Urlaub in Deutschland liegt voll im Trend, und da wiederum sind die Küsten ganz vorne dabei. Doch welches Meer bietet mehr - die oft raue Nordsee oder die meistens friedliche Ostsee? Dazu gibt es keine allgemeingültige Antwort, es kommt ganz auf die persönliche Perspektive an. Zwei Abendblatt-Redakteure halten hier ihre Plädoyers.

Nordsee: Dünen, Watt und Blanker Hans: Davon schwärmt Matthias Iken schon seit seiner Kindheit

Hamburg. Es gibt Dinge im Leben, da muss man sich entscheiden: Ob Elbe oder Alster, konservativ oder progressiv, St. Pauli oder HSV, Kopf oder Zahl. Und ob Nord- oder Ostsee. Allerdings ist diese Entscheidung Gott sei Dank eine kinderleichte. Da reicht es, das Meer zu sehen, um mehr zu sehen.

Auf der Suche nach Erholung schlägt der moderne Mensch ja die seltsamsten Wege ein - er fliegt 20 Stunden um die Welt, um am Ende derselbigen ein Ort der Ruhe zu finden, er versenkt sich mithilfe eines Gurus ins Innerste, er erweitert sein Bewusstsein mit seltsamen Säften und Stoffen oder verliert sich in den Weiten einer virtuellen Welt.

Ich versinke und verliere mich auf einem Weg, der je nach Insel zwischen 200 Metern und einem Kilometer weit ist: Es ist der Weg durch die Dünen, die der Herrgott dem Paradies vorangestellt hat, es ist der Weg zum Meer.


Ich werde nie vergessen, wie ich mich als Dreikäsehoch, schwer beladen mit Gummitier, Capri-Sonne und Handtuch, über die Bohlenwege von Amrum gekämpft habe. Über uns die Sonne des Nordens, die nicht nur in den verklärten Erinnerungen, sondern auch in den Wetterstatistiken deutlich häufiger scheint als auf dem Festland. Um mich herum lag das weite Dünenland, in dem gekrümmte Kiefern, Dünenrosen und Strandhafer keinen Schatten spendeten. Unter meinen Zehen spürte ich das Holz, das wir eigentlich nie ohne Schuhe betreten durften und doch immer barfuß beschritten. In der Nase vermengte sich der Duft der Sonnenmilch mit dem feinen Salz des Meeres, und im Herzen wuchs die Hoffnung, endlich das ersehnte Meer zu erreichen. Auf kleinen Füßen wirkt die Welt viel weiter, und wir Kinder fühlten uns wie Wüstennomaden auf dem Weg zur Oase. Unsere Oase war der herrlich breite Kniepsand vor Nebel und Süddorf, ihre Quelle war das Meer, die Nordsee. Schon für Fünfjährige ging nur sie als echter Ozean durch: Die Ostsee ist eine Badewanne für Seepferdchen, die Nordsee das Meer für Freischwimmer.


Daran hat sich für mich auch in den darauffolgenden Jahrzehnten nichts geändert: Während die Ostsee fast aufreizend gelangweilt nichtschwimmerartig auf die Strände schwappt, schnuppert man in der Gischt der Nordsee immer auch die Macht des Blanken Hans. Wenn der Wind auffrischt, tost das Meer im Westen, es umspült die Füße, es zieht an den Beinen, es reißt uns um - ein Abenteuerurlaub in der 200-Kilometer-Zone. Und es ist ein Abenteuerurlaub, dessen Wellness- und Ruhezone nur einen Muschelwurf entfernt liegt. In den Strandkörben verschwimmen die Zeitläufe; mit einem guten Buch auf dem Schoß und der Sonne auf dem Bauch kommt man dem Himmel ziemlich nah. Und wer das Glück hat, mit Kindern zu reisen, kann sich als Baumeister des Vergänglichen üben - am Flutsaum eine Burg zu errichten, sie gegen das Meer zu verteidigen und am Ende eines Ferienarbeitstages doch dem Wasser anheimfallen zu lassen, ist das Vergeblichste allen Tuns - und das Wunderbarste.


