Am letzten Abend zeigt sich der Fjord erstmals in seiner ganzen Schönheit. Er lacht. Er rekelt sich in der Abendsonne und präsentiert jedes Detail seines anderen Ufers so trennscharf, als wollte er sich für das schönste Fotomotiv Dänemarks bewerben.

Das Ferienhaus, von dem das alles aus eine Woche lang zu sehen ist, liegt irgendwo am Limfjord, oben in Jütland. Der Fjord ist recht mächtig und hat den oberen Teil Jütlands abgekappt. Er zieht sich einmal quer durch. Für die Urlauber zeigt er jeden Tag ein anderes Gesicht. Er kann so und so. Ehrlich gesagt, er war nicht überragend die Woche über. Heute zum Abschied bietet er jedoch alles auf, was er sechs Tage lang zurückhielt. Wahrscheinlich buhlt er darum, wieder besucht zu werden. Nötig hat er das nicht, er weiß, dass er schön ist.

Zunächst schickt er einen kleinen blauen Frachter vorbei. Nur Minuten später kommt ein rotes Fischerboot, das sich vor dem Rapsfeld so fotogen abhebt. Er lässt ein weißes Motorboot vorbeizischen, dass es nur so eine Pracht ist. Die weiße Gischt spritzt aus dem blauen Wasser. Ach so - der Himmel. Klar, hellblau mit weißen Wolken.

Dabei hatte es zwei Tage lang geregnet. Vom sechs Kilometer entfernten Ufer auf der anderen Seite gab es keine Spur, nicht mal eine diesige Vermutung. Verhangen war er - der Fjord war sicher griesgrämig und wollte sich verstecken. Er war abgetaucht. Er hatte Angst, sich öffentlich zu zeigen. Wie von Nebelwerfern verhüllt machte er sich unsichtbar. Wer nach Dänemark fährt, weiß, dass es mal regnen kann. Daher nimmt das dem Fjord niemand übel.

Plötzlich lässt er - Gott weiß warum - in der besten Abendschauzeit einen Fischer mit seinem Boot rückwärts fahren, direkt am Ufer. Der versenkt seine Netze und markiert sie mit Ankerbojen. Dann schwimmt ein Hund vorbei. Das Herrchen trottet ein paar Meter hinterher am Ufer entlang. Es ist gar nicht so einfach, das Geschehen vom Guckfenster, etwa zwei Meter breit und fast ebenso hoch, durchgängig zu verfolgen. Alles geht so geräuschlos vorüber. Besser wäre, der Fjord würde die Schiffsglocke vor dem Eingang der kleinen Heimat auf Zeit vom Wind kurz mal pendeln lassen. Schon wäre klar: Jetzt ist wieder was Neues los da draußen. So muss man ewig auf der Hut sein, nichts Wesentliches zu verpassen. Da war Regenwetter im Grunde goldrichtig.

Nach dem Regen kam die Sonne, aber wie. Zunächst ist gegen 8.15 Uhr ein Goldstrahl durch die Wolken auf der Reise zur Nasenspitze der Ferienhausbewohner. Dann geht alles ganz schnell. Die Wolken jagen hin und her. Die Kulisse verschiebt sich im Zehnsekundentakt. Mal fällt eine Goldsichel auf den Fjord. Dann dehnt sie sich rasch zu einem Oval, das einem Goldtopf ähnelt, der die Größe einer Tagebaugrube hat. Kurz darauf lässt der Fjord ein Segelboot fast am anderen Ufer vorbeihuschen. Sicher nur, um mal einen Größenvergleich zu bekommen, was sich da draußen so alles abspielt. Was für ein gigantischer Ausklang im Fjordprogramm. Und morgen? Dann wohnen schon die nächsten Gäste in diesem Haus. Ob der Fjord das merkt?