St. Moritz im Engadin gilt als Nobelskiort der Schweizer Alpen. Doch gibt es dort mehr als mondänen Luxus und altehrwürdige Grandhotels.

Man kann mit dem Privatjet ins Engadin reisen. So machen es viele. Wirtschaftsgrößen, für die Zeit Geld ist, Politiker aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, Prominente, die inkognito unterwegs sind. Man kann das Leben aber auch entschleunigen und in Zürich am Hauptbahnhof in den Zug Richtung Berge steigen. So will ich es diesmal machen.

Der Genuss kann beginnen. Die Strecke nach St. Moritz verläuft direkt am Zürichsee - vorbei an kleinen verschneiten Bootsanlegern und Badeanstalten. An manchen Stellen sind die Gleise keine zwei Meter vom Wasser entfernt. Aber man denkt: Diese Schweizer, die so genaue Uhren bauen, werden schon gewusst haben, was sie da tun. Ab Chur geht es mit der Rhätischen Bahn, einer Schmalspurbahn, die 1903 eröffnet wurde, weiter. Per Lautsprecherdurchsage erfährt man, dass die Strecke seit 2008 sogar zum Welterbe der Unesco zählt. Die Verbindung mit 55 Brücken und 39 Tunneln führt eingleisig zwischen hohen Tannen auf der einen und Schluchten auf der anderen Seite hindurch. Die Hochachtung für das, was Menschenhand hier der Natur abgerungen hat - eine bequeme Zuwegung ins Engadin -, steigt.

Einst, als der Wintersport in St. Moritz erfunden wurde, mussten die Gäste noch sehr mühselig anreisen. Der Hotelier Johannes Badrutt hatte im Herbst 1864 mit vier britischen Sommergästen eine Wette abgeschlossen. Er lud sie ein, im Winter wiederzukommen. Er wettete, sie könnten auch zu dieser Jahreszeit hemdsärmelig auf seiner Terrasse die Engadiner Sonne genießen. Sollte es ihnen nicht gefallen, wollte er ihnen die Reisekosten erstatten, andernfalls würden sie seine Gäste sein. Die Briten nahmen die Wette an und die lange Anreise per Kutsche auf sich. Es gefiel ihnen so gut, dass sie bis Ostern blieben. Braun gebrannt, erholt und glücklich, so die Überlieferung, fuhren sie ab - der Wintertourismus war geboren.

St. Moritz ist aber viel mehr als ein mondäner Ort mit luxuriösen altehrwürdigen Grandhotels und weltberühmten Veranstaltungen wie der Weltmeisterschaft auf der einzigen Natureis-Bobbahn der Welt (22. Januar bis 3. Februar) oder dem White Turf (3., 10. und 17. Februar), dem Pferderennen auf dem zugefrorenen See. Hauptdarsteller ist im Engadin immer noch die Natur, und die lässt sich in den kleineren Orten außerhalb von St. Moritz (mit seinem gut 5100 Einwohnern und seinen fast 5200 Hotelbetten) sehr gut erleben.

Will man hinauf auf die Corviglia und dabei nicht mit der Masse fahren, dann empfiehlt sich der altmodische Zweiersessellift Suvretta-Randolins, der älteste Skilift der Schweiz. Mit dem hellblauen Sessellift, der zugegeben etwas klapprig und vorgestrig wirkt, schwebt man hinauf. 350 Pistenkilometer warten darauf, erobert zu werden. Der Wind pfeift, aber die Sonne hat sich entgegen den Vorhersagen hinter den Wolken hervorgewagt und taucht das Bergpanorama in gleißendes Licht. Unten im Tal dampft der Silvaplana-See und leuchtet im Sonnenlicht schwefelgelb und grün, als würde man direkt in den Höllenschlund blicken. Ein faszinierendes Schauspiel.

