Raus aus den Resorts! In der Dominikanischen Republik gibt es mehr als schöne Strände: blaue Höhlen, falsche Amphitheater und echtes Lächeln.

Die schönsten und größten blauen Augen der Welt hat kein Mensch, sondern eine Insel. An der Südküste der Dominikanischen Republik sind sie versteckt, und man muss schon ein bisschen hinabsteigen, um sie sehen zu dürfen. Doch dann wird man angestrahlt, als hätte jemand Uran mit blauer Farbe gemischt. Im Nationalpark Los Tres Ojos (drei Augen) besteht also eine metaphorische Verstrahlungsgefahr, ansonsten können sich die Besucher relativ sicher fühlen. "Nein, heute stürzt nichts ein", sagt Carlos, der Reiseführer. "Vielleicht morgen." Tektonische Einbrüche haben in grauer Vorzeit ein System von unterirdischen Höhlen geöffnet, an dessen Grunde sich drei Seen befanden, die nun in der Sonne funkeln. Die Süßwasserlagunen inmitten von Stachelbäumen und Lilianen sind immer 25 Grad warm; früher führten natürlich keine Stufen hinab. "Da kamen die Leute wie Tarzan und Jane hier zum Schwimmen", glaubt Carlos.

Seltsam an der Bezeichnung Tres Ojos ist, dass es eigentlich vier Seen sind, die man besichtigen kann. Auf den letzten verzichten viele Besucher, leider, denn schon die Fahrt mit dem Floß durch eine dunkle Grotte bringt die Fantasie in Schwung. Klettert man dann ein paar Meter weiter, eröffnet sich plötzlich eine fremde Welt. Diese Oase möchte man mit seinen Flipflops eigentlich gar nicht betreten, so rein wirkt sie. Steven Spielberg drehte hier Szenen von "Jurassic Park", was auch den wenig vertrauenswürdigen Floß-Namen "Titanic" erklärt.

Filmreif ist vieles in der Dominikanischen Republik. Teile der Hauptstadt Santo Domingo sehen aus wie Havanna, die Gegend um den Río de Chavón erinnert an Vietnam. Das Land hat bereits in zahlreichen Filmen Statist gespielt wie in "Fluch der Karibik", "Der Pate, "Miami Vice", Der gute Hirte", "Rambo" oder auch "Apocalypse Now". Francis Ford Coppola drehte unterhalb von Altos de Chavón, einem zauberhaften Künstlerdorf, das so auch in der Toskana stehen könnte. Es gibt eine gut besuchte katholische Kirche, Galerien, Boutiquen, Museen, Cafés, einen erstklassigen Italiener und sogar ein Amphitheater, in dem schon Frank Sinatra sang. "Früher war alles so schön", sagt eine Amerikanerin, die sich mit entrücktem Blick auf einer Stufe niedergelassen hat. Es tut fast weh, ihr sagen zu müssen, dass Altos de Chavón viel jünger ist, als es aussieht. Es wurde in den 70er-Jahren gebaut, aber eben im Stil des 16. Jahrhunderts. Der damalige Paramount-Pictures-Chef Charles Bluhdorn und der italienische Designer Roberto Copa hatten sich dieses überdimensionale Filmset ausgedacht. "Eine Fälschung?", fragt die Amerikanerin. Nein, ein Beweis dafür, dass Kunst und Künstlichkeit sich manchmal wunderbar vertragen. Das Dorf liegt auf dem Gelände der Casa de Campo, einer riesigen Ferienanlage mit Golfplätzen, Poloturnieren sowie allen anderen Freizeitaktivitäten, zu denen man Poloshirts tragen kann. Der eigene Hafen ist mit so vielen Lampions dekoriert, dass man fälschlicherweise annimmt, eine große Feier stünde bevor. Doch in diesem Teil der Karibik haben einfach alle Tage den gleichen Dresscode: festlich.

