Vom Frühjahr bis zum Herbst zieht es Wanderer und Genießer ins Val d'Aran. Schon die Römer entspannten sich hier im warmen Heilwasser.

Buenos dias", murmelt der alte Mann. Kurz blickt er unter der Schirmmütze hervor, um den Fremden zu grüßen, bevor er auf seinen Wanderstock gestützt seinen Weg fortsetzt. Von Zeit zu Zeit bleibt er stehen, um sich ein wenig auszuruhen. Versonnen schaut er dann in die Landschaft, als könne er sich nicht sattsehen an dem Bergpanorama seines Heimattales: Im Sommer sind die Wiesen des Val d'Aran von duftenden Blumen übersät, die bis dicht an die bewaldeten Berge heranreichen. Die schroffen Gipfel hingegen verstecken sich noch im Morgennebel. Irgendwo in der Ferne läuten Kirchenglocken.

Es hat seinen ganz eigenen Zauber, das Val d'Aran, das "Tal der Täler". Schon die Römer bauten hier Heilbäder und einen Weg, der die 33 Dörfer innerhalb der Bergkette miteinander verbindet - den "Camin Reiau", den Königsweg. Umgeben von mächtigen 3000ern liegt das Gebiet rund 300 Kilometer von Barcelona entfernt und 150 Kilometer von Toulouse, verborgen im äußersten Zipfel Kataloniens.

+++In die Fußstapfen der guten Menschen treten+++

Statt spanischer Hitze herrscht hier auf der Nordseite der Pyrenäen ein atlantisch geprägtes Klima, was dem Val d'Aran milde Jahreszeiten beschert und eine üppige Vegetation. Aber nicht nur wettertechnisch distanziert sich diese Gegend vom Mutterland. Zwar gehört sie politisch zu Spanien, geografisch jedoch schon eher zu Frankreich, zur Gascogne, zu der es traditionell enge Bindungen hat. Aber die Bewohner hier fühlen sich weder als Spanier noch als Franzosen, sie fühlen sich als Aranesen.

So ist nicht nur die Küche eine traditionelle Mischung aus französischen, spanischen und regionalen Speisen - auch sprachlich kochen die Bewohner des Tales ihr eigenes Süppchen: Untereinander verständigt man sich auf Aranesisch. Es ist eine Variante des Gaskognischen, die nur hier offiziell als Amtssprache zugelassen ist. Daneben wird Katalanisch, Spanisch und auch Französisch gesprochen. Englisch hingegen ist für viele Aranesen noch immer eine Herausforderung, und ein deutsches Wort ist nur selten zu hören. Wozu auch? Die Aranesen lieben ihr Tal, und nur wenige zieht es überhaupt jemals hinaus.

Den besonderen Charme des Val d'Aran hat auch Juan Carlos schon vor vielen Jahren für sich entdeckt. Die königliche Familie bewohnt seit Eröffnung des Skiresorts Baqueira-Beret im Jahr 1964 ein Haus in Baqueira. Gefolgt von spanischer Prominenz und Skifans aus ganz Europa, vergnügt sich die royale Familie Winter für Winter auf den 100 Pistenkilometern.

+++Göttliche Ruhe hinter dicken Mauern+++

Aber wo im Winter die Skifahrer über die Abfahrten preschen, hört man im Sommer nur das Plätschern des Wassers. Während es in der Skisaison turbulent zugeht, gilt das Tal ansonsten noch immer als Geheimtipp: für Romantiker und Genießer, Angler und Wassersportfans, Mountainbiker und vor allem für Wanderer. Über 300 Kilometer Rad- und Wanderwege führen vorbei an Wasserfällen und Wäldern, Flüssen und Felsen bis in den Aigues Tortes National Park. Und ob man nun von Hütte zu Hütte durch die Berge wandert oder auf den Spuren der Römer auf dem Königsweg, man trifft nur selten Touristen.

Überall am Wegesrand finden sich schöne Einkehrmöglichkeiten. Zum Beispiel bei Javi Sanmarti: Fleischbällchen, Garnelenspieße, Lachs, Tintenfische, frittiertes Gemüse, Oliven und Käse sind nur eine kleine Auswahl der regionalen Köstlichkeiten in seiner Tapas-Bar. Bis zu 60 verschiedene Pinchos, wie sich die kleinen Snacks nennen, sind verführerisch angerichtet. Eine Gruppe Männer steht vor dem Tresen. Während sie immer wieder den Teller am Büfett füllen, tauschen sie laut gestikulierend die Neuigkeiten des Tages aus. Tapas-Bars sind für die Einheimischen Treffpunkt und Nachrichtenbörse zugleich.

