Noch immer geben sich die Bahamas britisch. Als Nationalgericht kommen allerdings Meeresschnecken auf den Tisch, zubereitet in allen Varianten.

Dass sich jemand die Bahamas aussucht, um dort für Rekorde im Tieftauchen zu üben, hört sich zunächst sonderbar an. Schließlich stammt der Name der Inselgruppe vom spanischen "Baja Mar" ab, was übersetzt flaches Meer bedeutet. Als solches war die Gegend jahrhundertelang unter Seefahrern gefürchtet, viele liefen mit ihren Schiffen auf Grund. Selbst heute passiert das noch dann und wann.

Der Neuseeländer William Trubridge, 31 Jahre alt und einer der besten Apnoetaucher der Welt, hat allerdings eine besondere Stelle gefunden, an der er wohl niemals Grundberührung bekommen wird. Nur wenige Schwimmzüge vom Strand auf Long Island entfernt tut sich ein dunkles Loch unter Wasser auf, das 202 Meter tief ist und den Namen Dean's Blue Hole trägt.

Dieses "blaue Loch" gilt als das tiefste weltweit. Oben ist es 25 bis 30 Meter breit, darunter weitet es sich zu einer mit sauerstoffarmem Süßwasser gefüllten Unterwasserhöhle von etwa 100 Meter Durchmesser. Das geheimnisvolle, stockdunkle Loch ist wahrscheinlich während der letzten Eiszeit entstanden. Auf den Bahamas gibt es einige durch Regen- und Grundwasser ausgewaschene Höhlen im Kalkstein, manche davon mit einer Verbindung zum Meer, andere ohne.

Bis auf etwas mehr als 100 Meter Tiefe hat es William Trubridge im Dean's Blue Hole schon geschafft - ohne Sauerstoffflasche und Schwimmflossen, aber immerhin mit einem Seil als Orientierungshilfe. Erfahrene Taucher können bei so etwas mehr als vier Minuten lang den Atem anhalten. Normale Menschen hätten da längst das Bewusstsein verloren.

Extremsportler wie Trubridge müssen sich gesund und ausgewogen ernähren. Auf den Bahamas ist das kein Problem, aber auch keine Selbstverständlichkeit, wie die auffallend hohe Zahl sehr korpulenter Menschen zeigt. Es gibt, vor allem auf den stärker besiedelten Inseln wie New Providence und Grand Bahama, einen ungesunden Trend zu Fast Food und Frittiertem. Traditionell wird hier neben Fisch vor allem Conch serviert, das Muskelfleisch einer noch weit verbreiteten Meeresschnecke. Neben Conch-Gulasch, Conch Chowder und den unvermeidlichen Conch Fritters sollte man auf jeden Fall mal einen frischen Conch-Salat probieren.

Die vielleicht beste Adresse hierfür ist Max's Conch Bar an der den Norden mit dem Süden verbindenden Hauptstraße von Long Island. Vor den Augen der Gäste holt Max lebende Fechterschnecken aus seinem Vorratsraum, sticht mit einem Messer seitlich in sie hinein und löst das Muskelfleisch von dem bei Souvenirjägern beliebten Gehäuse. Anschließend hackt er die Conch zusammen mit Sellerie, Tomaten, Gurken, Zwiebeln und Äpfeln in kleine Stücke, beträufelt sie mit Limettensaft und serviert das Ganze knackfrisch seinen Gästen. "Schmeckt echt lecker und macht bestimmt nicht dick", lobt Tieftaucher Trubridge - und bekommt von den Umstehenden Zustimmung. "Ein kühles Kalik dazu?", fragt Max. Und schenkt, als alle nicken, noch eine Runde des lokalen Bieres aus.

