Sanfte Riesen im Schatten der Vulkane: Die seltenen Berggorillas in Ruanda gehören zu den aufregendsten Naturerlebnissen, die Afrika zu bieten hat.

Über den Tälern liegt zäh der Morgennebel, nur die mehr als 4000 Meter hohen Spitzen der mächtigen Vulkane des Virunga-Massivs leuchten schon in der milchigen Sonne. Morgens um sieben geht es am Eingang des Volcanoes National Park im Nordwesten von Ruanda bereits hoch her. Eine Armada Safari-Jeeps parkt auf der Straße, Dutzende von Touristen aus aller Welt in bunter Trekking-Kleidung laufen unruhig umher. Kein Wunder - steht ihnen doch eines der aufregendsten Naturerlebnisse Afrikas bevor.

Hier, im unwegsamen, von Regenwald und Bergen dominierten Grenzgebiet zwischen Ruanda, Uganda und dem Kongo leben sie, die letzten Berggorillas, die nach Jahrzehnten von Wilderei, Bürgerkriegen und Vernichtung ihres Lebensraums durch die Menschen übrig geblieben sind. "Wir gehen davon aus, dass es insgesamt noch 700 bis 800 Gorillas gibt, davon etwa 280 in Ruanda", sagt Anaclet Budahera, Chef des Nationalparks. Etwa 130 der hier ansässigen sanften Riesen dürfen nur von Wissenschaftlern beobachtet werden.

Touristen können sieben Familien der Menschenaffen besuchen, die es in keinem Zoo der Welt gibt, weil man sie nicht in Gefangenschaft halten kann. Dafür sind manchmal mehrstündige Fußmärsche durch unwegsames Gelände erforderlich. Eine Stunde am Tag dürfen insgesamt 150 Tiere menschliche Besucher "empfangen". Um die Gorillas zu schützen, werden täglich nur 56 Besuchserlaubnisse erteilt. Sie kosten pro Person 500 US-Dollar und müssen wegen des großen Andrangs bis zu acht Monate im Voraus beantragt werden. "Wer Schnupfen hat oder Grippe, darf nicht mit - zu leicht könnten sich die Gorillas anstecken", mahnt Francis, der heute unsere Gruppe führt.

Ständig sind Trekker in den Wäldern unterwegs und verfolgen die Bewegungen der Gorilla-Familien. "Die bauen sich jede Nacht neue Nester, bewegen sich aber selten mehr als 600 bis 1000 Meter pro Tag fort", weiß Francis. Morgens wird eingeteilt, welche Besuchergruppe von acht Leuten welche Gorilla-Familie besucht. "Wir gehen heute zur ,Hirwa'-Familie, das heißt übersetzt 'Glücklich sein'", erklärt Francis. Sie bestehe au 13 Mitgliedern, fährt er fort. Am wichtigsten ist der Silberrücken, das Männchen. "Dieser heißt Munyimya, nach einem Hügel, in dessen Nähe er geboren wurde, er ist mit etwa 20 bis 25 Jahren einer der jüngeren, 30 bis 50 Jahre werden die Gorillas alt", so der Guide. "Wenn sie etwa zwölf Jahre alt sind, verfärbt sich das Rückenfell männlicher Gorillas ins Silbrige - daher der Name. Außerdem gehören noch fünf Weibchen, vier Babys und drei Jugendliche zur Familie." Die Gruppe ist ausgerüstet mit Trekkinghosen und Wanderstiefeln - wir hatten Glück und haben die Gorilla-Familie zugewiesen bekommen, die in rund einer Stunde zu erreichen ist.