Der Königsweg aus den Römerzeiten führt auf 150 Kilometern entlang der Garonne. Zu den 33 Dörfern, die er verbindet, gehört auch Bagerque. Auf 1490 Meter Höhe gelegen, umgeben von Steilwänden und Bergwiesen ist es das höchste Dorf des Tales. Die Häuser in diesem Ort sind mit Schiefer gedeckt. In kräftigem Rot, rosa und weiß quellen überall die Geranien aus den Blumenkästen. So auch vor dem Fenster der "Era Hormatgeria Tarrau". Selbst wer kein Spanisch versteht, riecht beim Betreten des kleinen Ladens sofort, worum es hier geht. Um Käse.

José Antonio Tarrau ist der Chef des Produktionsbetriebes. Die Beine lässig gekreuzt, lehnt er am Verkaufstisch und begrüßt die Besucher zum Rundgang durch die Käserei: "Früher war ich Skilehrer, auch wenn man das heute kaum noch glauben kann", erzählt der 35-Jährige lachend und streicht über seinen beachtlichen Bauch.

Aber als Skilehrer gibt es im Sommer leider wenig zu tun. Er habe oft das Bild seiner Großmutter Antonia im Kopf gehabt, die auf einem Holzschemel in der heimischen Küche Käse rührte, erzählt José seinen Gästen. So entstand die Idee, gemeinsam mit seinem Bruder die erste und einzige Käserei im Tal zu gründen.

Versorgte die Großmutter damals nur die Familie mit ihrem hausgemachten Käse, produzieren die Brüder heute täglich 35 Kilo. Für ihren "Hormatge dera Val d'Aran" und den "Blue de Bagergue", einen kräftigen Blauschimmelkäse mit Armagnac, erhielten sie zum zweiten Mal die "Medalla de Plata", die Silbermedaille. Und auch die Besucher sind eingeladen, sich von der Qualität des Käses zu überzeugen.

+++Das Oktoberfest Spaniens+++

"Fuerte!", warnt José und lacht, als einem Gast beim Probieren die Tränen in die Augen schießen. Neben den prämierten Käsesorten steht ein kleines Töpfchen mit einer hellgrünen Creme. "Tupi" heißt die scharfe Creme aus Käse, Cognac und Rum. Die deftige Spezialität gibt es nur hier im Tal und ist aufgrund des großzügig verwendeten Alkohols vor allem in den kalten Bergwintern bei den Einheimischen beliebt.

Es rauscht, sprudelt und plätschert. Von überall strömen Flüsse, Gebirgsbäche und Wasserfälle in das Tal. Sie speisen auch die öffentlichen Quellen in den Orten. Eine Frau in Schürzenkleid und rotem Kopftuch trägt zwei riesige Plastikflaschen zur "fuente", zum Brunnen, am Dorfplatz. Trotz fließendem Wasser im Haus trinken die Einwohner lieber das frische saubere Wasser aus den Bergen.

Besonders beliebt ist das klare Gebirgswasser auch bei den sibirischen Stören. Seit einigen Jahren tummeln sich die Fische des Baikalsees im Val d'Aran, und zwar in den Becken von "Caviar Nacarii" im Örtchen Les.

"Die Qualität des Wassers ist die wichtigste Voraussetzung für die Kaviar-Produktion", erzählt Franzisco Bernaldez seinen Gästen auf dem Rundgang durch die kleine Fabrik. "Und das Wasser hier im Tal ist einfach perfekt." 800 Kilo des "Schwarzen Goldes" produziert der Biologe jährlich mit seinem Team. Ein Großteil davon wird im Tal angeboten.

Es gibt viele Arten, den Kaviar zu genießen. Während die einen den glänzenden Rogen am Liebsten mit einem Spritzer Zitrone genießen, bevorzugen ihn andere sanft einmassiert. Zum Beispiel bei einer Gesichtsbehandlung mit frischem Kaviar in einem der Thermalbäder im Tal. Schon die Römer rekelten sich in den warmen Heilquellen des Val d'Aran. Und auch wenn ihnen die verjüngende Wirkung der Kaviar-Kosmetik noch nicht bekannt war, wussten sie schon damals um die wohltuende und heilende Wirkung des Schwefel-Wassers, das aus mehr als 300 Meter Tiefe sprudelt.

Wer sich auf den Weg macht, das Tal der Täler zu entdecken, wird schnell verstehen, warum die Römer ihre ersten Häuser an den Quellen in Les, Tedós und Arties errichteten. Noch heute spürt man schnell den Zauber dieser abgeschiedenen Region.