Auf den Spuren von Rilke und Hemingway kann man durch das spanische Dorf Ronda bummeln. Noch sind dort Einheimische, Kenner und Genießer fast unter sich.

Pedro Romero ist der Name eines Restaurants genau gegenüber der Stierkampfarena, der ältesten in Spanien. Pedro Romero ist aber auch ein Name, den in ganz Andalusien jedes Kind kennt. Er steht für eine Ikone in Ronda, alle Romeros waren lokale Helden in diesem Ort. Ob Gegner des blutigen Schauspiels oder Aficionados, also glühende Anhänger, niemand in Ronda kommt an den Toreros vorbei, an den Romeros nicht und an all den anderen auch nicht, derer in einem ganz besonderen Museum gedacht wird.

Natürlich beginnt die Geschichte Rondas wie die fast aller Orte in Andalusien mit den Iberern, den Phöniziern, den Römern. Und allein die maurische Epoche, die über 700 Jahre dauerte, füllt Bücher und Legenden. Aber für die älteren Rondeños, vor allem für die Männer, fängt die relevante Zeitrechnung mit Francisco Romero an, dem Großvater des viel zitierten Pedro. Vor mehr als 250 Jahren war er es, der den Stierkampf „modernisierte“, der die Muleta einführte, das berühmte rote Tuch, und auch die Cuadrilla, die Mannschaft zu Fuß und zu Pferd. Seither, so behaupten die Fans, sei Stierkampf eine Kunst, eine Philosophie...

Pedro Romero, sein Enkel, von Goya gemalt, Gründer der ersten Torero-Schule in Sevilla und bis heute in Ronda vergöttert, mag der größte Matador aller Zeiten gewesen sein. Vor seinem Denkmal lässt sich trefflich streiten, ob die Corrida ein ritterliches Ritual oder ein Abschlachten des Stiers ist, das nicht mehr in unsere Zeit passt. Oder man lässt sich im Museum neben der ehrwürdigen Arena aus dem Jahre 1785 einfach nur von den farbenprächtigen Kostümen, Plakaten, Degen und Muletas ablenken, ohne gleich die spanische Welt verändern zu wollen.

Für Stierkampfgegner gibt es ohnehin genügend Alternativen im größten und bekanntesten Ort an der Ruta de los Pueblos Blancos, der Straße der Weißen Dörfer, im Hinterland von Málaga. Ronda, heute eine Kleinstadt, macht schon allein durch seine Lage sprachlos. Einfach mal auf die Veranda des Paradors, der staatlichen Herberge, setzen und in eine Schlucht hineinschauen, deren Felswände unmittelbar vor dem Hotel 100 Meter in die Tiefe fallen. Zu beiden Seiten kleben Häuser und Gärten so dicht am Abgrund, dass sensiblen Besuchern schwindlig werden kann. Als eine „unvergleichliche Erscheinung der auf zwei Felsmassen aufgehäufelten Stadt“, so hat Rainer Maria Rilke, der deutsche Dichter aus Prag, dieses andalusische Wunder empfunden.

Vor etwas über 100 Jahren hat er hier eine monatelange Rast eingelegt auf seiner Spanienreise, im Hotel Reina Victoria, das bis heute das Zimmer seines poetischen Gastes wie ein kleines Museum hütet. Jeder darf es anschauen, vermietet aber wird der Raum schon lange nicht mehr. Der Garten des gerade wieder mal renovierten Grandhotels, eher ein verwunschen wirkender Park mit Palmen, Jacaranda und anderer immergrüner Vegetation, verströmt die „Luft von wundervoller Klarheit und Frische“, von der Rilke seinerzeit geschwärmt hat.