Eine kurze Autofahrt unterhalb der mächtigen Vulkane, dann geht es zu Fuß weiter. Auf den Feldern arbeiten Frauen mit Spitzhacken, Kühe grasen, über uns thronen die Gipfel von Gahinga (3474 m) und Muhabura (4127 m), beides erloschene Vulkane. Kaum zu glauben, dass so nahe von hier derart exotische Wesen wie Berggorillas leben sollen. Nach sanftem Anstieg überwinden wir eine Mauer, sind plötzlich in einem dichten Bambuswald. Hier, auf etwa 2700 Meter Höhe, beginnt der Nationalpark. Wir treffen die Trekker, sie haben die Hirwa-Familie in der Nähe geortet. Francis rekapituliert die wichtigsten Verhaltensregeln: "Bleibt nahe beieinander, sprecht leise, haltet sieben Meter Abstand zu den Tieren, fotografiert nur ohne Blitz. Wenn einer auf uns zukommt: stehen bleiben. Kommt er näher: hinhocken, nicht in die Augen schauen. Warten bis er vorbeigeht oder sich zurückzieht. Und ihr dürft nie einen Gorilla anfassen!" Alle nicken. Wir treten aus dem Bambuswald auf eine Lichtung voller grünem Dickicht. Da! Ein schwarzes Fellbündel hockt nur drei Meter entfernt und nagt an einer Bambusstange. Das Terrain ist anspruchsvoll, einige können sich kaum auf den Beinen halten. Überall ragen Zweige, Äste und Wurzeln auf, es ist schwer, sich einen bequemen Standplatz zu verschaffen. An sieben Meter Abstand ist in hier gar nicht zu denken, kaum zwei bis drei Meter entfernt sitzt plötzlich die ganze Gorilla-Familie - und nimmt keine Notiz von uns.

Die Kleinen balgen sich, schmiegen sich ans Fell der Mutter, säugen. Die Größeren liegen faul auf dem Rücken, zeigen beim Gähnen ihr mächtiges Gebiss und ihre sanften, faltigen Gesichter sowie Hände und Füße, die unseren verdammt ähnlich sehen. Der Silberrücken liegt abseits und regt sich nicht. Fast alle verzehren das feuchte Mark der Bambusstangen. "Sie fressen 200 Pflanzenarten, Bambus gibt es nur zu dieser Jahreszeit, den mögen sie am liebsten", flüstert Francis. "Sie futtern 15 Prozent ihres Körpergewichts pro Tag, das sind bei einem Silberrücken etwa 30 Kilo, darin enthalten sind 17 Liter Wasser."

Plötzlich kommt ein halbstarker Gorilla-Junge auf uns zu, trommelt sich an die Brust - so wie man es in "King Kong"-Filmen gesehen hat. Doch das ist nur Schau, gleich danach trollt er sich in die Gruppe zurück. Die Primatenforscherin Dian Fossey hat genau hier gearbeitet und wurde 1985 in der Nähe in ihrer Hütte ermordet. Sie hat der Öffentlichkeit beigebracht, dass Gorillas keine aggressiven Monster sind wie im Film, sondern friedliche und hochsensible Wesen, die zu 97 Prozent mit Menschen identische Gene besitzen. Und sie hat mit Erfolg gegen die Wilderei gekämpft: "Im Todesjahr von Dian Fossey, 1985, starb hier der letzte Gorilla durch Wilderer", sagt Francis. Heute leben die Menschen sehr gut vom streng reglementierten Gorilla-Tourismus.

Für uns ist die Szenerie im Angesicht der Tiere unwirklich, schon nach einigen Minuten bei aller Exotik seltsam vertraut. Plötzlich steht der Silberrücken auf, schreitet majestätisch in Richtung des Bambuswalds, die anderen folgen, direkt vor unseren Füßen.

"Wir gehen", flüstert Francis. Behutsam tritt die Gruppe den Rückzug an, erfüllt von dieser bewegenden Begegnung. Nachmittags besuchen wir ein Dorf, das als Kulturzentrum betrieben wird, um ehemaligen Wilderern eine Existenz zu geben. "Früher haben die Leute Büffel, Buschbabys und Gorillas gejagt", sagt Didier, der uns herumführt. Ein kleinwüchsiger Mann bleckt seine Zähne, tanzt wie ein Derwisch mit Schild und Bogen umher. "Das ist Leonidas, ein Pygmäe, früher einer der erfolgreichsten Wilderer", erklärt Didier. Der kleine wilde Mann ist schon 66 - er tanzt stundenlang und führt sein Können als Bogenschütze vor, nie ohne ein breites Grinsen im Gesicht. Hier herrscht echte Lebensfreude, nicht Touristen-Folklore von der Stange. Eine kleine afrikanische Erfolgsgeschichte, die Hoffnung macht.

Video: Berggorillas in Ruanda