Noch immer ziehen dort das Meer, die schöne Landschaft und das besondere Licht Maler, Bildhauer und Komponisten an - und natürlich auch eine Vielzahl an Ostsee-Touristen.

Rainer Dörner ist mit sich und der Welt zufrieden. Die Sonne scheint, er sitzt mit seiner Frau Marlen und ein paar Freunden im romantisch-verwilderten Garten seines Reetdach-Häuschens am nördlichen Ortsrand von Ahrenshoop. Dörner ist einer von etwa einem Dutzend renommierter Künstler - Maler, Bildhauer, Keramiker, Komponisten -, die das Erbe der Künstlerkolonie auf der Halbinsel Darß lebendig halten. Seit hundert Jahren lassen sich immer wieder kreative Geister wie dieser verschmitzte Weißbart von der besonderen Atmosphäre in diesem Ostseedorf inspirieren.

Paul Müller-Kaempff, ein Maler aus Oldenburg, hat hier im Sommer 1909 einen Pavillon für sich und seinen Malerfreund Theodor Schorn bauen lassen. Dieses erste Atelier im Dorf steht heute noch; es ist der blaue Kunstkaten im Zentrum des Seebades, eine Galerie, die sich nicht nur im Jubiläumsjahr der ersten Künstlergeneration verpflichtet fühlt. Müller-Kaempff wird, so vermutet man heute, nicht der erste Maler gewesen sein, der auf dem Darß gewirkt hat. Aber er war nicht nur der Gründer, sondern vielmehr die prägende Persönlichkeit dessen, was bis heute als Ahrenshooper Künstlerkolonie bezeichnet wird.

Vom Hohen Ufer aus, dem Wanderweg vom Seefahrer- und Fischerdorf Wustrow auf der Halbinsel Fischland zum verschlafenen Bauernnest Ahrenshoop, hat Paul Müller-Kaempff zehn Jahre vor der Gründung seines ersten Ateliers jene Idylle entdeckt, die durch ihn in der Kunstwelt ganz Europas bekannt werden sollte: "... plötzlich, als wir die letzte Anhöhe erreicht hatten, (lag) zu unseren Füßen ein Dorf... Die altersgrauen Rohrdächer, die grauen Weiden und grauen Dünen gaben dem Bild einen Zug tiefen Ernstes und vollkommener Unberührtheit."

Landschaft, Mensch und Meer, so sagt Sabine Jastram-Porsche, die Galeristin und Leiterin des Kunstkatens, sind hier den Malern und anderen Künstlern zu allen Zeiten und auf eine offensichtlich nachhaltige Weise begegnet. Da kann Rainer Dörner nur zustimmen. Der gelernte Schildermaler aus der Sächsischen Schweiz war in jungen Jahren oft auf dem Darß. Er hat an der Kunsthochschule in Heiligendamm studiert und sich zunächst mit Gebrauchsgrafik und Theaterplakaten ausprobiert, "aber immer habe ich gemalt, erst nur für mich, seit Langem aber auch für einen immer noch wachsenden Liebhaberkreis."

Katzen schnurren um unsere Beine. Man war schon beim Eintritt in sein kleines Paradies auf sie vorbereitet, denn Dörner nennt seine Werkstatt "Atelier zur Katze". Ein, zwei Gläschen Rotwein, und schon sprudeln die Erinnerungen. Mit am Tisch sitzt Hans Goetze, langjähriger Bürgermeister von Ahrenshoop - und auch Maler. Die beiden waren schon in Sachsen Nachbarn. Und beide verbindet neben der Kunst eine ausgeprägte Liebe zur See.

Rainer Dörner betrachtet lächelnd den Entwurf einer fröhlich-frivolen Skulptur, die wieder einen Neubau der AIDA-Flotte schmücken und zu Diskussion und zum Schmunzeln der Kreuzfahrer anregen wird. Alle AIDA-Schiffe sind mit Dörner-Plastiken ausgerüstet. Das Gespräch kreist eine Weile um die Frage, ob das alles Kunst sei - oder was? Dann schwenkt das Thema auf Seefahrer-Erinnerungen aus der Jugendzeit des malenden Bürgermeisters um.

