Die Kapverdischen Inseln sind für die meisten Reisenden abwechslungsreiches Neuland.

Dann fährt der Wind in das Segel, das sie aus alten vietnamesischen Reissäcken zusammengenäht haben, bläht es zu einem übergroßen Bauch und schiebt das Boot hinaus auf den tiefblauen Atlantik. Kapitän Alfonsin steckt das Ruder ins Heck und zurrt den Mast mit einem alten Tau fest. Es gibt kein blinkendes Messing an Bord, kein elektronisches Instrument, das ganz aus Holz gefügte gute Stück wäre eine Zierde für jedes Museum, und doch fährt sein Besitzer damit Tag für Tag hinaus zum Fischen.

Heute aber hat er Touristen mitgenommen, und das ist etwas Neues. Die Fischer von Salamansa auf der Insel Sao Vicente haben sich einem Projekt des WWF angeschlossen: Es soll kapverdischen Schülern die Schönheiten ihrer Heimat nahebringen. Um es kennenzulernen, waren die Gäste eine halbe Stunde entlang einer Leine durch das Küstengewässer geschnorchelt. In regelmäßigem Abstand lag in vier, fünf Metern Tiefe eine Metallplakette verankert: Sie zeigte Algen, Schildkröten, tote und lebende Korallen und wies kurz auf ihre Bedeutung hin: "Schwämme filtern das Wasser." Dazwischen flitzten kleine Fische, wiegten sich Algen wie auf der Abbildung - ein sehr lebendiger Aufklärungsparcour. Und nach dem Segeltrip servierten die Fischer den Besuchern Thunfisch vom Grill.

Es gibt Neues auf den Kapverden, den 15 Inseln 500 Kilometer westlich vor der Küste Senegals, und es sind nicht nur die All-Inclusive-Burgen der Riu-Hotelkette auf Sal und Boavista. Neu ist ein Naturschutzprojekt auf Sal, bei dem Freiwillige die Nester von Meeresschildkröten bewachen und Touristen dabei sein können, wenn frisch geschlüpfte Panzerträger wie aufgezogen ins nahe Meer wuseln. Auf Santo Antao verkauft man neuerdings heimische Marmelade aus Guave oder Papaya und aromatische Bergkräuter für Küche und Gesundheit. Und sogar neue Musik ist zu hören: Zwischen die alten Mornas und Caldeiras, die Cesaria Evora in aller Welt berühmt gemacht hat, mischen sich etwa die Klänge des jungen Hernani, der melodiöse Gitarrenmelodien auf die afrikanischen Rhythmen setzt.

Schon vor Jahren hat die Regierung den Tourismus zum obersten Wirtschaftsmotor erklärt. Und tatsächlich ist die Zahl der Übernachtungen ständig gestiegen: von 290 000 im Jahr 2006 auf über zwei Millionen im vergangenen Jahr. Viele Straßen wurden asphaltiert, Sao Vicente hat einen neuen internationalen Flughafen erhalten, Universitäten bieten touristische Ausbildung an. Und jeder Betrieb hat neuerdings ein Beschwerdebuch zu führen.

80 Prozent aller Besucher zieht es an die Strände von Sal und Boavista. Solange sich der Massentourismus auf die "Sandinseln" konzentriert, bleiben die anderen halbwegs intakt: Fogo mit seinem schwarzen Vulkan. Die Sierra Malagueta auf Santiago, eine zerklüftete Berglandschaft mit spektakulären Felsabbrüchen, die nach der Regenzeit von einem weichen grünen Pelz überzogen ist. Und nicht zuletzt das Schmuckstück: die Insel Santo Antao. Dort haben Flüsse Canyons eingeschnitten wie mit dem Seziermesser, Drachenzähne ragen in den Bergen hoch, und hinter blauen Zacken und Zinnen leuchtet es abends, als schmiedeten geheimnisvolle Bergvölker glühendes Eisen.