Wer noch nicht viel über die Bahamas gehört hat und das erste Mal die weitläufige Inselwelt südöstlich von Florida besuchen will, greift am besten mal tief hinein in die große Klischee-Kiste, um zu benennen, was er erwartet: tolle Strände, tolles Wasser, tolle Leute. Damit, das kann man mit Fug und Recht behaupten, liegt niemand falsch, zumal es 700 Inseln und rund 350 000 Einheimische gibt. Oft genug konnte man schon im Kino umwerfende Drehorte bewundern, mal mit Daniel Craig, Sean Connery oder Roger Moore als James Bond, mal mit Johnny Depp als Captain Jack Sparrow in "Fluch der Karibik".

+++Urlaub bleibt die populärste Form des Glücks+++

Doch was weiß man noch? Vielleicht, dass tagtäglich riesige US-Kreuzfahrtschiffe dort anlegen und deshalb die meisten der rund acht Millionen Touristen jährlich aus den Vereinigten Staaten kommen. Oder dass mancher Schauspieler oder Popstar stolzer Besitzer eines eigenen Eilandes ist. Aber wer kennt schon den Unterschied zwischen Hauptinseln (die mit den internationalen Flughäfen, dem Fast Food, den US-Touristen) und den Out Islands (wie Long Island), neuerdings lieber Family Islands genannt, um niemanden auszugrenzen? Und wer ahnt, dass die holprige zweispurige Straße, an der Max's Conch Bar liegt, Queen's Highway heißt und überall Linksverkehr herrscht?

Gewidmet ist die gar nicht so prächtige, aber ungemein wichtige Straße Königin Elizabeth II., Oberhaupt des Commonwealth of Nations. Dieser Bund steht in der Tradition des britischen Empire und umfasst zahlreiche souveräne Staaten, die früher Kolonien der Krone waren. Als Mitglied des Commonwealth erkennen die Bahamas noch immer die Queen als Staatsoberhaupt an, die Regierungsgeschäfte bestimmt allerdings wie in London ein vom Parlament gewähltes Kabinett.

Die Treue zu Großbritannien und der dortigen Monarchie hat auf den Inseln Tradition. Nachdem der Spanier Cristóbal Colón, bei uns bekannt als Christoph Kolumbus, 1492 die Bahamas entdeckt hatte und binnen weniger Jahrzehnte die rund 40 000 dort lebenden Lucayans nach Hispaniola deportieren ließ, um sie zu versklaven, erhob 1629 der englische König Karl I. Anspruch auf das rohstoffarme und nicht sehr fruchtbare Archipel. In den Folgejahren errichteten Briten erste Siedlungen, 1717 wurden die Bahamas dann zur Kronkolonie.

Doch erst mit dem Ende des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges (1775 bis 1783) bekamen die Inseln eine größere Bedeutung. Zahlreiche britische Loyalisten verließen die amerikanischen Südstaaten und bauten sich, etwa als Baumwollfarmer, in der neuen Heimat eine Existenz auf. Sie und die damals mitgebrachten Sklaven bilden das Fundament der heutigen Bevölkerung, die fast so bunt gemischt ist wie der Artenreichtum unter Wasser.

Wer Interesse an solchen Geschichten hat, sollte einen Abstecher nach Hope Town einplanen. Mit einem Boot der Green Turtle Ferry gelangt man von Abaco in etwa einer halben Stunde hinüber nach Elbow Cay, wo eines der Zentren der Loyalisten zu finden ist - und zugleich einer der schönsten Orte der Bahamas. Wahrzeichen von Hope Town ist das 36 Meter hohe Elbow Reef Lighthouse, ein rot-weiß gestreifter Leuchtturm, erbaut 1864.

Steigt man die 101 Stufen bis nach oben und zwängt sich dann durch eine winzige Tür nach draußen, wird man mit einem grandiosen Panorama belohnt: unten im Ort Bootsstege und Holzhäuser in pastellbunten Farben, im Hafen weiße Motor- und Segelyachten, dazu Strände, Palmen und die Weiten des Atlantik. Kein Wunder, dass dieser Turm zahlreichen Paaren als perfekter Ort für ihre Hochzeit galt.

