Vor 200 Jahren ging es gegen die Spanier und vor 100 Jahren gegen die Diktatur: Die Unabhängigkeitsfeiern im nächsten Jahr werden schon heute herbeigesehnt. Eine Tour zu den wichtigsten Schauplätzen.

Die Reise beginnt an einem diesigen Morgen in Mexiko-Stadt. Tau liegt auf allen Dingen, die die Nacht draußen verbracht haben. Auf dem Blechschutz der Telefonzelle, auf den Bürgersteigen, die noch feucht sind vom morgendlichen Reinigen, auf kunstvollen gusseisernen Bänken und auf den paar Mexikanern, die die Nacht durchgefeiert haben. Einige müssen zur Arbeit, obwohl es Sonntag ist. Sie bewegen sich mit einer Langsamkeit, die einer arbeitsamen Notwendigkeit folgt. Kein Auto hupt, kaum eines ist überhaupt zu sehen in der 24-Millionen-Metropole. Die Mega-City macht Pause. Denn auch hier, zwischen Wolkenkratzern und der Geschäftigkeit der historischen Innenstadt, ist der Sonntag besonders. Auch dieser Morgen, der noch ruhig und kühl Erwartungen weckt.

Vor uns liegt eine Tour auf der "Ruta de la Independencia" durch Orte, die für den mexikanischen Unabhängigkeitskampf, der im Jahr 1810 begann, wichtig waren. Im nächsten Jahr werden die Mexikaner die Befreiung von den Spaniern, von den "Conquistadores", groß feiern. Das Land wird kopfstehen, denn 2010 ist auch noch ein zweites Jubiläum. 1910 begann die Revolution gegen die Diktatur des mexikanischen Generals Porfirio Díaz, der 1911 nach mehr als 30 Jahren Regentschaft zurücktrat. Darum nennen alle 2010 mit einigem Patriotismus das "Bicentenario". Auf dem Zócalo, dem Hauptplatz, zählt eine Uhr die Tage und Stunden bis zur Feier. Also, vamos!

Auf dem Weg nach Coyocán, dem Künstlerviertel im Süden von Mexiko-Stadt werden die Straßen schöner, die Häuser bunter, die Blumen genauso leuchtend lila, rosa und gelb wie allerorts in Mexiko. Diese Blumen verbreiten das ganze Jahr über Sommerlaune. Noch dazu wird es auch im November bis 27 Grad warm.

Auf dem Plaza Hidalgo, benannt nach dem mexikanischen Freiheitskämpfer und Priester Miguel Hidalgo y Costilla, versammelt sich das Leben. Auf diesem Hauptplatz orgeln in beigefarbener Uniform Leierkastenspieler, verkaufen Ballonverkäufer bunte Trauben an aufgeblasenem Kinderspaß, gibt es an Ständen Gebratenes und Frittiertes, das man besser als Tourist nicht isst, laufen Kinder und Clowns durcheinander. Und so einen Satz muss man auch mal schreiben: Mexiko ist bunt.

In den Cafés um den Platz herum wird im Schatten ausgeharrt, werden tatsächlich Tapas, Tacos, Guacamole, Quesidillas und allerhand scharfe Chili-Soße gegessen. Mexikos Geschenke an die Welt sind vor allem Avocado, Vanille, Kakao, der hier übrigens mit Wasser und Chili getrunken wird, und Tomaten. In Coyocán hat das Künstlerpaar Frida Kahlo und Diego Riviera gelebt. Ihr Haus ist nun ein Museum. Es lohnt sich, es zu besuchen und einen Blick in den Spiegel über dem Bett von Frida Kahlo zu werfen. Nachzuempfinden, wie sie hier in körperlich schlechten Zeiten Wochen und Monate gelegen und ihre eindrucksvollen, manchmal beängstigenden Selbstporträts gemalt hat.

Noch ein Gedanke zu den Quesidillas und Tacos: Quesidillas sind eine Art dünner Pfannkuchen, gefüllt mit Kürbiskernblüten, Tacos mexikanische Teigröllchen. Diese und andere Vorspeisen werden gern noch mit Käse überbacken, und weil das noch nicht reicht, mit Sahne übergossen. Diese Art zu essen ist typisch mexikanisch: reichhaltig, fett, scharf und süß. Ungesund, lecker, unvernünftig und nicht an die Figur von morgen denkend. Denn, so scheint es, morgen ist hier zu weit weg.

