Warum bis zu den Olympischen Spielen im nächsten Sommer warten? London ist jetzt schon spannend - und auch nicht so voll.

Bei Londons Bürgermeister Boris Johnson ist die Vorfreude riesig: "Nächsten Sommer rollen wir hier den roten Teppich aus, setzen uns hin und schauen uns das aufregendste Sportereignis der Welt an." Dass er nicht Rugby oder Fußball im Sinn hat, sondern die Olympischen Spiele, spürt bislang allerdings kaum, wer die Mega-Metropole an der Themse besucht. Zwar stehen da und dort schon ein paar Souvenirs in den Shop-Regalen, doch der große Olympia-Hype ist im Herbst 2011 noch nicht zu erkennen. Zumindest nicht dort, wo sich für gewöhnlich Städtereisende aus dem In- und Ausland aufhalten.

Sollte man mit seinem nächsten London-Trip also noch warten? Lieber nicht! Denn wer die Attraktionen der Acht-Millionen-Stadt stressfrei erleben will, muss in der Nebensaison kommen - am besten, solange noch ein paar Blätter an den Bäumen hängen und die Sonne einen Hauch von goldenem Herbst auf Bänke und Wege in den Parks zaubert. Die Schlangen vor den Muss-man-gesehen-haben-Spots sind jetzt nicht so Furcht einflößend wie im Sommer, die Hotels bei ihren Zimmerpreisen etwas gnädiger und die Kellner in den Restaurants auch mal in der Lage, einen Tisch ohne Vorbestellung zu vergeben. Bei der Wachablösung vor dem Buckingham Palace genügt eine Stunde Vorlauf, um einen guten Platz zu ergattern, die Tickets für Tower und London Eye muss man nicht unbedingt Tage vorher im Internet buchen, und auch bei Madame Tussauds ist genug Zeit für ein schönes Foto mit dem Lieblingspromi aus Wachs.

Was ziemlich anstrengend bleibt, ist die laute, heiße und oft überfüllte U-Bahn, hier liebevoll Tube (Röhre) genannt. Ihre zum Teil fast 150 Jahre alten Tunnel sind angesichts von Citymaut, Parkplatzmangel und trotzdem vollen Straßen die Hauptschlagadern einer Stadt, die dank ihrer immensen Anziehungskraft immer am Limit lebt und eines Tages mit einem Infarkt zu kollabieren droht. Auch für Touristen ist die U-Bahn die schnellste Möglichkeit, von einer Sehenswürdigkeit zur anderen zu kommen. Wer länger bleibt und keine Tagestickets kaufen will, fährt mit der Oyster Card am besten (siehe Infoteil).

Kaum jemand kann es sich heute noch leisten, zentrumsnah zu wohnen, und wer es doch tut, ist entweder Millionär oder bereit, sich seine überteuerte Minibude mit anderen zu teilen. Braucht ausgerechnet so eine Stadt dann die Olympischen Spiele, um attraktiver zu werden? Aber ja, argumentiert Bürgermeister Johnson und verweist auf Investitionen in Höhe von etwa zehn Milliarden Euro, die nun in die Infrastruktur fließen und bis 2012 nicht nur diverse Sportstätten neu entstehen lassen, sondern auch einen ganzen Stadtteil im East End umkrempeln. Im bis dato ziemlich trostlosen Stratford hat bereits ein riesiges neues Shoppingcenter eröffnet, das olympische Dorf für 18 000 Athleten und Funktionäre soll sich nach den Spielen in bezahlbaren Wohnraum vor allem für Familien verwandeln, eine neue Klinik kommt, Schulen ebenso. Was mit dem teilweise rückbaubaren Olympiastadion am Ende passiert, ist noch nicht ganz klar, weil die Fußballklubs West Ham United und die Tottenham Hotspurs beide ein Auge darauf geworfen hatten. Zuletzt schien es, dass West Ham den Zuschlag für das weiße Rund bekommt, weil man dort ein Konzept entwickelt hat, das auch die neuen Anwohner mit einbezieht und nicht nur dem Kommerz der Premier League dient - doch nun ist wohl wieder alles offen.

+++115 Euro Miete pro Quadratmeter+++

+++29 Schläge fehlen für London 2012+++

Wie tiefgreifend sich London in wenigen Jahren häuten kann, lässt sich an verschiedenen Stellen im Stadtbild immer wieder beobachten. Das Businessviertel Canary Wharf zum Beispiel war vor 25 Jahren eine triste Brachfläche an der Themse, heute ist es nicht nur voller Bürotürme, sondern auch ein beliebter Ort zum Shoppen, Ausgehen und Flanieren. Das bunte, quirlige Notting Hill wiederum war geprägt von Einwanderern aus der Karibik, später wurde es trendig und durch einen Film mit Hugh Grant und Julia Roberts weltberühmt. Schließlich setzte die Verdrängung alteingesessener Bewohner durch eine wohlhabendere Klientel ein. London-Kenner meinen, dass die Straßen rund um die Portobello Road dadurch manches von ihrem familiären Charme wieder eingebüßt haben, trotz Trödelmarkt und der vielen Kneipen.