Von Romeros Arena oder aus Rilkes Refugium in die Altstadt aufbrechen, schlendern, bummeln, sich verlieren im Labyrinth der engen Gassen, über die tatsächlich hier und da die Wäscheleinen gespannt sind. Plötzlich wieder an die Puente Nuevo gelangen, an die Neue Brücke, die den wohl spektakulärsten Blick in den Tajo, wie die die Schlucht heißt, bietet. Von der einen Seite, dem alten Handelsplatz, Mercadillo genannt, zur Altstadt flanieren, über ein Dutzend ganz unterschiedlicher Plätze, so stille wie die Plaza de Carmen Abela, so lebhafte wie die Plaza de España. Vorbei an den Relikten aus der islamischen Zeit, an arabischen Bädern und einstigen Moscheen.

Begegnungen: In einem wunderbaren Tante-Emma-Laden, El Pensamiento an der Carretera Espinel, der Hauptstraße im „neuen“ Viertel, führt Besitzer Claudio Instrumente vor, die es nur in dieser Gegend gibt, eine Trommel zum Beispiel, Zambomba, die vor allem zur Weihnachtszeit Prozessionen anführt. Ein paar Schritte weiter hängt in einer Jamonería der Himmel voller Schinken. Der Chef verteilt Kostproben und verrät wortreich, warum vom Eber nur die Vorderbeine, von der Sau nur die Hinterbeine verwendet werden sollten – und dass man doch unbedingt zum Fest der Blutwurst noch einmal wiederkommen solle.

Noch mehr Varianten: in einem Hinterhof einen Erdbeerbaum entdecken und sich von einem der alten Männer, die dort ihre Siesta verschwatzen, erklären lassen, warum die Früchte dieses Gewächses manche Vögel betrunken machen. Pause machen in der Cafeteria Chocolat, zufällig entdeckt, die einem Heidelberger gehört, der seiner großen Liebe nach Andalusien gefolgt ist. Oder über schmale Wege ins Tal hinabsteigen und auf Flavio und Francisco stoßen, zwei smarte Architekten, die in der Nachbarschaft wieder Wein anbauen, wie es vor Jahrhunderten schon einmal üblich war.

Im Refektorium eines ehemaligen Klosters sind ihre Kellerei und eine Vinothek, wo der herbe Rote probiert werden kann, untergebracht. Dort oder draußen im zauberhaften Garten lässt sich gut süffeln und der Geschichte nachsinnen, die an dieser Stelle gleich nach dem Sieg von Isabella und Ferdinand über die Mauren begann. Sie, die sogenannten katholischen Könige, schenkten das Land frommen Ordensleuten, die darauf 1505 das Kloster der Dreifaltigkeit bauten. Nach ihnen, den „Alten Barfüßern“, heißt die romantische Bodega heute Descalzos Viejos.

Hemingway hätte da unten seine Freude gehabt, mit Blick auf die hochgebaute Stadt. Er hat Ronda „einen wunderbaren Ort“ genannt, die Arena gern besucht, die Bars, die Plätze und die Menschen im Weißen Dorf geliebt. Noch sind die Aficionados spanischer Lebensart, wie er einer war, unter sich, genießen die Ruhe und die Kontakte mit den Einheimischen. Noch ist es auch gar kein Problem, zur Blauen Stunde im Garten des Reina Victoria einen Platz zu bekommen, mit Blick in die Schlucht.

Eine gute Zeit, um Ausflüge in die Umgebung zu planen, morgen zum Beispiel in die Sierra de las Nieves, die Schneeberge, übermorgen zur Pileta-Höhle, die Felszeichnungen birgt, älter als die von Altamira, irgendwann vielleicht sogar eine Tour mit dem Esel in die Serrania wagen, quer durch grüne Umgebung. Oder, ganz naheliegend, den Sonnenuntergang auf der Terrasse des Paradors zelebrieren, vielleicht mit einem Sherry aus dem nahen Jerez de la Frontera, und natürlich wiederum mit grandioser Aussicht. Nicht ausgeschlossen, an diesem Ort, zu dieser Stunde, auch Markus zu treffen, den Heidelberger, der sein Herz in Ronda verloren hat.