Im April und Mai verwandeln 13 Millionen Obstbäume das Land zwischen Finkenwerder, Buxtehude und Stade in ein Blütenmeer. Auch sonst lohnt ein Abstecher in diese Region.

Manchmal denkt sie über eine Flucht nach. Eine kleine zumindest, und das auch nur an den wenigen Wochenenden im April und Mai, wenn Kirsch- und Apfelblüte im Alten Land dicht beieinander liegen. "Dann kommen hier so viel Touristen, das ist unglaublich", sagt Anke Schacht und lacht herzlich. Selbstverständlich würde die Obstbäuerin aus Osterladekop an solchen Tagen nicht einfach verschwinden. Gerade wenn die Obst-Blüte diese fruchtbare Landschaft an der Elbe in ein rosa-weißes Gewand taucht und deshalb besonders viele Besucher kommen, haben die zahlreichen Hofläden hier sehr gut zu tun. Und insgeheim sind die Altländer natürlich stolz darauf, dass sie dort wohnen, wo andere Urlaub machen wollen.

Doch Begeisterung öffentlich zeigen, schwärmen von der eigenen Heimat - das würde kaum einer von ihnen. Das passt nicht in das eher ruhige, jedoch auch geschäftstüchtige Naturell dieses Menschenschlags, der von den holländischen Kolonisten abstammt, die im 12. Jahrhundert im Auftrag des Bremer Bischofs mit unglaublich harter Arbeit und Mühe begonnen hatten, das Land am wilden Strom urbar zu machen. Die Freude über die eigene Scholle zeigt sich eher in den gepflegten Vorgärten, den prächtigen Fachwerkhäusern und den Prachttoren an den Hofeingängen.

Nur etwa 30 Kilometer lang und zehn Kilometer breit ist das Gebiet zwischen Stade, Twielenfleth, Buxtehude und Finkenwerder. Die drei Elbzuflüsse Schwinge, Lühe und Este teilen es in drei "Meilen", von denen die ersten beiden zu Niedersachsen gehören; die "Dritte Meile" von Cranz bis Francop aber schon Hamburger Stadtgebiet ist. Auf dem gesamten Areal wachsen schätzungsweise etwa 13 Millionen Obstbäume, überwiegend Apfelbäume. Bei einem sehr guten Ertrag werden 300 000 Tonnen Äpfel gepflückt. Etwa ein Drittel verkaufen die Betriebe sofort. Der größte Teil kommt ins Kühllager - damit werden die Großhändler beliefert.

Der Obstbau ist ökonomische Grundlage der Region und macht sie gleichzeitig so wunderbar zugänglich. Denn durch die Plantagen führen zahlreiche Wirtschaftswege, sogenannte Minnerwege. Auf ihnen kann man ungestört vom Autoverkehr durch die flache Landschaft spazieren oder radeln. Aussichten auf die hiesige Wohnkultur - viele Fachwerkhäuschen gibt es hier, inmitten von Obstgärten - bietet der Pflasterweg auf dem Deich. Ein anderer Weg geht von der Estemündung bei Cranz auf dem Estedeich entlang nach Jork, der heimlichen Hauptstadt des Alten Landes. Im Ort gibt es viele nette, kleine Cafés und zwei Museen.

Hier im Urstromtal der Elbe, durch das sich während der letzten Eiszeit das geschmolzene Gletscherwasser seinen Weg ins Meer suchte, konnte eine fruchtbare Marschenlandschaft entstehen, die das heutige Obstparadies hervorgebracht hat. Und somit auch das Blütenmeer und die Touristenflut, die Einheimische schon mal auf Fluchtgedanken bringen kann. Aber eben nur Gedanken. Denn wer wollte von hier schon fliehen? Dafür ist es im Alten Land doch viel zu schön.

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