Der Weg zum Pico da Cruz steigt zwischen Bananenhainen und strohgedeckten Steinhäusern steil an. Rufe schallen von Feld zu Feld, die Fischverkäuferin mit dem Korb auf dem Kopf ist schon unterwegs. "White", der 32-jährige Führer, der seinen Spitznamen trägt, weil er weniger schwarz ist als seine Kumpel, mahnt zur Bedächtigkeit: Nur langsam sind die fünf Stunden Zeit und die 1500 Meter Höhe zu bewältigen. Die Sonne gibt ihm schon bald glühend recht.

Der Weg wurde einst im Auftrag der portugiesischen Kolonialherren gepflastert. Ein alter Mann jätet seine Tabakpflanzen. Ob man vielleicht die Wasserflaschen ...? Kein Problem, sagt Anton Fonseca, und zeigt den Wanderern seinen Tank. Zerschlissene Maisstrohbetten liegen zum Trocknen aus, Vitoria, seine Frau wischt sich die Hände an der Schürze ab. Seit 1985 leben die beiden hier, haben fünf Kinder großgezogen. Alle wohnen auf Santiago: Polizist ist der Erste, Moment, wir haben ein Fotoalbum ...

Sicher ist das ein wunderschöner Flecken Erde, mit diesem Blick ins Grün rundum, und ganz weit vorne, ganz weit unten liegt das blaue, blaue Meer. Aber das Leben ist hart. Der Grundbesitzer will regelmäßig seine Pacht. Eben haben wieder mal die Tausendfüßler die Maissaat aufgefressen. Und ein Ende der Plackerei ist nicht in Sicht: "Vitoria ist 70, ich bin 74 - aber wir müssen weitermachen, was sollen wir sonst tun?"

Der ganze Hang ist jetzt ein riesi-ges heißes Treibhaus ohne Glas. Zucchini wachsen auf Beeten in 45-Grad-Schräge, Süßkartoffeln ranken wie Efeu über die Mauern, und wo sich kein Guavenstrauch, keine Feige, keine fedrige Akazie festgesetzt hat, leuchten die orangegelben Blütenknöpfe der vielen Wandelröschen wie kleine Juwelen.

"White" hat inzwischen seine Sportschuhe gegen Flipflops getauscht und macht immer mal wieder Halt, um seinen Wintervorrat an Zitronenthymian einzusammeln: gut gegen Erkältung, das Kraut! Nach anstrengenden vier Stunden steht eine letzte Pause an. Die beiden Jungs Amils und Cledir, 14, 15 vielleicht, sind allein zu Hause. Cledir macht gerade Ziegenkäse fertig. Bedächtig gießt er die Molke ab und schaufelt die Käsemasse in einen Metallring. Wieder und wieder knetet er den weißen Brei fester und immer dichter. Hühner laufen zwischen den Beinen umher, an der Mauer trocknet ein Ziegenmagen, der Lab für die Käseherstellung liefert, der halb blinde Amils wippt mit seinen Füßen zu "Staying Alive" aus dem Kofferradio, wippt in seinen uralten, hundertfach geflickten, viel zu großen und schon wieder zerrissenen Schuhen - und die schicken Strandschönheiten von Sal, die moderne Marina von Mindelo, die reich bestückten Frühstückbüffets der Hotels von Boavista scheinen jetzt allesamt Lichtjahre entfernt.

Abends, am Hafen von Punta do Sol, hat der Wirt einen Tisch unter freiem Himmel aufgestellt. Zu gegrilltem Seehecht gibt es Platten mit Yams, Maniok, Süßkartoffeln und Mangold, all dem schmackhaften Grünzeug, das oben auf den Hängen wächst. Jupiter leuchtet, 50 Meter weiter donnert der Atlantik gegen den Fels, Jungs aus dem Dorf spielen wieder einmal "Saudade", das Lied der Melancholie, die heimliche Hymne der Inseln. Jetzt wird es Zeit für einen Grogue, den scharfen Zuckerrohrschnaps. "Saúde!" - sollen sie auf Sal und Boavista baden, surfen und durch die Läden ziehen: Am Ende findet auf den Kapverden jeder, wonach ihm der Sinn steht.

Quelle: www.nr-medienvertrieb.de