"Wir feiern gerne, weil wir so gerne tanzen", sagt Altagracia Olmos, Kulturtourismus-Direktorin. "Unser Lächeln ist authentisch, nicht aufgesetzt. Wir Dominikaner sind wirklich glücklich, und unsere Insel ist gesegnet mit vielen Sehenswürdigkeiten." Aber warum liegen die Touristen dann meistens nur am Strand, wenn es doch so viel zu erkunden gäbe? Oft wird dem Land in der Umgangssprache ja nicht mal der volle Name gegönnt. "Wir fliegen in die DomRep." Hieß übersetzt bislang: eine Woche all-inclusive, morgens Strand, mittags Büfett, nachmittags Strand, abends Büfett usw.

Señora Olmos weiß um dieses Image, das ihrer Ansicht nach die Republik nicht annähernd widerspiegelt. "Wir haben es bislang leider versäumt, Besuchern unsere Kultur und Traditionen näherzubringen", sagt Olmos, und ihr Lächeln verschwindet für eine Nanosekunde, um sogleich mit großem Optimismus wieder zurückzukehren. "Das wird sich jetzt ändern!"

Den besten Eindruck von der Kultur des Landes und der Sonnenschein-Mentalität seiner Bewohner bekommt man in der Hauptstadt Santo Domingo. Fast die Hälfte aller Dominikaner leben in der Drei-Millionen-Metropole, und natürlich spürt man abseits der gepflegten Ferienresorts von Punta Cana oder Puerto Plata, dass die karibische Welt eigentlich eine arme ist. Doch reich an Leben und Freude! Es lohnt sich, die Hotel-Komfortzone zu verlassen, zumal man sich beim Spazieren durch die Stadt überall sicher fühlt, sogar nachts. Die koloniale Altstadt wird teilweise noch von Mauern umgeben, und sobald man sie betritt, startet der Geschichtsunterricht. Sie erste Lektion findet auf der Plaza España statt am Alcázar de Colón, der Burg des Kolumbus. Er entdeckte die Insel 1492 und nannte sie Hispaniola, die Spanische. Im Alcázar de Colón wohnte allerdings nicht der große Seefahrer, sondern sein Sohn Diego, der von 1512 bis 1525 als Vizekönig die Kolonie führte. Der Alcázar sieht aus wie eine Festung, die eigentlich keine sein möchte, beziehungsweise wie ein Stadtpalast, der ein wenig zu robust geriet. Auf jeden Fall stellt er das schönste Privathaus in der Altstadt dar, was seiner damaligen Bedeutung entspricht. Santo Domingo war früher der wichtigste Hafen der spanischen Krone, ein Nadelöhr für alle Abenteurer, die es in die Neue Welt zog, und in der Burg des Kolumbus wird einem schnell klar, wie (gut) es sich damals leben ließ als kleiner König der Karibik.

Vom Alcázar de Colón aus spaziert man über die Calle Las Damas wie früher Diegos Frau María Toledo mit ihren Damen bis zum Parque Colón. Dort trifft man wieder auf Vater Kolumbus, dieses Mal als riesige Statue, die sich in der Mitte des Platzes als Fotomodell und Tauben-Landeplatz präsentiert. Hinter der Kolumbus-Statue befindet sich die erste Kathedrale in der Neuen Welt: Santa Maria la Menor. Das strenge gotische Gewölbe passt auf den ersten Blick nicht zur lebenslustigen Umgebung auf der Plaza de Colón mit ihren Cafés, Schuhputzern und Zigarren-Verkäufern, aber in den vergangenen 500 Jahren scheinen sich alte und neue Welt aneinander gewöhnt zu haben. Eine eventuelle Hochnäsigkeit wurde der Basilika ohnehin früh ausgetrieben, als sie der Pirat Frances Drake 1586 als Lager und Pferdestall missbrauchte. Santa María la Menor fehlt zudem seit einem Erdbeben im Jahr 1763 ein vernünftiger Glockenturm, dafür wurden hier 1877 die mutmaßlichen Überreste von Kolumbus gefunden. Die Dominikaner wollten ihrem Helden zum 500. Jubiläum seiner Amerika-Entdeckung etwas Gutes tun und betteten den Leichnam 1992 in ein Mausoleum um, das in Kreuzform vor den Toren der Stadt errichtet wurde. Der Faro a Colón würde sich auf einer Rangliste der seltsamsten Denkmäler der Welt ganz weit oben platzieren und ist schon deshalb dringend zu besuchen. Von außen wirkt das riesige Gebilde wie ein verlassener Plattenbau, drinnen gibt es lange dunkle Gänge, in denen sich verschiedene Nationen präsentieren, und in der Mitte liegt der arme Kolumbus. Man wünscht dem "ersten Dominikaner" von Herzen, dass seine Überreste doch in Sevilla liegen, das schließlich ebenfalls ein Grab des Seefahrers zu besitzen behauptet. Die wortwörtlich größte Sehenswürdigkeit der Südküste punktet jedoch in der Nacht: Lichtstrahler können ein Kreuz in den Himmel projizieren, der Papst kam vor Begeisterung gleich dreimal zu Besuch. Da das 240 Meter lange und 40 Meter hohe Gebäude sehr kostspielig ist, werden die Lichter heute nur an Feiertagen angeknipst.