An dieser Stelle sei noch einmal ein Abstecher an die Ostküste erlaubt. Ich werde nicht vergessen, wie wir als nordseesozialisierte Kinder einst zum ersten Mal im Ostseesand von Timmendorf buddelten, eine Burg aufwarfen und auf die Flut warteten, warteten, warteten. Auch sonst präsentiert sich die Nordsee dem Urlauber als eine Nummer größer, wilder, spektakulärer als ihre liebliche Schwester im Osten. Die Dünen sind höher (zumindest wenn man im Lande bleibt), die Strände breiter, der Himmel weiter, die Landschaft leerer. Ob auf Sylt, Amrum oder den ostfriesischen Inseln - selbst in der Hauptsaison ist man mit dem Fahrrad nur Minuten von der Einsamkeit entfernt. Es ist genug Platz für jeden da.


Wer nicht nur sehen und fühlen, sondern sich auch noch zeigen will, fährt nach Sylt; wer es gemütlich mag, wählt Föhr, und Kinder wollen eh' nach Amrum. Unter den ostfriesischen Inseln werben sieben Schönheiten um die Königinnenkrone, und jedes Jahr gewinnt Spiekeroog - weil auf dieser Insel die an der See vielerorts in Beton gegossenen Bausünden nicht ankamen und ein idyllischer Ort erhalten geblieben ist. Wen es unbedingt ins Ausland drängt, dem seien die westfriesischen Inseln empfohlen, auf das dänische Römö kann man eigentlich verzichten - es sei denn, man sammelt Nordseeinseln wie Kinder Muscheln. Und für eingefleischte Landratten gibt es noch immer die allerdings deutlich unspektakulärere Nordseeküste am Festland.


Ganz ehrlich: Mit ihr fremdele ich bis heute, denn dort müsste ich auf den erhebendsten aller Urlaubsmomente verzichten - den Moment, an dem ich zum ersten Mal das letzte Dünental durchschreite und plötzlich das Meer erblicke, kurz verharre und glücklich bin. Dann mache ich es der See gleich und wir laufen einander entgegen, mal hanseatisch-zurückhaltend, mal stürmisch-bewegt. Ich Schritt für Schritt, sie Welle für Welle.

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Ostsee: Dieses Meer ist immer da, auf die Flut muss keiner warten: Auch deshalb ist Sabine Tesche ein treuer Fan geworden

Die Ostsee und ich - das war keine Liebe auf den ersten Blick. Erst auf den dritten oder vierten. Ich habe mich ihr ganz hanseatisch angenähert, etwas zurückhaltend, skeptisch, um mich dann langsam für sie zu erwärmen. Inzwischen bin ich ihr treu und ergeben - für immer, wie das so ist mit tiefen Freundschaften im Norden. Dabei komme ich aus dem Schwarzwald, Sund dort ist man eigentlich leicht entflammbar, aber als ich als Studentin das erste Mal die Ostsee sah, zeigte sie sich von ihrer unschönen Seite. Ich stand über ihr. Am Brodtener Ufer, einer Steilküste an der Lübecker Bucht. Eine steife Brise wehte, mit diesem leichten Nieselregen vermischt, der so typisch ist für diese Region. Es war kalt und das sonst so ruhige Meer aufgepeitscht und grau. Ich kannte bis dato vor allem Baggerseen, um mich herum Berge, eine Enge, die ich mochte und die im so krassen Gegensatz zu diesem Meer stand. Zum Glück ist die Ostsee selten wild, ich mag sie, weil sie so oft so glatt ist und es damit an manchen Tagen möglich ist, bis auf den Grund zu schauen. Sie hat nie das Leuchten einer karibischen See, aber es gibt Momente, da schimmert sie auch in diesen unterschiedlichen Farben vom hellen Grün, das dann von einem Smaragd-Ton in ein immer dunkler werdendes Blau übergeht. So habe ich die Ostsee bei meinem zweiten Besuch an Brodtener Ufer erlebt, an einem klaren sonnigen Wintertag, an dem die dünne Luft mir eine Sicht über die gesamte Bucht ermöglichte.

