Nicht von dieser Welt: Im überirdisch schönen Valle Sagrado von Peru begegnet man mystischen Heilern, schüchternen Indios und starken Frauen.

Peru. Geweihter Rauch quillt aus einem Gefäß, das der Mann mit seiner rechten Hand dicht vor meinem Gesicht schwenkt. Mit der anderen wedelt er eine Feder, die, wie ich später erfahren werde, von einem Kondor, dem Symbolvogel der Anden, stammt. Rinaldo heißt dieser Mann, der wie ein Indio auf dem Weg zum Markt gekleidet ist: bunte Wollmütze mit Ohrenklappen, erdfarbener Poncho, Jeans. Rinaldo ist Schamane, ein Heiler, einer, der das Irdische mit dem Überirdischen zu verbinden weiß. Für ihn bedeutet alles um uns herum Leben, Existenz und Energie: die Pflanzen, die Steine, der Urubamba, an dessen Ufer wir seiner Zeremonie beiwohnen, die Berge, die auf der anderen Seite des Flusses steil aufragen.

Neben ihm hockt Christina, seine Assistentin. Mit dumpfen Trommelschlägen begleitet sie den Meister, der jetzt die vier Himmelsrichtungen anruft, dann den Mond, die Sonne, die Sterne, die Erde. Vor dem Schamanen und seiner Helferin liegen auf einer Decke, nur scheinbar ungeordnet, magische Kristallsteine, kleine Glöckchen, Früchte, Coca-Blätter, eine Flöte, wie sie die Indios in dieser Region (und häufig auch in den Fußgängerzonen deutscher Großstädte) spielen, außerdem einige kleine Päckchen, die Geheimnisvolles bergen.

Rinaldo ist Schamane in fünfter Generation. Wie seine Vorfahren versucht er eins zu werden mit den Elementen, bespricht Menschen und Tiere, erzählt in Sprüchen und Formeln, die zum Teil verschlüsselt sind, von der Einheit allen Daseins: "Der Rauch, den ich zu den Bergen aufsteigen lasse, wird sich am Wohnsitz der Götter mit unserem Atem verbinden", sagt Rinaldo. Nach einer Stunde gebannten Schauens und Staunens ist die Zeremonie beendet, die Sonne hat sich hinter die Berge verkrochen, es wird binnen weniger Minuten bitterkalt am Fluss.

Wir waren vor ein paar Tagen mit einem klapprigen Sammeltaxi, einem Collectivo, von Cusco, der Metropole der peruanischen Hochanden, nach Pisac gerumpelt. Das Städtchen markiert mit seiner gewaltigen Festung das östliche Tor zum Valle Sagrado de los Incas, dem Heiligen Tal der Inka. Unterwegs, auf den Feldern, hatten wir Bauern gesehen, die auf schwerer Erde hinter einem Holzpflug herliefen, die Straßen waren gesäumt von knorrigen Korallenbäumen und Eukalyptus. Zwischen den Dörfern strebten Frauen ihren Häusern entgegen, den Buckel voller Feuerholz, andere, auch Kinder, schleppten Säcke voller Gerste und Gras: das Lieblingsfutter der Meerschweinchen, die hier - gebraten, mariniert, gegrillt - die traditionelle Fleischspeise liefern.

+++Machu Picchu: Das Geheimnis der Inka+++

Es ist ein sehr fruchtbares Tal im Rücken von Machu Picchu, der berühmtesten Sehenswürdigkeit Perus, ein Tal auf knapp 3000 Meter Höhe, in dem schon die Inka Getreide und Kartoffeln angebaut, Samen und Saaten von hier aus, vor mehr als 700 Jahren, in alle Teile ihres Reichs verteilt haben. Noch immer werden alle Früchte der Region auf den farbenprächtigsten Sonntagsmärkten der Umgebung, in Chinchero und in Pisac, angeboten, Süßkartoffeln, Zwiebeln, Bohnen, auch Quinua, das alte "Wunderkorn der Inka". Und dort, wo rote Fähnchen an den Häusern hängen, wird Chicha ausgeschenkt, das traditionelle Maisbier der Hochlandindianer.

Schon am zweiten Tag waren wir in einem winzigen Straßendorf, parallel zum Urubamba, bei Mercedes hängen geblieben. Sie betreibt eine Chicheria, eine Kneipe, für die sich auch mancher Indio aus etwas entfernteren Dörfern auf den Weg macht, so beliebt ist sie. Der Fahrer unseres Collectivos hatte uns "Descanso" empfohlen, die "Pause", wie der Laden von Mercedes und ihrem Mann Fortunato heißt. Weil es erst Mittag ist, entscheiden wir uns für eine Chicha Morada, die alkoholfreie Version des Maisbiers.

