Auf der Tara in Montenegro versuchen sich sportliche Touristengruppen im Rafting . Für Anfänger sind die Stromschnellen nur im Sommer geeignet.

Rechts, rechts, ja - und jetzt alle zusammen", brüllt Nenad-Neso in einem Mix aus Serbokroatisch und Englisch durch das Tosen des Wassers. Der Rafter treibt seine Mannschaft an. Vor dem Boot wirbeln Strudel, überall ragen Felsen aus dem Fluss. Sechs Leute stoßen ihre Paddel in das aufgewühlte Wasser. Das Rauschen der Stromschnellen mischt sich mit ihrem Keuchen.

Wie ein Messer schneidet der Fluss Tara hier in die Berge Montenegros, nicht weit von der Küste Kroatiens entfernt. Bis zu 1300 Meter hat sich der Strom in das Gebirge gegraben - und die gewaltigste Schlucht Europas und nach dem Grand Canyon in den USA die tiefste der Welt geschaffen.

Immer wieder hebt der Fluss das Schlauchboot vorn in die Luft und lässt es mit Wucht auf die Oberfläche zurückschnellen. Wasser spritzt auf die Mannschaft, knöcheltief steht es im Boot. Alle rammen die Paddel in die Tara und klemmen die Füße unter die Halteriemen, um nicht über Bord zu gehen. Dann liegen die Stromschnellen hinter ihnen, es ist wieder ruhig.

Ausgerüstet mit Neoprenanzügen, Helmen und Schwimmwesten, ist das Team, sechs befreundete Männer, in aller Frühe aus dem Bergdorf Kolasin aufgebrochen. Sie alle wollen das ultimative Abenteuer: drei Tage Rafting durch den gewaltigen Canyon von Montenegro bis nach Bosnien-Herzegowina.

Glasklar und türkisblau schlängelt sich der rund 140 Kilometer lange Fluss durch die Berge Montenegros, von der Quelle im Komovi-Gebirge an der Grenze zu Albanien bis nach Norden, wo er sich am Rande Bosniens mit dem Fluss Piva mischt. Die Ufer der Tara liegen fernab aller Straßen tief in der Schlucht. Nur an wenigen Stellen führen Wege hinab ans Wasser. Hier befinden sich die Rafting-Lager. Geschäftiges Treiben herrscht am Ufer nahe dem Ort Splaviste: Neoprenanzüge werden übergestreift, Proviant in Plastiksäcke verpackt, Boote und Floße zu Wasser gebracht. "Alle mal anpacken", ruft Miki und beginnt, ein Schlauchboot vom Dach seines Geländewagens zu lösen. Seit 13 Jahren bringt der Montenegriner Abenteurer in die Schlucht.

"Die ersten Kilometer haben viele Stromschnellen und Felsen - da heißt es paddeln", sagt Miki. Später werde der Canyon ruhiger und breiter, um dann auf den letzten 15 Kilometern noch einmal gefährlich zu werden. "Im Sommer können auch Anfänger auf dem Fluss reiten", sagt Miki, "aber Frühling und Herbst auf der Tara ist nur etwas für Profis und Adrenalin-Junkies."

Schmelzwasser und Regenfälle sorgen dann für reißende Stromschnellen. Für Miki - "durch meine Adern fließt Tarawasser" - die perfekte Zeit, um Spaß zu haben und seine Leute zu trainieren. Nenad-Neso ist einer seiner besten. Ohne ihn wären die sechs Möchtegern-Tara-Bezwinger in ihrem Schlauchboot verloren. Immer wieder dreht sich das Boot um sich selbst, wenn die Paddel trotz seiner Anweisungen nicht im Takt sind. Manchen Felsen kann die Crew gerade noch ausweichen.

Zu beiden Seiten des Flusses erheben sich Steilwände. Kurz hinter Splaviste spannen sich die filigranen Bögen der Tara-Brücke über den Canyon und klammern sich in die Uferhänge. Winzig klein sind oben Menschen zu sehen, die in den Canyon blicken. Die Männer im Schlauchboot winken fröhlich mit ihren Paddeln in der Hand.

Ihrem Erbauer hat die Brücke kein Glück gebracht. Der Ingenieur Lazar Jaukovic erschuf sie 1941, ein Jahr bevor die deutschen und italienischen Truppen in Montenegro einmarschierten. Kaum gebaut, musste Jaukovic sie schon wieder sprengen, um den Vormarsch der Faschisten zu stoppen. Wenig später wurde er erschossen - auf der Tara-Brücke.

