Nach dem Sturz des Regimes kehren die ersten Touristen nach Tunesien zurück. In den Hotels und am Strand ist so viel Platz wie nie

Angst? Nein, Angst habe er nicht. Rene Stuhldreier nickt seinen Freunden aufmunternd zu und sagt: Ja, sie hätten alle die Demonstrationen in Tunis im Fernsehen gesehen. Die Verletzten. Und die Toten. Aber jetzt sei die Revolution vorbei, und man könne wieder unbesorgt in die Urlaubsgebiete reisen. "Wir machen ja keine Kamelritte in die Wüste. Keine Ausflüge nach Karthago, keinen Einkaufsbummel über die Avenue Habib Bourguiba. Wir wollen nur Golf spielen."

Die Maschine nach Enfidha, dem neuen tunesischen Großflughafen am Golf von Hammamet, ist ausgebucht. Rene Stuhldreier aus Düsseldorf ist mit einer kleinen Gruppe zu einem zweiwöchigen Golfurlaub unterwegs. "Jahrzehntelang wurden die Tunesier ausgebeutet. Jetzt warten sie auf uns. Sie leben vom Tourismus. Denn er ist ihre Zukunft."

In der Ankunftshalle warten sie schon alle: Die Angestellten der Reiseveranstalter, der Hotels und sogar einige Zimmermädchen sind gekommen, um die ersten Urlauber nach der Revolte willkommen zu heißen. "Wahnsinn", sagt Bodo Zeuschner. "Als wir vor sechs Wochen hier Hals über Kopf ausgeflogen wurden, standen die Zimmermädchen an den Bussen und weinten. Jetzt sind sie hier und lachen."

Der 78 Jahre alte Rentner aus Berlin hatte seinen Überwinterungsurlaub gleich nach den ersten gewalttätigen Ausschreitungen abbrechen müssen. "Sie haben uns vom Strand weggeholt und in die Busse zum Flughafen verfrachtet." 80 Prozent des Reisepreises wurden ihm erstattet. Nun gehört er zu den ersten, die wiedergekommen sind. Gemeinsam mit seiner Frau. Für sechs Wochen. Flug, Hotel, Halbpension zum Preis von 1800 Euro für zwei Personen. "Die Tunesier sind so liebenswerte Menschen, wir dürfen sie einfach nicht im Stich lassen."

Ist Tunesien in diesen Wochen tatsächlich eine Reise Wert? So unmittelbar nach der Revolution und dem Flüchtlingsdrama an der Grenze zu Libyen? Wie ist die aktuelle Situation am Golf von Hammamet, dort, wo mehr als die Hälfte der 450 000 deutschen Urlauber, die jährlich nach Tunesien kommen, ihre Ferien verbringen?

Tunesien ist für Touristen sicher! Diese Botschaft verbreitet der neue Tourismusminister Mehdi Houas. "Wir haben Strände, Sonne und Wüste. Aber dazu haben wir jetzt ein Volk, das sich mit Würde und Stolz aufgelehnt hat." Der Minister kündigt günstige Preise an und die Förderung kleiner Hotels und Pensionen mit Familienanschluss.

"Sie können Ihren Urlaub bei uns in vollen Zügen genießen", versichert Mohamed Derouiche, der uns im Hotel "Sindbad" in Hammamet begrüßt. Das Luxushotel gehört heute zu den besten und meistbesuchten Nordafrikas. Der Garten voller Hibiskus, Oleander und Bougainvillea, mit Palmen und Eukalyptusbäumen, gleicht einem kleinen Paradies. "Wir hatten nie geschlossen", erzählt der Direktor. An einigen Tagen hätten sie nur 15 Gäste gehabt. Er habe die Zeit für Renovierungen genutzt. Das Personal sei weiter beschäftigt worden. Langsam bessere sich die Situation. Im März sei das Haus zu 25 Prozent ausgelastet. "Nach jeder Revolution folgt eine Krise. Aber dann geht es auch wieder aufwärts."

Ähnlich ist die Situation im Yasmine-Viertel von Hammamet. Hier vor den Toren der Stadt unmittelbar am Strand gibt es etwa 125 Hotels der gehobenen Klasse. Daniel Menéndez vom RIU-Hotel "Marco Polo", mit 470 Zimmern eines der größten Urlaubshotels Tunesiens, berichtet: "Unsere 30 Gäste, die geblieben waren, haben von den Ausschreitungen und dem Umsturz live nichts mitbekommen. Von der Revolution haben sie aus dem Fernsehen und dem Internet erfahren."

