Das oberfränkische Bayreuth ist für viele ein Synonym für die alljährlich stattfindenden Festspiele. Doch die Stadt hat noch viel mehr zu bieten.

Harald Hohl ist stolz auf sein Juwel. "Die meisten barocken Theaterhäuser sind abgebrannt. Es ist etwas Besonderes, dass unseres noch steht", sagt er. Seit 33 Jahren ist der gemütliche Oberfranke Kastellan des Markgräflichen Opernhauses in Bayreuth. Er gehört dazu wie die Einrichtung, mit der er fast schicksalhaft verbunden ist. "Alles Holz kommt aus demselben Ort wie ich: Spänfleck, zehn Kilometer von hier", sagt der 53-Jährige und berührt die kunstvoll bemalte Wandverkleidung.

Wir sitzen in der Prunkloge des Markgrafenpaars Friedrich und Wilhelmine von Bayreuth. "Friedrich der Vielgeliebte" lehnte der Legende nach aber lieber nahe der Bühne an der Balustrade, wo er den besten Blick auf die Beine der Tänzerinnen hatte. Seine Gemahlin war die Lieblingsschwester Friedrichs des Großen, dessen 300. Geburtstag dieses Jahr gefeiert wird. Die preußische Prinzessin aus Potsdam liebte das Opernhaus - sie war nicht nur Intendantin und Regisseurin, sondern stellte sich auch als Actrice auf die Bretter.

Noch in diesem Jahr soll das Markgräfliche Opernhaus, erbaut 1746 bis 1748, zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt werden. Der Antrag ist eingereicht, und Bayreuths Schmuckstück hätte die Anerkennung verdient. Wenn man durch das schlichte Treppenhaus in den Bühnensaal tritt, hält man erst einmal die Luft an. Die Holzeinrichtung, in Preußischblau gehalten und mit goldenen Ornamenten und Figuren reich geschmückt, ist an barocker Pracht kaum zu überbieten. Sie ist ein Werk des Bolognesen Giuseppe Galli-Bibiena, des berühmtesten Theaterarchitekten seiner Zeit. Bis auf die dezent eingepasste Bestuhlung und die gut versteckte Elektrizität ist alles noch wie vor 264 Jahren. "Nur der Vorhang nicht. Den soll Napoleon 1810 mitgenommen und seiner Frau geschenkt haben.1882 wurde er beim großen Theaterbrand in Wien zerstört", sagt Hohl. Der Kontrast zwischen dem schlichten Äußeren und der fast verrückten Glorie im Inneren sorgt für einen Überraschungseffekt. Auch wenn man es schon kennt, ist man immer wieder überwältigt.

Ohne das Markgräfliche Opernhaus gäbe es die Wagner-Festspiele nicht. Weil Richard Wagner von dem Prachtstück las, zog es ihn 1870 nach Bayreuth. Heute ist es umgekehrt: Die Festspiel-Gäste kommen wegen Wagner - und landen nebenbei im Opernhaus. "Placido Domingo, Prinz Charles, die dänische Königin, Richard Burton, Schlingensief, alle waren hier. Loriot feierte hier seinen 80. Geburtstag", sagt Hohl.

Trotzdem wird Bayreuths markgräfliches Schmuckstück immer im Schatten des Grünen Hügels stehen, auch als Weltkulturerbe. Davon ist der Kastellan überzeugt. "70 Kilometer von hier weiß keiner, was das Opernhaus in Bayreuth ist", sagt Hohl. "Über Wagner vergessen die Leute alles andere. Aber das ist gut, die Stadt lebt ja davon."

+++Bayreuther Festspiele ändern Ticketvergabe+++

Während der Richard-Wagner-Festspiele (25. Juli bis 28. August) ist Bayreuth wieder im Ausnahmezustand. 58 000 Zuschauer sahen sich 2011 die Aufführungen an. Bis zu zehn Jahre muss man auf eine Eintrittskarte warten. Die Zimmerpreise schießen in die Höhe. Prominente sorgen auf dem Grünen Hügel für Blitzlichtgewitter. Wenn die ganze Aufregung vorbei ist, kehrt wieder Ruhe ein in das weniger als 73 000 Einwohner zählende Städtchen.