Mercedes hat schon vor Stunden bonbonfarbene Maiskolben mit viel Wasser, Zucker, Zimt, Nelken, Zitronensaft und Ananasschalen ausgekocht und abgekühlt. Jetzt schenkt ihre Cousine das erfrischende Getränk, sozusagen die peruanische Version der lila Pause, aus Karaffen in Gläser, die mal eben rasch in einem Eimer voller Wasser gespült wurden. Mercedes hingegen kümmert sich im Hof um die Zubereitung einer Soße aus grünem Kraut und Baumtomaten, die nachher unser Mittagessen begleiten wird.

+++http://www.abendblatt.de/reise/article1973045/Sri-Lanka-Wo-die-Elefanten-leuchten.html+++

Bis dahin vertreiben wir uns die Zeit mit Sapo, einem Spiel, bei dem Kronkorken aus mindestens sechs Meter Entfernung in das enge Maul eines großen Kupferfrosches geworfen werden. Über meine Füße laufen vier, fünf Meerschweinchen, die Mercedes schon bald geschickt einfängt. Einige sperrt sie in den Stall, andere nimmt sie mit in den hinteren Teil der Küche. No gracias, Mercedes, wir wollen nicht dabei sein, wie du die Tiere tötest und daraus schließlich Cuy zubereitest, die Lieblingsspeise der meisten Andenbewohner (aber wir würden auch nicht sehen wollen, was mit den Salzwiesenlämmern unserer Gegend passiert, bevor wir sie uns demnächst wieder schmecken lassen).

Anderthalb Stunden und drei Chicha Morado später dampfen die Schulterstücke, das Feinste vom Meerschwein, auf dem Teller, und Mercedes erzählt beim Essen von ihrer Schwester, die in einer Frauen-Kooperative von lauter talentierten Weberinnen arbeitet und die wir unbedingt besuchen müssten. Zum Abschied schenkt sie mir ein kleines Ziegenhorn, das mir Glück bringen soll; drei Tage später werden wir ein ähnliches Horn bei den Utensilien unseres Schamanen Rinaldo entdecken.

Ollantaytambo, am westlichen Ende des Heiligen Tals, ist nicht nur geografisch der Gegenpol zu Pisac. Der Ort mag auf den ersten Blick etwas touristischer wirken. Aber wer sich für ein, zwei Tage in einem der Hostals einmietet, wer zum Beispiel von einem der Stühle vor Incas Coffee Shop aus die Rundreisetouristen beobachtet, die mit dem klimatisierten Bus angefahren kommen und viel zu schnell die steilen Treppen zur Festung des Inkagenerals Ollantay hinauf- und wieder herabkeuchen, wer sich schon nach kurzer Zeit sein Stammquartier in einer der originellen Bars sucht, wo sich die Backpacker aus aller Welt treffen, der wird diese Stadt schnell lieb gewinnen.

Mit dem Mototaxi, dem typischen Dreirad-Gefährt der Region, ist sie rasch erkundet. Aber die Tage einmal auf südamerikanische Art zu vertrödeln, hier bei einem Milchkaffee oder dort, zur blauen Stunde, bei einem Pisco Sour, dem Nationaldrink der Peruaner, das erschließt einem den Rhythmus der Indios und öffnet sogar ein wenig ihre Herzen. Jedenfalls lächeln sie uns irgendwann zu, nicht so fröhlich, nicht so strahlend, wie wir das aus Asien gewohnt sind, sondern eher zurückhaltend und schüchtern, eben anders.

Und wieder ganz anders, voll rustikalem Charme, kommt uns Nilda entgegen, die Chefin der Webschule am Rande von Chinchero, in der auch die Schwester von Mercedes tätig ist. Vor mehr als 30 Jahren hat Nilda diesen Betrieb gegründet, eine Kooperative, in der Frauen nach alter Tradition an den Spindeln arbeiten und dabei nur die Wolle von Schafen und Alpakas verwenden. Die jüngeren Weberinnen, manche noch im Schulalter, lernen von den älteren, zwischendurch wechseln sie vom Webstuhl an die großen Kochtöpfe, in denen nur aus Material, das die Natur liefert, leuchtende Farben zusammengerührt werden. Verkauft werden ihre Umhänge, Taschen, Tischläufer, Rücksäcke und Mützen an Läden in Cusco und bis nach Lima, zu festen und fairen Preisen. Der Erlös wird nach einem Schlüssel auf alle 50 Frauen der Kooperative verteilt.

Noch einmal rumpeln wir über staubige Pisten durchs Altiplano, das Hochland. Der Urubamba fließt jetzt tief unter uns, ein grünblaues Band, eingerahmt von den Schneegipfeln der Andenkette. Im Gras am Wegesrand hocken ein paar junge Indio-Mädchen, die zuvor gerade einen Markt besucht haben. Über dem Heiligen Tal hängen dünne Rauchfähnchen. Vielleicht hat Rinaldo, der Schamane, sie in diese dramatisch schöne, überirdische Landschaft aufsteigen lassen.