Das Barockgebäude in Schleswig entstand aus einer mittelalterlichen Burg. Gottorf beherbergt Teile des Landesmuseums.

Nur ein einziger Landweg führte im 12. Jahrhundert vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation nach Dänemark. Jeder Reisende, jeder Händler musste auf dem Ochsenfuhrweg an der Wasserburg bei Schleswig vorbei und Zoll bezahlen. Westlich der Burg verhinderten Moore und Wasserläufe jedes Weiterkommen, östlich von ihr versperrte der Schlei-Fjord den Weg. Aus der Wasserburg entstand in den folgenden Jahrhunderten Schloss Gottorf, in dem die Herzöge von Holstein-Gottorf residierten.

Über den alten Ochsenfuhrweg braust heute der Verkehr auf der A 7 an dem Schloss vorbei, die Ausfahrt ist ausgeschildert. Seit 1946 beherbergt es die Kunst- und Kulturschätze der Schleswig-Holsteinischen Landesmuseen.

Zum Spektrum der Museen gehören die Kunst der Gegenwart in Nebengebäuden und Stallungen, das Nydamschiff aus der Wikingerzeit, das Schloss mit Kunst und Kulturgeschichtlichem von der Gotik bis zum Barock sowie eine Archäologische Sammlung mit Moorleichen und Artefakten bis in die Frühgeschichte der Menschheit.

Es ist ein nasskalter Novembertag. Vor der mächtigen, weißen Fassade des Schlosses glänzt das Kopfsteinpflaster. Uns lockt das Herzstück der Museen, das Schloss selbst. Seine Geschichte ist eng mit der Schleswig-Holsteins verknüpft, die wiederum mit der von Dänemark, Schweden, Russland und Preußen verwoben ist. Die Geschichte ist hoch kompliziert, nur drei Menschen haben sie je verstanden, heißt es: Der erste ist darüber verrückt geworden, der zweite gestorben, und der dritte hat lieber alles vergessen, um nicht verrückt zu werden. Es empfiehlt sich daher, die Säle mit einem Audioguide zu durchwandern.

Atemberaubend gleich der erste, der gotische Saal; harmonisch fügen sich die mittelalterlichen Hochaltäre an den Wänden ein. Anrührend dazwischen die Statue eines heiligen Georg, der Kinder sofort in den Bann zieht, erzählt die Wärterin. Zur Reformationszeit begann die Blüte des Schlosses. Davon zeugen Luther-Bildnisse von Cranach, seine Paradiesbilder mit Adam und Eva und der Selbstmord der Lukretia. Der Mythos erlaubte es, sie nackt darzustellen.

Beim Betreten der Renaissance-Kapelle hält jeder inne. Die Proportionen des Raumes sind perfekt, die bunt bemalten Schnitzereien am Kirchengestühl und der kleinen Orgel, die Bilder an der Empore bezaubern. Unverfälscht hat die reformatorisch geprägte Kapelle die Jahrhunderte überstanden. Es läuft ein Antrag, die Kapelle in die Liste des Weltkulturerbes aufzunehmen, in Verbindung mit der Musik, die Gottorfer Hofmusiker hier entwickelten: die Kantate.

Die Akustik der Kapelle ermöglichte es, Bibeltexte zu polyfonen Stimmen auszugestalten, weil eine jede in wunderbarer Klarheit zu hören ist. J. S. Bach fand in diesen Kantaten Vorbilder. Für den 26. bis zum 28. April 2013 ist die nächste Konzertreihe geplant. Übrigens kann man die Kapelle auch mieten, was häufig für Hochzeiten genutzt wird.

Gleich neben der Kapelle liegt ein Saal, dessen Wände ringsum mit Raffvorhängen bemalt sind; darüber springen Reh- und Hirschköpfe plastisch aus Landschaftsmalereien hervor, fast surrealistisch. Tatsächlich jedoch ist der Hirschsaal 1595 fertiggestellt worden und Zeugnis des Manierismus der Spätrenaissance.

Eine Tür führt zurück zur Kapelle in einen Raum genau über dem Altar - der "Herzogliche Betstuhl". Er ist kostbar vertäfelt, beheizbar und wohnlich mit Bänken und Tischen ausgestattet, der perfekte Ort für Geheimkonferenzen. Überredete hier der Hamburger Kaufmann Otto Brüggemann 1633 den Herzog zu der höchst kostspieligen Persienexpedition? Er versprach, den Seidenhandel über Gottorf zu leiten, und die goldenen Berge, die er in Aussicht stellte, erinnern an die Prognosen der Derivatehändler von heute. Anders als diese musste Herr Brüggemann jedoch wegen des Misserfolgs später seinen Kopf dafür hergeben.

Profitiert von dieser Expedition hat nur Adam Olearius, der Hofgelehrte, der als Sekretär die Begegnung mit den fremden Ländern und Völkern beschrieb. Er erdachte und baute auch das damalige Weltwunder: den "Riesenglobus", der sich in einem eigenen Bau im Barockgarten befindet. 1713 mussten die Gottorfer nach einem verlorenen Krieg den Globus zähneknirschend Zar Peter dem Großen überlassen. Seit 2005 kann man den Riesenglobus von April bis Oktober wieder im Barockgarten besichtigen. Man kann in die Kugel hineinsteigen und einen Sternenhimmel mit barocken Figuren bewundern.

Am Ende des Rundgangs finden sich die Bildnisse der Zarin Katharina II. und ihres Ehemanns Karl Peter Ulrich Herzog von Gottorf. In Ermangelung männlicher Erben wurde Karl Peter Ulrich in Russland von Zarin Elisabeth zum Thronfolger und Großfürsten ernannt. Anfang 1762 wurde er zum Zar gekrönt - jedoch schon sechs Monate später ermordet. Mit ihm begann die Dynastie der Romanow-Holstein-Gottorp Zaren, die mit der Oktoberrevolution von 1917 blutig endete.

Wer Lust auf Gegenwärtiges hat, sollte die Nebengebäude des Schlosses besuchen. Dort findet sich die Kunst des 20. Jahrhunderts, besonders die Expressionisten und Maler der Brücke sind breit vertreten, von Beckmann über Kandinsky und Nolde bis zu Schmidt-Rotluff und Bildhauer wie Barlach und Wimmer. In der Reithalle wird gerade eine Sonderausstellung aufgebaut. Davor hievt ein Kran einen Marmortorso in Position. Die Skulptur erinnert an Michelangelo. Jörg Plickat, der Bildhauer, lächelt. "Ich hatte ein Stipendium in Italien. Den Torso hab ich im Michelangelo-Steinbruch gemacht. Den gibt es da wirklich!" Später entwickelte er eine abstrakte Formensprache. "Meine Arbeiten beruhen auf einfachen Formen - Rechtecken, Dreiecken, Kreisen und Kugeln", sagt er. Seine großformatigen Arbeiten aus Stahl, Bronze oder Stein stehen oder schwimmen überall in der Welt, von New Orleans bis Shanghai. Oder bis Ende des Jahres in Schloss Gottorf.