Die Dominikaner benötigen zum Feiern ohnehin keine Lightshows, es reicht ein Radio - oder eine Autowaschanlage. Niemand erinnert sich mehr, welcher Besitzer zuerst die Idee hatte, die Wartezeit der Wagen-Reinigung mit ein bisschen Party zu überbrücken, jedenfalls kann man in vielen Waschanlagen auch tanzen, trinken, Karaoke singen oder Billard spielen. Würden die Polizisten von Santo Domingo Alkoholkontrollen durchführen, könnten sie bei der Ausfahrt einer Party-Waschanlage große Erfolge verzeichnen. "Aber wir haben ja nicht mal Blitzgeräte", erklärt Reiseführer Carlos und meint das als Beruhigung.

Auf ähnlich gute Stimmung trifft man in den Colmados. Diese zur Straße hin offenen Läden fungieren gleichzeitig als Bar und besitzen großkotzige Lautsprecher. Dort treffen sich Nachbarn, Freunde und alle, die nicht unter Tinnitus leiden. Beim Tanzen macht jeder Dominikaner den Eindruck eines Naturtalents, was daran liegen könnte, dass bereits kleine Kinder bei Geburtstagsfeiern folgende Regel lernen: "No dance, no cake." Also erst tanzen, dann essen.

Touristen können es den Einheimischen nachmachen. Freitags und sonnabends treten Folkloregruppen auf der Plaza de España auf; sonntags finden kostenlose Freiluftkonzerte vor dem Kloster San Francisco statt, dem ersten und größten Kloster in der Neuen Welt. Heute beweist es, wie hübsch selbst Ruinen sein können. Die Kulisse ist so einzigartig wie die Stimmung, wenn um Punkt 18 Uhr die Musik loslegt und plötzlich alle miteinander Merengue, Son und Bachata tanzen. Wer sich nicht kennt, lernt sich kennen. Der Rhythmus bringt alle auf eine Wellenlänge. Auf dem Hamburger Rathausmarkt würde eine solche Aktion wahrscheinlich schiefgehen. Die Temperaturunterschiede draußen als auch in uns drinnen sind einfach zu groß. Umso schöner, wenn man im Urlaub ein bisschen Herzenswärme abbekommt - oder sie sogar wiederentdeckt wie der Mann, der eben noch mit leerem Blick und fast unhöflich an der Wand lehnte. Jetzt wippt er schon mit dem Fuß. Ein Lied später kehrt das Leben sogar in sein Gesicht zurück, plötzlich lächelt er. Der Mann erscheint glücklich!

Glücklich darüber, dass er diesen Ausflug gemacht hat, zudem ihn vielleicht seine Frau drängen musste oder ein Überdruss an Bacardi-Feeling ihn dazu gebracht hat, wer weiß. Ganz verträumt blickt er auf die Tänzer, hört die Lieder und nimmt seine Frau in den Arm. Schau mir in die blauen Augen, Kleines.