Getraut hat die Leute Vernon Malone, inzwischen 74 Jahre alt, aber immer noch täglich in seinem Laden für Haushaltswaren und Lebensmittel anzutreffen. Vernon, ein direkter Nachfahre der Gründerin von Hope Town - und natürlich ein glühender Verehrer von Elizabeth II. -, ist im Nebenjob Marriage Officer und hat seit 1994 fast 800 Paaren das Jawort abgenommen. "Auf den Leuchtturm gehe ich dafür aber nicht mehr", sagt er, "leider ist dort mal ein Kind verunglückt. Seitdem bleiben wir lieber unten."

In Hope Town gibt es auch ein kleines Museum, das die Geschichte der Bahamas anschaulich dokumentiert. Dort wird unter anderem gezeigt, wovon viele der Einheimischen lange Zeit lebten: dem Wrecking. Strandete ein Schiff in den flachen Gewässern, machten die Leute an Land fette Beute. "Insofern war manchem der Leuchtturm natürlich ein Ärgernis", sagt Vernon Malone.

Heute sorgt vor allem der Fremdenverkehr für den Lebensunterhalt, wenngleich er sich hier auf Ruhe suchende Langzeiturlauber, Ferienhausmieter und wenige Hotelgäste beschränkt. Einer, der schon lange kommt und inzwischen auch ein Haus besitzt, ist Hermann Schadt aus Hanau. Er schwärmt: "Hier kann man unbesorgt die Türen offen lassen, da wird garantiert nichts gestohlen. Das ist, ehrlich gesagt, nicht überall so im Land, vor allem die Hauptstadt Nassau gilt als ziemlich heißes Pflaster. Dorthin bekommen mich keine zehn Pferde."

Redet man über Urlaub auf den Bahamas, kann das also vielerlei bedeuten. Man findet gigantische Kasino-Kathedralen wie das Atlantis auf Paradise Island, belebte Kreuzfahrer-Zentren wie Port Lucayan, aber auch abgelegene Anlagen zum Relaxen wie das Cape Santa Maria Beach Resort auf Long Island oder gar ein eigenes kleines Holzhaus mitten in Hope Town. Man steht an Stränden, die zweifelsohne zu den schönsten der Welt gehören und einer Fototapete als Vorlage dienen könnten. Und man trifft auf Leute, die einem im Gedächtnis bleiben: auf Grand Bahama zum Beispiel die ausgewanderte Deutsche Erika Hart, die mit ihrer Agentur für Naturtourismus Kajak-Touren in den Nationalpark anbietet und einen vom Hurrikan zerstörten botanischen Garten wieder aufgebaut hat. Oder Charles Knowles, der einem die Geheimnisse des Riffs vor Long Island erklärt, die Angel zum Bonefishing reicht und dabei lachend berichtet, wie er mal von einem Hai angegriffen wurde.

Auch Brendal Stevens ist ein echtes Original. Auf Green Turtle Cay, einer kleinen Insel nahe Abaco, betreibt er schon seit vielen Jahren seine Tauchschule. Mit dem Boot organisiert er zudem Ausflüge zu einsamen Buchten, wo er dann auf dem Grill ein Seafood-Barbecue brutzelt, das schon Hollywoodstars wie Julia Roberts und Tom Hanks begeisterte.

Unvergessen bleibt aber nicht nur der Geschmack von Hummer und Grouper, sondern auch das Erlebnis, mal einen wild lebenden Rochen per Hand füttern zu können. "Jetzt kommt Georgette", ruft Brendal, als sich im knietiefen Wasser etwas Dunkles nähert. Der Tauchlehrer kennt das prächtige Tier schon seit fast 20 Jahren. Und hat - wie immer - einen Teil der Barbecue-Zutaten für den Rochen reserviert.