Ein Agriturismo ist ein umgebautes Gutshaus, das Gäste beherbergt. Die haben hier alles, was sie brauchen, und sind trotzdem recht abgeschieden.

Mein Weinberg liegt ganz in der Nähe", sagt Dario. "Am direkten Weg zum Meer." Aber den sollten wir bloß nicht nehmen, sagt der junge Winzer während der Weinprobe. Diese Schotterstrecke sei nur für Jeeps befahrbar. Mein Mann und ich sehen uns an: Schade, dass das Navigationssystem des nicht gerade offroad-tauglichen Leihwagens nichts vom Zustand der Piste wusste. Mit Schlaglöchern so tief wie die Amphoren in Darios Weinkeller, wo wir gerade seinen Cabernet Sauvignon verkosten, während unsere Kinder draußen in den Pool hüpfen. Sonst hätte es uns zwei Tage zuvor ohne holprige Umwege zum Strand geleitet. An der Sprache lag's nicht, das Navi sprach Deutsch und bat uns eindringlich, rechts abzubiegen.

Wir lernen also, dass im ländlichen Kampanien der kürzeste Weg nicht der schnellste sein muss und dass man mit Deutsch nicht weit kommt im Cilento, der Gegend rund 150 Kilometer südlich von Neapel, bekannt für ihren Weltkulturerbe-Nationalpark mit Stränden, Badeorten und Ausgrabungsstätten wie Paestum, wo seit drei Jahrtausenden drei griechische Tempel ihre stolzen Säulen in den blauen Himmel recken.

Eine andere liegt zu Füßen von Darios Reben: Velia, einst bedeutende griechische Hafenstadt, von der noch Teile erhalten sind. Die antiken Meisterschüler hinterließen überall ihre Spuren, auch in der Sprache. Der Weinberg liegt bei Ascea. "Die Griechen nannten die Gegend ,alpha skia', das heißt ,ohne Schatten'. Deshalb reifen hier so gute Rotweine", sagt Dario.

+++Das reinste Zuckerschlecken mit Meeresblick+++

Was tun, wenn man Italien liebt und gutes Essen? Wenn man Hotels nicht mag und die Kinder keine Lust haben, allein mit den Eltern im Ferienhaus zu hocken. Wenn man die Gesellschaft anderer mag, aber die Abgeschiedenheit einer eigenen Unterkunft genauso schätzt. Wenn man alles auf einmal will: das Meer, einen Pool, die kühlen Berge, spannende Ausflugsziele, ein Apartment und dazu noch eine echte Mamma, die einen bekocht, falls man selbst dazu keine Lust hat. Sprich: wenn man mit einem Zehn- und einem 13-Jährigen unbeschwert Urlaub genießen möchte. Man mietet eine Ferienwohnung auf einem Agriturismo, einer ländlichen Unterkunft, die Platz für mehrere Familien hat und ein Restaurant, das auf Slow Food setzt.

Wir waren auf Le Favate gestoßen, ein 450 Jahre altes Landgut, 20 Autominuten oberhalb von Marina di Ascea im Nationalpark Cilento und Valle di Diano gelegen. Als wir spätabends aus Neapel angereist kamen, wartete Elvira Licusati, 57, das graue Haar sportlich kurz geschnitten, neben dem Zitronenbäumchen vor der großen Eingangstür. "Buona sera", sagte die Eigentümerin herzlich und erklärte uns das Anwesen, das sie vor zwölf Jahren gekauft und zu einem stilvollen Agriturismo mit großem Pool umgebaut hatte: Das dreigeschossige Haupthaus beherbergt einen Salon mit Kamin, die große Küche, das Restaurant mit Terrasse, den Weinkeller ihres Sohnes Dario, eine kleine Kapelle und zehn Zimmer; die drei Nebengebäude zehn familienfreundliche Maisonette-Apartments.

Beim Frühstück mit frisch gebackenem Brot, selbst gekochter Marmelade, Früchten, Salami, hauseigenem Ziegen-Ricotta, Tomatensalat und Bruschetta lernten wir Teresa und Frederike kennen, die Gästebetreuerinnen, die sich halbe oder ganze Tage um die Kinder kümmern. "Wollt ihr mitkommen, es sind schon Kinder in eurem Alter da", sagten die beiden jungen Frauen und verschwanden mit Hannes, 13, und Piet, 10. Nach einem Vormittag hörten sich die Geschichten unserer Kinder an, als seien sie mit guten alten Freunden im Urlaub. Piet genoss es, für den jüngeren Hanno aus Berlin so was wie ein großer Bruder zu sein. Hannes freundete sich mit David aus Eppendorf an, und gemeinsam schubsten sie Charlotte ins Wasser, wenn die "Blaue Stunde", die Extra-Zeit nach dem Abendessen, mit einer großen Poolparty endete.

+++Einmal um den heißen Brei rum+++

Dass die Kinder schnell Anschluss finden würden, hatten wir erwartet, aber nicht, dass es so schwer werden würde, sie vom Landgut wegzulocken, um eine Bootstour zur Blauen Grotte am Kap Palinuro zu machen. Der markante Fels ragt weit ins Meer und ist nach Odysseus' Steuermann benannt, der hier angeblich über Bord ging. Aber das ist eine andere Geschichte.

Unsere ging so: Wenn die Kinder nach dem Frühstück verschwanden, schnappten wir uns ein Buch, legten uns an den Pool und lauschten dem Zirpen der Zikaden, dem Lachen der Kinder in der Ferne und dem Rascheln der Eidechsen in den Olivenbäumen. Keine geduckten wie in der Toskana, sondern meterhohe Ölbäume, die Schatten spenden, was gut ist in einer Gegend, in der es im Sommer 35 Grad heiß wird. 15 000 Bäume wachsen auf Elviras Anwesen, und natürlich wird mit "Le Chiuse" gekocht, Elviras Öl.

Morgens, wenn ihr Mann Antonio zur Arbeit fährt, steigt Elvira in ihren hellblauen Cinquecento und kauft ein, was sie nicht selbst ernten kann: Mozzarella, Fleisch, Alici, eine Sardellenart, oder Schwertfisch von den Fischern. Nachmittags assistiert sie ihrer Köchin Rafaella an den Töpfen, und auf der dann schattigen Terrasse wird ein Vier-Gänge-Menü serviert, zu dem hausgemachte Pasta gehören und Darios Wein.

Den haben wir im Gepäck, als wir uns Richtung Neapel auf den Heimweg machen. Teresa, Frederike und Elvira winken uns hinterher. "Biegen Sie an der nächsten Kreuzung links ab", sagt das Navi. "Und wenn wir uns jetzt verfahren?", fragt Piet. "Dann würden wir den Flieger verpassen und könnten noch bleiben", antwortet Hannes schelmisch. "Oh, ja", ruft Piet. Ich greife nach der Landkarte, die ich stets konsultiere, seit wir unverhofft auf Darios Weinberg gelandet waren. Doch sie steckt nicht in der Autotür. Die Kinder kichern. "Her damit!", rufe ich. "Aber nur, wenn ihr versprecht, dass wir nächstes Jahr wiederkommen", sagt Piet. "Einverstanden", sagt mein Mann - und biegt links ab.