Die schnellen Abfahrten kosten Kraft, die Höhenluft macht hungrig. Zeit für einen Einkehrschwung. Hütten gibt es viele, aber nur wenige sind so exklusiv wie die El Paradiso. Wer zu einer der abendlichen Feiern kommt, bekommt eine kuschelige rote Decke für die Fahrt mit dem Sessellift und noch eine Suppe auf den Weg, weil die Hütte etwas abseits der Piste liegt. Wer tagsüber mit den Skiern kommt, tut gut daran, vorab einen Platz zu reservieren. Denn hier kehrt viel Prominenz aus Wirtschaft, Sport und Showbiz ein. Ehemals ein Stallgebäude, wurde die Paradiso-Hütte nach einem Brand vor ein paar Jahren neu aufgebaut und ist nun ein Gastronomiebetrieb mit höchstem Standard. Hans-Jörg Zingg ist seit 1998 Hüttenwirt auf 2181 Metern, keine Straße führt hier hoch. Alles, was er, seine Frau Anja und ihre Mitarbeiter hier auftischen, müssen sie mit Pistenfahrzeugen hochbringen, den Abfall auf dem gleichen Weg wieder runter. Dafür sorgt dann er mit seinen etwa 50 Mitarbeitern. Sie kommen alle mit dem Skilift hoch und marschieren nach getanem Tageswerk mit der Stirnlampe hinab ins Tal. Wer das auf sich nimmt, muss seine Arbeit wirklich lieben, denkt man bei sich und ist froh, dass man selbst üblicherweise Bus und U-Bahn für den Arbeitsweg zur Verfügung hat.

Für die Terrasse ist es an diesem Tag zu kalt, wir bekommen einen Platz an einem der langen Holztische, bestellen Käsefondue und Nüssli-Salat, Feldsalat mit Speck und Croutons. Hans-Jörg Zingg würde auf dem Berg auch gern ein Hotel bauen, "unsere Gäste suchen das Ursprüngliche, das Leben in und mit der Natur".

Neue Wege geht auch Philippe Frutiger, CEO der Giardino Hotelgruppe, mit seinem Giardino Mountain in Champfèr, etwas außerhalb von St. Moritz. Wer in diesem Fünf-Sterne-Hotel absteigt, hat sich bewusst gegen die mondänen Grandhotels entschieden, die die Region so berühmt gemacht haben. "In St. Moritz gibt es nicht nur aufgespritzte Lippen und Pelzmäntel. Hier sind Leute, die machen Sport, die sind in der Natur unterwegs. Unser Fokus liegt auf Leuten, die anspruchsvoll sind, die aber ihre Zeit in einem entspannten Umfeld verbringen wollen." Wer den großen Auftritt suche, der sei sicher im in einem der alten Hotelpaläste besser aufgehoben.

Dabei hat das Giardino Mountain, ein Ensemble aus sieben Engadiner Häusern, durchaus historische Wurzeln. Das Haupthaus wurde 1718 schon urkundlich erwähnt, war Poststation, Mädchenpensionat und Gasthaus. In der Stüva, dem rustikalen der drei Restaurants, sitzt man auf Eckbänken zwischen den hölzernen Wandverkleidungen und bekommt Schweizer Spezialitäten serviert. Die ehemalige Kapelle mit kunstvollen Sgraffiti des bekannten Künstlers Steivan Könz, dessen Wandbilder unzählige Schweizer Häuser zieren, beherbergt das Gourmetrestaurant des Zwei-Sterne-Kochs Rolf Fliegauf. Modern, aber weniger pompös kommt das dritte Restaurant daher, in dem auch gefrühstückt wird.

Besonders Familien sind im Giardino Mountain willkommen. Die Skischule holt die Kinder direkt am Hotel ab und erlaubt den Eltern damit einen gemächlichen Start in den Tag. Philippe Frutiger hat für Jugendliche eine eigene coole Lounge eingerichtet, in der sie sich ohne Aufsicht der Erwachsenen aufhalten können, Musik hören, Filme gucken und etwas trinken - alkoholfrei natürlich. Für Kleinkinder gibt es einen eigenen Bereich mit Betreuung. Wer beim Skifahren Pech hatte und sich verletzt hat, kann sich bevorzugt in der Klinik Gut St. Moritz durchchecken lassen. Chefarzt Georg Ahlbäumer, ein gebürtiger Deutscher, ist Orthopäde und Unfallchirurg und zudem nationaler Schweizer Sekretär der Internationalen Gesellschaft für Schneesportsicherheit. "Wir haben uns schon sehr früh mit Schneesportsicherheit beschäftigt, haben Handgelenksschützer für Snowboarder mitentwickelt und Skihelme", sagt der 47-Jährige. Zusammen mit den Bergbahnen entwickeln er und seine Kollegen Broschüren, um die Wintersportler für die Gefahren am Berg zu sensibilisieren.

Doch diesmal ist alles gut gegangen. Die Knochen sind heil geblieben, das Skifahren in der Champagnerluft, für die das Engadin so berühmt ist, hat nur rechtschaffen müde gemacht. Zurück geht es in beschaulichem Tempo Richtung Zürcher Flughafen. Die Fahrgäste lauschen der Stimme, die das Unesco-Welterbe preist, und blicken versonnen hinaus auf die Tannen, die weiße Kronen tragen, während die Hochgebirgslandschaft langsam vorüberzieht.