Im kalabresischen Städtchen Pizzo wurde einst das kalorienreiche Tartufo-Eis erfunden

Hoch über dem Meer befindet sich im süditalienischen Ort Pizzo eine ansehnliche und trutzige Burg der Aragoner, die "Castello Murat" heißt und aus dem 15. Jahrhundert stammt. Den meisten Tagesgästen ist das aber ziemlich schnuppe, sie kommen vor allem, weil sie was Süßes wollen. Mit Blick auf das Tyrrhenische Meer sitzen sie an der Hauptpiazza. Ihr Plastiklöffel taucht langsam in den Becher, und genauso genießerisch wird er anschließend zurück zum Mund geführt. Das Eis zergeht auf der Zunge. Manchmal fährt die noch über den schokoladenbraun verschmierten Mund zum Nachschmecken. Die Gesichter dieser Eis schleckenden Spezies haben alle ein Lächeln im Gesicht, das sagt: Mmmhhh! Dieser Ort, so scheint es, hält Zutaten bereit, die einfach unsagbar glücklich machen.

Pizzo. Klingt zunächst einmal nach Pizza. Der Name steht aber nicht für das berühmte belegte Fladenbrot aus Neapel. Der kleine, gerade 10 000 Einwohner zählende Ort an der Fußspitze Italiens ist weltberühmt, weil örtliche Eismacher hier das Tartufo-Eis erfunden haben. Die Kundschaft kommt von überall her. Allein um den Hauptplatz, die Piazza della Repubblica, drängen sich schätzungsweise zehn Eisdielen, deren Plakate alle marktschreierisch das "weltbeste Tartufo-Eis" versprechen. Das wirklich weltbeste Tartufo, eine mit flüssiger Schokosoße gefüllte Eiskugel, soll es bei Franco Di Iorgi in der Bar Ercole geben. Das sagen die Einheimischen. Also auf zu Franco Di Iorgi, Piazza della Repubblica 18.

Die Schlange vor der Gelateria ist die längste. Hat er den größten Familienclan im Ort, der alle Gäste zu ihm schickte? Zwei Touristen in der Schlange, ein Wörterbuch unter den Arm geklemmt, deuten gestenreich und umständlich auf die Plakate, die den Kugelgenuss für 4,50 Euro versprechen. Was ziemlich unnötig ist, denn lautet die Bestellung nicht "Un caffè, per favore" - die nur von einem Italiener kommen kann, der weiß, dass der Espresso eben im Italienischen caffè heißt -, dann ist sie eh immer gleich: "Einmal 'tartufo nero', bitte." Tartufo nero bedeutet übersetzt "schwarze Trüffel".

Wie jetzt? Fernsehkoch Alfons Schuhbeck kreiert Eis mit Spargel, Schwarzbrot und verkauft geeisten Kaiserschmarren. Aber: schwarze Trüffel? Chef Di Iorgi, knallrote Schürze über dem gewölbtem Bauch und ein Gesicht, das von Genuss und Lebensfreude erzählt, lacht laut und herzlich. "Natürlich steckt da keine echte Trüffel drin! Nur äußerlich, von der Form her, da ähnelt es ihr." Dann fragt er, ob er kurz ausholen darf, holt Luft und beginnt zu erzählen: Dass die Menschen hier in Tartufo schwelgen können, verdanken sie dem Prinz von Savoyen und letzten König Italiens Umberto II. Irgendwann Ende des 18. Jahrhunderts hatte man ihn zu sich nach Kalabrien eingeladen, und natürlich wollte man dem hohen Gast aus Turin etwas ganz Besonderes bieten. Im Piemont, das wussten die Bewohner von Pizzo, aßen sie gern Trüffel und Schokolade. Und so erfanden sie die Eiskugel, die wie ein Riesentrüffel aussieht und süß wie die Sünde ist. Wird Tartufo auch in Rom fabriziert oder sonst wo außerhalb Kalabriens? "Nein!", ruft Franco aus und schüttelt energisch den Kopf. "Originales, handgemachtes Tartufo gibt es nur hier bei uns in Pizzo. Wir sind auf unser Produkt sehr stolz. Ich hatte ein Angebot, in Mittelitalien Filialen aufzumachen. Das würde ich nie tun: meine Heimat verlassen. Schließlich führe ich hier den Laden meines Vaters fort."

Was verbirgt sich nun im Innern der Trüffelpraline? Vanilleeis, sagt Franco Di Iorgi und zeigt Schritt für Schritt, wie die Kugel entsteht. Zwei halbe Kugeln, innen ausgehöhlt, füllt er mit flüssiger Schokolade. Er presst sie zusammen und umhüllt sie wiederum mit einer Schoko-Schicht. Bestäubt wird die Eiskugel am Ende mit Kakaopulver. Nun wickelt er sie in Butterbrotpapier und kühlt sie kurz, bevor er sie serviert.

Wer dunkle Schokolade nicht mag, kann heute auf Variationen ausweichen mit weißer Schokolade und Karamell. "Der Klassiker, der hier zu 80 Prozent hergestellt wird, ist und bleibt aber das dunkle Tartufo", sagt der Eismacher.

Wie viel Kalorien man sich pro Eis mit einem dieser XXL-Ballen einhandelt, das will Franco Di Iorgi erst nicht herausrücken. Ob man das selbst wirklich wissen will, ist ohnehin die Frage. Irgendwann, als der letzte Löffel verdrückt ist, sagt er es dann doch: "Äh, 800, circa", und lächelt dermaßen charmant, dass man das Entsetzen erst gar nicht realisiert. Aber klar, bei der gehaltvollen Füllung aus Eiern, Zucker, Milch und Haselnuss mit hohem Kakaofettanteil, was hatte man da anderes erwartet? Immerhin, sagt Di Iorgi, ist seine süße Sünde in Knollenform handgefertigt. "Jede Kugel wird noch handgefüllt. Hier kommt nichts fertig aus der Tiefkühlbox. Alles gaaanz frisch." Ja dann. Klingt irgendwie gesund.

Wer jedenfalls gern nach Italien reist, immer auf der Suche nach dem "Dolce Vita", dem "süßen Leben", der wird bei Franco Di Iorgi sicher fündig. Nur in Kombination mit dem "Dolce far niente", dem "süßen Nichtstun", könnte das auf Dauer böse enden.