Hans Goetze ist auch aktiv tätig für Euroart, die Vereinigung der europäischen Künstlerdörfer. In 21 Ländern tauschen sie ihre Erfahrungen aus, veranstalten Ausstellungen und besuchen sich gegenseitig. Zu den 17 deutschen Mitgliedern zählen so bekannte Malerdörfer wie Murnau (Blauer Reiter), Hiddensee (Ivo Hauptmann und andere) und natürlich Worpswede. Die Zusammenarbeit zwischen Ahrenshoop und dem Dorf am Teufelsmoor ist so eng, dass Hans Goetze in der Malerkolonie bei Bremen oft und gern einen Kurzurlaub verbringt.

Zu den Alteingesessenen, die seit über 50 Jahren Ahrenshoop prägen, gehört die Keramiker-Dynastie Löber. Im denkmalgeschützten, 350 Jahre alten "Dornenhaus", steht Friedemann Löber, der Senior, für hohes handwerkliches Können an der Töpferscheibe. In seinem Haus haben in frühen DDR-Jahren Bertolt Brecht, Helene Weigel und andere Künstler aus Berlin gewohnt. In Ahrenshoop, das betont auch Kunstkaten-Chefin Jastram-Porsche, hat durch alle Epochen ein etwas freierer Geist geweht als anderswo zur gleichen Zeit. Als sogenanntes Bad der Kulturschaffenden genoss die Kolonie der Kreativen zu DDR-Zeiten Privilegien, die, so erzählen die Älteren, auch den übrigen Bewohnern zuweilen das Leben ein wenig erleichterten.

Bis heute zieht es immer wieder freie Köpfe ins Künstlerdorf. Lutz Gerlach, Komponist und Musiker aus Berlin, ist einer von ihnen. Im Wechselspiel mit der Natur gestaltet er überraschende Klangerlebnisse, "zum Beispiel begleiten auf dem Hohen Ufer Wind und Wellen unsere Pianos. Die Natur bleibt dabei stets der eigentliche Star des Abends", so beschreibt er seine "Naturklänge".

Oft enden Wanderungen entlang der versteckt liegenden Werkstätten wie bei unserem Besuch im Dörnerschen Katzen-Atelier, mit schöngeistigen Gesprächen und Überraschungen. So haben wir im Haus des Keramikers Johann Klünder in der Neuen Reihe, weit weg vom touristischen Trubel, erfahren, dass hier einmal der früher berühmte Pressezeichner Fritz Koch-Gotha gelebt hat. Mit seinen Illustrationen zur Häschenschule von Albert Sixtus hat er sich für alle Zeiten in die Herzen aller Kinder und Junggebliebenen gemalt.

Heute ist Ahrenshoop auf den ersten Blick ein beliebtes Ostseebad. Aber die Künstlerkolonie ist weit mehr als willkommene Marketing-Dekoration. Paul Müller-Kaempff, Gründer der Künstlerkolonie, hat übrigens schon 1895 mit einer Kurtaxenverordnung einen Meilenstein für das damals aufkommende Badewesen gelegt. Mit einer Reihe hochkarätiger Ausstellungen wird jetzt im Kunstkaten an ihn und die erste Malergeneration erinnert. Werke von Carl Malchin, Elisabeth von Eicken, Anna Gerresheim und natürlich Müller-Kaempff werden dabei gezeigt.

Neben den bildenden, malenden, töpfernden oder komponierenden Kreativen stehen die Künstler am Herd nicht zurück. So kreiert gleich gegenüber vom Kunstkaten, im neuen Hotel "Seezeichen", Michaela Rielmann eine feine regionale Küche, die im vergangenen Sommer auch Horst Köhler und seine Frau begeistert hat. Das Präsidentenpaar hat kurz nach der Eröffnung des Designer-Hotels dort ein paar Tage ausgespannt - und sich dabei natürlich auch im traditionsreichen Kunstkaten umgeschaut.