Querétaro ist die Hauptstadt des gleichnamigen Bundestaates mit rund einer Million Einwohnern. Sie ist, so sagt es jedenfalls Raul vom hiesigen Tourismusbüro, die Wiege der mexikanischen Unabhängigkeit. Da diesen Anspruch auch andere Orte erheben, sollte man Querétaro vielleicht Geburtsstätte nennen. Denn, so die Geschichte, in dieser edlen Stadt mit vielen Kolonialbauten wurde der Geheimbund gegründet, dem der Priester Miguel Hidalgo y Costilla, der Armeehauptmann Ignacio Allende und die Ehefrau des damaligen Bürgemeisters, Josefa Ortiz de Domínguez, angehörten. Alle drei sind heute Nationalhelden. Doña Josefa war die einzige Frau in diesem Bund, in ihrem Haus wurden geheime Treffen abgehalten. Sie war es auch, die ihre Verbündeten zunächst rettete. Denn bei dem Versuch, am 13. September 1810 Soldaten zu rekrutieren, wurde der Geheimplan verraten. Die Verschwörer sollten verhaftet werden. Doña Josefa, eingeschlossen in ihrem Zimmer, steckte einem Boten durchs Schlüsselloch eine Notiz zu und hat so ihre Mitstreiter gewarnt.

Querétaro gehört zum Unesco-Weltkulturerbe, ist modern und traditionell zugleich. Eine Besonderheit der Stadt ist die Lauderia, eine Geigenbauschule, die zum Institut der schönen Künste gehört. Hier werden einige der Geigen gefertigt, deren Spiel den Klang von Mexiko wiedergibt. Streichinstrumente, die mal schnell, mal pathetisch Seele und Kultur des Landes offenbaren. Auf den Marktplätzen spielen dann die Mariachis Volkslieder und Schlager, die wir alle kennen. Und was sich jetzt wie ein Klischee anhört, ist keines: Bésame, bésame mucho.

Auf der Straße der Unabhängigkeit erreicht man über hügelige Landschaften und steinige Wege das Bergdorf Bernal mit dem mäjestätischen Monolithen Peña de Bernal. Der Blick auf den Berg zeigt das Wesentliche. Man möchte fast sagen: Gottes Schöpfung. Einheimische sind überzeugt, dass der Berg magische Kräfte hat.

Ähnlich mystisch verhält es sich mit dem kleinen Ort Atotonilco, der eigentlich nur aus einer Sehenswürdigkeit besteht: Jesús de Nazareno, auch Weltkulturerbe. Die Kirche wird bereits für die Festivitäten 2010 restauriert. So schlicht sie von außen aussieht, weiß, rund und groß, so wuchtig überladen ist ihr Inneres. Dieser Stil wird Churriguerismus genannt.

In diesem Übermaß zeige sich die Angst der Mexikaner vor der Leere, heißt es. Ganz nach der Devise: "Viel hilft viel." Das kennen wir ja schon von den Tacos.

Um zu erklären, warum die Kapelle für den mexikanischen Unabhängigkeitskampf wichtig ist, müssen wir weiter. Nach San Miguel de Allende und vor allem nach Dolores Hidalgo. Die Städte sind nach den beiden Freiheitskämpfern benannt worden. Als Hidalgo den Brief von Doña Josefa erhielt, die Warnung, dass man enttarnt worden sei, rief er drei Tage später, am 16. Oktober, auf der Schwelle vom Eingangsportal der Kirche in Dolores zur Revolution auf und ließ die Kirchenglocken läuten. Der Aufstand gegen die Spanier begann. Hidalgo ritt zur Kapelle in Atotonilco und holte sich ein Banner mit dem Antlitz der Muttergottes von Guadalupe, das später zum Symbol des Unabhängigkeitskampfes wurde.

Fragt man heute einen Mexikaner, ob er die Spanier mag, sagt er selten Ja. Doch Gleiches gilt für die Amerikaner. So lautet ein Sprichwort: Wir sind zu weit weg von Gott - und zu nah an den USA. Auch die Argentinier gelten in Mexiko als arrogant. Aber solcherlei Antipathien richten die Landsleute sogar gegen sich selbst. So heißt ein anderes Sprichwort: Tue etwas für den Patriotismus, töte einen Chilango (Bewohner von Mexiko-Stadt). Der Mexikaner hat einen derben Humor.

Und feiert gern. So muss man auf der Tour noch nach Guanajuato. Bei Nacht mutet die Studenten-Stadt an wie Sevilla, die Straßen sind voll mit Autos und jungen und alten Flaneuren. Aus jeder Bar, jedem Restaurant, jedem Ein- und Ausgang dringt Musik auf die Straße. Und wenn die Mariachis hier singen: Küss mich, küss mich so fest, als ob es das letzte Mal wäre, möchte man sagen: Ja. Und: Mexiko - ich komme wieder.

Wie ging die Geschichte aus? Der Hauptmann Allende wurde 1811 festgenommen, genauso wie Hidalgo, beide wurden hingerichtet. Doña Josefa musste einige Zeit in Haft, behielt allerdings ihr Haupt. 2010 werden die drei Nationalhelden wieder zum Leben erwachen. So viel ist sicher.

Zum Reisetagebuch der Autorin: Mexiko in sieben Tagen