Ausgangspunkt der Rafting-Touren ist die Pension Vila Jelka, die der 32-jährige Miki mit seinem Vater im Bergdorf Kolasin betreibt. Der verschlafene Ort ist von Podgorica, der Hauptstadt, in knapp zwei Stunden zu erreichen. Touristisch ist er dennoch kaum erschlossen. Die meisten Urlauber fahren an die Küste Montenegros, die Adria.

Vor der Jugoslawienkrise war Montenegro ein Tummelplatz für Schöne und Reiche aus Ost- wie Westeuropa, nach dem Bürgerkrieg touristisches Niemandsland. Es folgten Jahre der Goldgräberstimmung, verbunden mit blinder Bauwut: Russische Investoren überzogen die Küste mit Betonburgen. Heute ist der große Boom der Nachkriegsjahre wieder vorbei, doch zur Hauptsaison sind die Strände voll.

Das gebirgige Hinterland Montenegros ist ein Ziel für Abenteurer geblieben. Dabei ist Montenegro kleiner als Schleswig-Holstein. Nur etwa drei Stunden sind es vom Strand bis in die Berge nach Kolasin. Am Vormittag im Meer schwimmen und am Nachmittag Ski fahren - das ist theoretisch möglich.

Doch die 120 Kilometer von der Adriaküste ins Gebirge haben es in sich. In steilen Serpentinen schlängeln sich die Straßen kurz hinter Podgorica in die Berge. Felsbrocken liegen auf der Fahrbahn, die Leitplanken sind rostig, und manchmal sind die gähnenden Abhänge am Straßenrand völlig ungesichert.

Den Montenegriner kümmert das nicht. Das Handy am Ohr, orientalisch-fröhliche Balkanmusik im Radio und den Fuß konstant auf dem Gaspedal, rast er die engen Straßen hinauf und überholt selbst in den steilsten Kurven. Kreuze mit Plastikblumen in grellen Farben und Bilderrahmen mit den Porträts junger Frauen und Männer zeugen von den vielen Unfällen. Überall auf den Felsen bieten in krakeliger Schrift "Auto Slep", Autoabschleppdienste, ihren Service an. Unbeeindruckt vom Kamikaze-Verkehr grasen Pferde neben den Straßen, Kinder treiben mit Ruten Kühe die steilen Abhänge hinab.

Einheimische nennen Montenegro "Crna Gora", "schwarzer Berg". Dabei sind die höchsten Gipfel weiß getupft von Schneefeldern, weiter unten bedecken grüne Wälder die Hänge. In der klaren Bergluft hängt der Geruch von Grillfleisch, und immer wieder zieht einem der beißende Rauch von brennendem Plastik in die Nase. Wilde Müllkippen sind hier überall zu finden, selbst in den dünn besiedelten Bergen.

Doch der seit 2006 unabhängige Staat hat sich Umweltbewusstsein auf die Fahnen geschrieben. Der "erste ökologische Staat" will Montenegro sein. "Unser Land auf Ökotourismus umzustellen, ist die Zukunft für Montenegro", sagt Miki. Das ist noch ein weiter Weg. Miki prescht schon mal vor. Wer mit ihm eine mehrtägige Rafting-Tour durch die Tara-Schlucht macht, wird mit Essen aus Eigenproduktion versorgt: Bio-Kartoffeln, selbst hergestellter Frischkäse, Eier, Fisch und natürlich Rakija, selbst gebrannter Schnaps.

Abgefüllt in eine Zwei-Liter-Plastikflasche, ist der Rakija auch auf der Tara-Tour der sechs Freunde dabei. Das Boot auf einer Kiesbank geparkt, pausieren die Männer an Land. Mit einem großen Messer werden dicke Scheiben Brot abgeschnitten, dazu gibt es deftigen Speck und immer wieder einen großen Schluck Rakija. Mut antrinken für den weiteren Teufelsritt auf der Tara.

Als bei der Weiterfahrt am rechten Ufer eine weiße, christlich-orthodoxe Kapelle auftaucht, verstummen Montenegriner wie Russen schlagartig. Eben noch haben sie feixend gelacht, als sich über einen von ihnen und seinen Fotoapparat eine Wasserfontäne ergossen hat, jetzt sitzen sie alle ernst dreinblickend mit gebeugten Köpfen im Boot und bekreuzigen sich leise murmelnd. Der Segen Gottes kann ja nicht schaden beim Trip durch die Tara-Schlucht.