In der Fastenzeit muss der Spaß nicht vorbei sein. Im Bibelpark in Florida vereinen sich Glaube und Unterhaltung wie damals Adam und Eva.

Jesus hatte schon immer einen harten Job. Gerade verteilt er gemeinsam mit seinen Jüngern Brot und Wein an Touristen, da muss er sich schon aufmachen zum nächsten Programmpunkt: der Leidensweg Christi - eine Liveshow. Der Hauptdarsteller darf nicht zu spät kommen, im Publikum warten ungefähr 150 Leute gespannt auf den Höhepunkt ihres Besuchs im Bibelpark Holy Land Experience.

Der letzte Tag im Leben des Erlösers, seine Stunde ist nun gekommen: 14 Uhr, die bösen Römer treten auf. In goldenen Plastikpanzern und roten Umhängen beschimpfen sie ihren Feind ("Du willst der König der Juden sein? Du trägst ja nicht mal eine Krone!") und verpassen ihm eine Tracht Prügel. Die Brutalität der Szene wird von einem Soundsystem eindrucksvoll unterstützt. Die Zuschauer wirken wie angenagelt auf ihren Steinbänken. Keine schöne Formulierung in Zusammenhang mit einer Kreuzigungsszene, zugegeben, aber so ist es nun mal. Mit Peitschen wird Jesus dann durch das Theater getrieben. Der arme Kerl muss viel Kunstblut vergießen, bis er schließlich ans Kreuz genagelt wird.

Man hat den Eindruck, Dreharbeiten aus der Bibel zuzuschauen: "CSI Jerusalem - was damals wirklich geschah". Das weiß natürlich niemand. Die vier Evangelisten haben es zwar aufgeschrieben, doch ihre Zeilen wurden schon immer so infrage gestellt wie zuletzt Guttenbergs Doktorarbeit. Also könnte es genauso gut sein, dass es vor 2000 Jahren so ablief, wie jetzt im nächsten Akt von den Schauspielern sehr eindrucksvoll dargestellt: Mit einem heftigen Knarzen (Soundsystem!) öffnet sich das Grab, die Römer weichen erschrocken zurück: Es ist leer! Aus dem Kunstnebel taucht Gott in einem weiß-goldenen Umhang auf und verkündet: "Er ist auferstanden!"

Die Dramatik scheint spürbar, einem Kind bleibt das Eis im Munde stecken. Es folgt die Bekehrung: Die bösen Buben knien nieder und bitten um Vergebung ihrer Sünden. "Vater, in deine Hände lege ich meinen Glauben. Ich widme dir den Rest meines Lebens, Jesus!", verspricht beispielsweise der Centurio mit Tränen in den Augen. Das Publikum flippt aus vor Freude, klatscht, bekreuzigt sich. "Halleluja!", ruft einer, "Praise the Lord!" eine andere. Amerikaner halten nicht viel von hanseatischer Zurückhaltung, was für jeden Angestellten hier ein Glück ist, denn so wird das Freilufttheater zur interaktiven Zeitreise. "Noch nie habe ich so viel Applaus für eine Rolle bekommen", sagt einer der insgesamt vier Jesusse, die im Bibelpark angestellt sind.

Vor elf Jahren wurde Holy Land Experience von Marvin Rosenthal, einem baptistischen Pastor gegründet, und seitdem gibt es auch immer wieder Proteste dagegen. Ein "Ausverkauf Jerusalems" sei das Projekt, schimpfen die einen. Es würde "auf die Schaffung von Konvertiten aus sein", befürchten viele. Schlicht "Gotteslästerung" nennen es andere. Ohne Zweifel ist der religiöse Vergnügungspark, der mittlerweile zum amerikanischen Fernsehsender TBN gehört, eine der ungewöhnlichsten Attraktionen in Orlando.

Seine Verkündung lautet: "Wenn Sie durch das Eingangstor gehen, reisen Sie zurück in das alte Jerusalem und werden eine neue Welt erfahren voller Verständnis und Inspiration." Klingt zunächst unglaubwürdig, doch ist man erst mal über die Via Dolorosa bis zum Kalvarienberg spaziert, an der Kletterwand wie Moses bis hoch zu den zehn Geboten gekraxelt oder hat Pommes gegenüber den Qumran-Höhlen gegessen, fühlt man sich in der Tat dazu inspiriert, Verständnis für eine neue Form der Unterhaltung zu entwickeln.