In der Tat sind andere Stadtteile nun hip und im Aufwind, Shoreditch und Dalston zum Beispiel, Islington und die Gegend rund um die Liverpool Street. Auch am wichtigen Knotenpunkt King's Cross/St Pancras hat sich in den letzten Jahren eine Menge getan. Ein besonders auffälliges Beispiel ist die gelungene Umwandlung einer jahrzehntelang vor sich hinschlummernden Alt-Immobilie in das spektakuläre Fünfsternehotel St Pancras Renaissance, wo nun die Eurostar-Züge aus Brüssel und Paris direkt vor der Tür halten. Der Bahnhofsbau aus dem 19. Jahrhundert wurde aufwendig saniert und um einen Trakt mit modernen Zimmern erweitert, das alte Booking Office ist jetzt ein wunderschönes Restaurant mit Bar. Um das Wohl der Gäste im besonders stilvollen alten Teil, dem sogenannten Chambers Club, kümmert sich mit Benjamin Moebus übrigens ein Hamburger. Er kam Anfang des Jahres aus Barcelona nach London - und zeigt sich noch immer beeindruckt: "Es ist schon erstaunlich, wie schnell sich in dieser Stadt immer wieder die Dinge verändern."

Fast schon Tradition hat da der Basar in Camden Town, nur ein paar Minuten mit Bus oder Bahn von St Pancras entfernt. Wo Rock 'n' Roll, Punk und Brit-Pop entstanden und Amy Whinehouse ihr kurzes Leben lebte, treffen sich all jene zum Shoppen, denen beliebte Einkaufsmeilen wie die Oxford Street zu gewöhnlich und Nobelkaufhäuser wie Harrods viel zu abgehoben sind. Lock Market und High Street Market, dazu die bizarren Shops auf dem Weg von der U-Bahn-Station bis zu den Markthallen, sind ein Fundus nicht nur für Fans der Subkultur, auch Scouts der großen Modeketten stiefeln hier immer wieder entlang, um neue Trends aufzuspüren. Das Fotografieren der Stände ist deshalb unerwünscht - man hat Angst, dass originelle Ideen zu schnell kopiert werden.

Wer etwas länger in London bleibt und mal Lust auf ein paar leckere Häppchen hat, sollte auch einen Besuch auf dem Borough Market in der Southwark Street südlich der Themse einplanen. Dort haben unzählige Händler ihre Delikatessen in einer alten Markthalle aufgebaut, und fast überall gibt es Interessantes zum Probieren. Die Geschichte des Borough Market geht bis in das 13. Jahrhundert zurück - und damit in eine Zeit, als drüben im Tower, auf der nördlichen Seite des Flusses, erstmals Raubkatzen und Bären zur Belustigung der Monarchen gehalten wurden.

Dass das Leben mit und unter der Krone indes nicht nur Lust, sondern oft auch Last war, kann man im Tower hautnah erleben. Es lohnt sich, am Eingang einen der Audioguides auszuleihen, damit auf verschiedenen Routen durch das beeindruckende Ensemble royaler Bauten zu navigieren - und dabei viel über die Eigenheiten der englischen Geschichte zu erfahren. Das Eheleben von Heinrich VIII., der zwei seiner sechs Frauen exekutieren ließ, spielt dabei ebenso eine Rolle wie der mittelalterliche Bombenleger Guy Fawkes und die Pracht der Kronjuwelen.

Am Tower - genauer: an der Tower Bridge - sollte ursprünglich auch der olympische Marathonlauf starten und nach einigen Runden im Zentrum schließlich im neuen Olympiastadion in Straford enden. Später aber entschieden sich die Offiziellen doch für eine andere Lösung, weil diese mehr Zuschauer und bessere Fernsehbilder verspricht. Startpunkt wird nun die Prachtallee The Mall am Buckingham Palace sein. In einem Rundkurs geht es dann vorbei an den wichtigsten Sehenswürdigkeiten wie St Paul's Cathedral, Big Ben und Parlament, bis die Läufer nach 42,195 Kilometern wieder zurück am Ausgangspunkt ankommen.

Touristen, die London jetzt schon besuchen, haben vor den Athleten also ganz klar einen Vorsprung.