Noch sind es wenige Gäste, die man im Foyer, auf der Terrasse oder am Pool trifft. Der Strand vor dem Hotel ist menschenleer. Nur Tarek steht hier mit seinem Kamel und wartet geduldig auf bessere Zeiten. Der 36 Jahre alte Vater von fünf Kindern ist dringend angewiesen auf seine täglichen Einnahmen. Bis zu 5000 Dinar Verdienst, umgerechnet 2630 Euro, brachte ihm das Kamel bisher jährlich ein. "Und jetzt müssen wir alle hungern", klagt er und blickt böse hinüber zum kleinen Hafen. "Dort steht die Urlaubsvilla von Ben Ali, unserem Diktator, der uns alles eingebrockt hat und jetzt nach Saudi Arabien geflüchtet ist." Tarek spricht gut Deutsch. Er hat die Sprache während der Arbeit von seinen Gästen gelernt. Er lädt mich zu einem kleinen Strandausflug auf dem Kamel ein. Unterwegs erzählt er mir: "Unter Ben Ali durften wir nie unsere Meinung sagen. Er hat uns ausgebeutet. Ich hoffe, dass die Demokratie uns in Zukunft auch etwas mehr Geld bringt."

Auch Salem Essid, der mit seiner Frau und vier Kindern in dem kleinen Fischerdorf Härgla lebt, hofft auf eine bessere Zukunft. Als Oberkellner im "Bellevue Park Hotel" im Badeort Port al-Kantaoui verdient er umgerechnet knapp 263 Euro im Monat.

Port al-Kantaoui liegt 80 Kilometer südlich von Hammamet und gehört zur Stadt Sousse, neben Djerba zweite Urlauberhochburg des Landes. Es ist ein kleiner Küstenort mit einem wunderschönen Hafen und modernen Hotels. Die Hamburgerin Annemarie Wiedemeyer ist soeben mit ihrer Freundin im Hotel "Hasdrubai" angekommen. "Wir hatten den ersten Direktflug von Hamburg nach Enfidha", erzählt sie. Nein, Bedenken habe sie keine, resolut setzt sie hinzu: "Wenn wir jetzt nicht den Anfang machen, wer denn dann?" Die beiden Frauen wollen das schöne Wetter genießen, sich im Thalasso des Hotels verwöhnen lassen und einen Ausflug in die Altstadt von Sousse machen.

Von weiteren Besichtungsfahrten wird allerdings noch abgeraten. Besonders von Reisen in die Sahara und ihre Randgebiete. Eindringlich warnt das Auswärtige Amt hier vor erhöhten Anschlags- und Entführungsrisiken. Entwarnung gibt es für die Badeorte an der Küste. "Wir richten uns streng nach den Vorgaben des Auswärtigen Amtes", bestätigt Todor Petrov, der verantwortliche Mann des Veranstalters TUI vor Ort. "Die meisten Besichtungsfahrten und Ausflüge sind vorerst gestrichen." Das bedeutet: Zunächst gibt es keine Stadtrundfahrt durch Tunis, keinen Besuch im Bardo-Museum mit seinen weltberühmten Mosaikarbeiten und auch keine Besichtigung der Thermen des Kaisers Antonious Pius in Karthago. Auch auf die Ausflüge nach Dougga, dem tunesischen Pompeji, und zum berühmten Amphitheater von El Djem müssen Pauschalurlauber verzichten. "Wenn das Auswärtige Amt Entwarnung gibt, ist alles wieder möglich", sagt Todor Petrov.

"Alles wird gut", meint auch Wiltraut Gläß. Die 69-jährige Rentnerin sitzt gemütlich in der Sonne auf der Hotelterrasse vom "Hasdrubai" und genießt ihren Espresso. Sie ist zum 111. Mal in Port al-Kantaoui. Während der Revolution war sie eine Woche lang der einzige Gast im Hotel mit seinen 230 Zimmern. "Ich fühlte mich keine Minute allein gelassen. Alle kümmerten sich rührend um mich. Ich weiß, wenn ich wieder in Deutschland bin, werde ich schon nach wenigen Tagen wieder Sehnsucht nach Tunesien haben."