbei. Ein paar Paddler grüßen vom gegenüberliegenden Ufer. Kilometerweit kann man paddeln, bis der nächste kleine Ort oder die nächste Anlegestelle auftaucht. Mal etwas größer wie in Stolpe, wo man unter anderem im Fährkrug für eine bodenständige Meck-Pomm-Mahlzeit einkehren kann. Oder noch kleiner und gemütlicher wie in Menzlin. Vor rund 1200 Jahren sind die Wikinger bis hierhin vorgedrungen und siedelten einige Zeit in friedlicher Koexistenz mit den Slawen in direkter Nachbarschaft. Heute kann man an der Anlegestelle bei Rainer eine Rast einlegen, der immerhin so aussieht wie einer ihrer späten Nachfahren: eine viereckig kräftige Erscheinung mit Vollbart und passender Haarmatte. Manchmal verkleidet er sich als Wikinger und führt Touristen zu den Gräbern, die ganz in der Nähe entdeckt wurden. „Wahrscheinlich wurden darin nur Frauen bestattet“, erklärt der 58-Jährige, der als Hobby-Archäologe schon Münzen, Keramik und „auf Eingebung von Gott Odin“ bei einem spontanen Tauchgang eine Fibel gefunden hat. „Als Beigaben waren nur Schmuck und Kämme in den Urnen, aber keine Waffen.“ Die gefundenen Urnen aus den freigelegten 33 Wikinger-Gräbern, von denen es rund 850 geben soll, stehen in Museen verstreut. Lediglich die mit Steinen ausgelegten Umrisse der Gräber in Bootsform sind in Menzlin in der Nähe des Peene-Ufers zu sehen.

Das Naturschutzgebiet ist eines der vogelreichsten Gebiete Europas

Einen Uferweg entlang der Peene gibt es (noch) nicht. Dennoch lassen sich die Erkundungen auch an Land fortsetzen. Steffen Pässler radelt gut gelaunt voran. Er ist Ranger im 2011 gegründeten Naturpark, der mehrere Naturschutzgebiete miteinander verbindet und sich über eine Fläche von knapp 34.000 Hektar durch das Peenetal zieht. „Hier gibt es eines der vogelreichsten Gebiete Europas“, erklärt er, kurz nachdem ein Seeadler auf der Jagd unzählige Enten und Graugänse aufgescheucht hat. „Auch geschützte Vogelarten wie die Rohrdommel, das Tüpfelsumpfhuhn oder der Große Brachvogel brüten hier.“ Im gemütlichen Tempo steuert Pässler das Anklamer Stadtbruch an – ebenfalls eines dieser Gebiete, die renaturiert werden. Der Weg dorthin führt über den Schotter einer ehemaligen Bahntrasse, bei der die Gleise entfernt wurden. Es ist etwas mühselig, über die aufgeschütteten Steine zu radeln, doch das Ziel entschädigt dafür allemal.

Hier entsteht in den nächsten Jahren eine Moorlandschaft

„Seit einer Sturmflut stehen die Bäume im Wasser und sterben langsam ab“, erklärt Pässler. „Nach und nach entsteht hier in den nächsten Jahren eine Moorlandschaft.“ Das Anklamer Stadtbruch wirkt nun wie ein Landstrich, der aus dunklen Gothic-Fantasien oder aus einem Film des Fantasten Tim Burton stammen könnte. Gleichermaßen eindrucksvoll und gespenstisch ragen abgestorbene, graue Baumstämme aus dem hellgrün bemoosten Grund. Verstärkt wird dieser herrlich morbide Anblick noch von den Scharen an Kormoranen, die wie schwarze Schatten darauf hocken, ihre Nester bauen und lauthals herumkrächzen. Nicht weit von dieser Szenerie kann man vom Ufer des Peenestroms die Reste der 1945 gesprengten Hubbrücke Karnin sehen. Einst war sie Teil der Bahnstrecke, die Berlin mit Swinemünde auf der Insel Usedom verband. Letztere liegt dort ganz nah, in Sichtweite auf der anderen Uferseite, und ist mit ihren vollen Stränden doch denkbar weit entfernt von dieser touristisch noch ziemlich unentdeckten Welt.