Die Schickeria und die Menschenmassen von Timmendorf sind nicht meine Welt. Meinen Wohlfühlstrand habe ich im Sommer 1995 entdeckt, östlich von Lübeck, nahe Kalkhorst. Schwer zu finden. Eine Straße, die über Steinplatten und durch graue Dörfer bis zu einem Parkplatz mit einem Kiosk führte. Ein schmaler Sandweg, der sich durch Gras bewachsene, halbhohe Dünen schlängelte, der Sand fein und strahlend, dahinter ein fast menschenleerer Strand. Die wenigen Besucher dort waren überwiegend nackt, die Atmosphäre unbeschwert und unkompliziert. Wir feierten mit vielen Freunden einen Geburtstag mit Übernachtung unter freiem Himmel. Es gab keine Regeln, keine Kurtaxe, Feuer war erlaubt - und am nächsten Tag brachte der Bürgermeister des Dorfes sogar Kaffee vorbei. Es muss dieser Abend gewesen sein, an dem ich mich verliebt habe. In die Ostsee.

Und ich habe sie im Laufe der Jahre immer an unterschiedlichen Ecken wieder neu entdeckt - im schlichten Kleid, fernab noch von jedem Tourismus auf dem Darß, protzig-stolz mit dem weißem Antlitz der Prachthäuser auf Rügen und gesäumt von Bausünden auf Fehmarn. Seit ich jedoch zwei Kinder habe, fahren wir als Familie immer in dieselbe Ecke der Holsteinischen Schweiz nach Hohwacht, ein wunderhübscher Ort mit reetgedeckten Häusern, alles andere als eine Touristenhochburg. Als Single habe ich fast den ganzen Tag faul am Strand gelegen, inzwischen fordern meine Jungs mehr Aktivität. Gemeinsam suchen wir nach den Schätzen des Meeres, den winzigen Muscheln, mal dunkel, mal weiß-rosa oder mit braunen Streifen. Mein Jüngster liebt vor allem die farbenfrohen Steine, die manchmal wie mit Silber durchwirkt erscheinen oder die Jahrzehnte skurril geformt haben. Etliche dieser Prachtstücke schmücken nun den Rand unseres Beetes zu Hause - so ist ein Stück Ostsee auch immer in Hamburg dabei. Ich kann sogar den Quallen etwas abgewinnen, mit denen Jannis und Jascha sich manchmal stundenlang beschäftigen, die für allerlei Experimente herhalten und uns Eltern damit ein paar Minuten Lesezeit im obligatorischen Strandkorb ermöglichen. Das Herz geht mir auf, wenn ich die beiden Jungs mit ihren Keschern und Eimern losziehen sehe zu den Buhnen, auf denen sie mit ihren neu gefundenen Freunden rumklettern, um Krebse und winzige Meerestiere zu fangen.

Ich mag an der Ostsee, dass sie immer da ist und ich nicht erst ellenlang durch Schlick und Watt rennen muss, um mich abzukühlen. Ich mag, dass sie vom Strand weit flach hinausgeht, damit sicher für Kinder ist und sich im Hochsommer so erwärmt, dass sie sogar für mich als Süddeutsche angenehm ist. Was für andere eine Plörre ist, hat für mich etwas von einem karibischen Feeling.

Ein Wochenende an der Ostsee ist für mich inzwischen Heimaturlaub. Meine Tiefentspannung fängt bereits an, wenn wir von Lütjenburg kommend die Allee in Richtung Meer fahren, ich eine Brise Meerluft in die Nase bekommen habe und dann plötzlich hinter goldgelben Weizenfeldern dieses weite, schöne Meer auftaucht. Genau dann frage ich mich immer, warum ich mich jemals wieder an einen Baggersee im Schwarzwald legen sollte.

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