Vom Alten Schloss, dessen achteckiger Glockenturm einen fantastischen Blick über die Stadt ermöglicht, ist es nur ein kurzer Spaziergang zum Neuen Schloss, das auch von Friedrich und Wilhelmine gestaltet wurde. Der Hofgarten mit Orangerie, Wasserläufen und üppigen Beeten ist paradiesisch. Viele, die Wagners Grab und die Villa Wahnfried besuchen, verweilen länger im Schatten der uralten Bäume. Es ist schwer vorstellbar, wie die Blütenfülle noch gesteigert werden soll, wenn 2016 die Bayerische Landesgartenschau in Bayreuth stattfindet.

"Bayreuth ist schön - und überschaubar. Alles ist bequem zu Fuß erreichbar", sagt Martin Blum. Der 22 Jahre alte Theaterfan aus Sachsen kam in die Universitätsstadt, um Germanistik zu studieren, und blieb. Da er Franz Liszt verblüffend ähnlich sieht, verkörpert er den Komponisten bei Kultur-Kutschfahrten durch die Stadt. 2011, zum 200. Geburtstag, widmete Bayreuth dem Freund, Förderer und späteren Schwiegervater Richard Wagners ein ganzes Jahr mit Konzerten, Lesungen und weiteren Veranstaltungen. "Liszt war eine interessante Persönlichkeit, schwankend und schwer zu fassen, fast ein Schauspieler", sagt Martin Blum, der den Künstler bewundert.

+++2013 gibt es kein Pardon+++

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2013 steht dann ganz im Zeichen Richard Wagners. Anlässlich seines 200. Geburtstages wird der kontroverse Komponist auch außerhalb der Festspielzeit im Rampenlicht stehen. An der Friedrichstraße liegt die altehrwürdige Pianofortefabrik Steingraeber & Söhne. Die 1852 in Bayreuth gegründete Traditionsfirma baut seit 1875 Konzertflügel für die Wagner-Festspiele, also von Anfang an. Es begann damit, dass Eduard Steingraeber Liszts Flügel reparierte, wenn der wilde Pianist sie in Stücke spielte. Bis heute werden alle Flügel der Traditionsfirma mit der Hand gefertigt - sie ist eine der vier letzten weltweit, die noch kunsthandwerklichen Klavierbau betreiben. Bei einer Führung durch die Klaviermanufaktur wird gezeigt, wie ein Festspiel-Flügel entsteht. Eine faszinierende Zeitreise, für die allein sich schon ein Besuch in Bayreuth lohnt.

Das reiche kulturelle Angebot auf kleinstem Raum ist ein weiterer Grund, das malerische Städtchen zu besuchen. Bis zu 60 Kulturveranstaltungen organisiert allein der heutige Inhaber der Klaviermanufaktur, Udo Schmidt-Steingraeber, im Jahr - Mozart, Schubert und natürlich auch Wagner. Viele finden in dem prächtigen Rokokosaal der Firma statt, in dem auch der berühmte Liszt-Flügel von 1873 steht. "Der heißt so, weil Liszt hier seine Salons abgehalten hat, nachdem Richard Wagner ihn aus dem Haus Wahnfried geworfen hat", erklärt der Klavier-Enthusiast. "Bayreuth ist in erster Linie eine markgräfliche Stadt. Die Gebäude, die wunderschönen Räume, die verrückten, märchenhaften Gärten, dieses immer noch bestehende Arkadien - das ist Bayreuth", sagt Schmidt-Steingraeber. Er bringt es auf den Punkt. Ein vorwagnerianisches Paradies, das man am besten vor dem Wagner-Jubiläumsjahr genießt - und außerhalb der Festspielzeit.

Dem Zauber der barocken Pracht kann sich der Kastellan des Markgräflichen Opernhauses sogar nach 33 Jahren Amtszeit nicht entziehen. "Halten Sie mich ruhig für blöd, aber wenn der Saal dunkel wird und die Musik beginnt", sagt Hohl lächelnd und zeigt auf die Putten an der Wand, "bewegt sich eine von denen da oben vor Freude."