Religiöse Inhalte waren schon immer Touristenmagnete. Vor der Kathedrale Notre-Dame in Paris darf man Nippes kaufen, in Thailand Tempel in Flip-Flops besichtigen, im Mexiko alte Opferplätze als Picknickorte nutzen. In Jordanien an der Stelle Sand aufzukratzen, an der Jesus angeblich getauft wurde, gilt als Höhepunkt einer Kulturreise. In Florida jedoch einen Bibelpark zu besuchen, erscheint den Kritikern wie ein Shakehands mit dem Teufel. Bis zu 1000 Personen kommen täglich. Sind sie alle Sünder, weil sie beim Karaokewettbewerb "Sing dein liebstes Kirchenlied" mitmachen, beim Musical mit Jesus und Maria ("Eine Lovestory, die alle übertrifft") schunkeln oder beim Tempel von Jerusalem einen Bibel-Burger essen?

"Ich wundere mich, wie viele Klischees und Vorurteile ein paar Nachbauten aus dem Alten Testament hervorrufen können", sagt Jane Wilcox, die bei Holy Land Experience für die PR zuständig ist. Kein leichter Job, dennoch lächelt sie in ihrem rosa Kaftan wie die Jungfrau Maria höchstpersönlich. "Wir haben doch nur Gutes im Sinn. Wir hoffen, dass die Besucher hier Gott sehen und auf ihrer Suche nach Wahrheit und dem Sinn des Lebens unterstützt werden." Sollte das klappen, sind die 35 Dollar Eintrittsgebühr wirklich ein Schnäppchen. Aber warum gerade hier, mehr als 10 000 Kilometer entfernt von Israel? "Es gibt einfach keinen passenderen Platz für so ein Projekt als Orlando", sagt Wilcox.

Mit Orlando in Florida wurde eine ganze Stadt geschaffen, um ein menschliches Grundbedürfnis zu befriedigen: das Bedürfnis nach Unterhaltung. Hinter dem Stadtschild wartet es, das Gefühl der Befreiung. Endlich mal kein schlechtes Gewissen haben, sich den ganzen Tag lang amüsieren zu dürfen, mal keine Sorgen zu haben, zu denken: Ja, das Leben macht Spaß. Klingt utopisch? Nur für denjenigen, der mit Utopien nichts anfangen kann und Micky Maus für eine Comicfigur hält. Dabei ist sie in Wahrheit ein Prototyp des Wohlfühlens. In den Universal Studios oder in Disneys Magic Kingdom begegnen einem in einer Stunde so viele lachende Kinder wie in einem Jahr an der Eppendorfer Landstraße. Sie tragen Kronen oder Zauberstäbe, geben Dagobert die Hand und überschreiten fasziniert die Zugbrücke vom Cinderella-Schloss. In ihren weit aufgerissenen Augen steht, dass dies vermutlich der erste Tag ihres Lebens sein wird, an den sie sich später bewusst erinnern können.

In Holy Land Experience gibt es zwar keine Achterbahnen oder Fahrgeschäfte, doch auch hier kümmert man sich schon um die jüngsten Jünger. Die Kinder können im Bauch eines Wales die Geschichte von Jona nacherleben oder wie der unbezwingbare Samson ihre Stärke beim Auseinanderschieben von ein paar Säulen testen. Die Bibel wird für sie zur Spielwiese. "Der lustigste und beste Arbeitsplatz, den ich je hatte", sagt Odeam, die seit zwei Jahren im Park arbeitet. "Ich muss zwar täglich einen blauen Kaftan tragen, der wegen seiner Stickereien wahnsinnig schwierig zu waschen ist, aber dafür sehe ich immer wieder Menschen, die hier neue Hoffnung zu schöpfen scheinen."

Das kann man vor allem beim Kreuz neben dem Lebenswasser-See beobachten, an dem die Besucher Gebetszettel aufhängen können. Auf dem blauen Papier bitten sie beispielsweise um Geld für die Gesundheitsversicherung, darum, endlich schwanger zu werden, dem untreuen Ehemann seine Sünden zu erlassen oder einen neuen Partner zu finden. "Es ist schön, Jesus hier die Hand schütteln zu können und dem Himmel so nahe zu sein", sagt eine Kanadierin, die sich drei Tage Aufmunterungsurlaub in Orlando gönnt, und auf ihren Wunschzettel geschrieben hat: "Bitte, bitte, ein neuer Job!"

Der amerikanische Wissenschaftler und Autor Neil Postman hatte eben schon 1985 unrecht, als er behauptete, wir amüsieren uns zu Tode. An zu viel Spaß ist noch niemand zugrunde gegangen, an zu viel Trauer schon.