Mit dem Work & Travel Visa bis zu zwölf Monate Australien entdecken und nebenbei auch arbeiten dürfen

Jetzt bloß nicht wieder schwach werden und abschweifen. Sich in der Aussicht auf die Skyline von Sydney, Oper und Harbour Bridge verlieren. Oder von Koalas aus dem Konzept bringen lassen. Sophie Bruhn und Gesa Bösch sitzen auf einer Parkbank im Taronga Zoo und üben sich in Konzentration. Die Hamburger Abiturientinnen studieren Tipps für den Autokauf in Australien, aus dem Internet gefischt von Sophies Mutter und schnell vor dem Abflug im Handgepäck verstaut.

"Den Kilometerstand prüfen", ist da noch der simpelste Ratschlag. Was für eine Binsenweisheit, und manchmal doch weit entfernt von der australischen Realität: Der Kilometerzähler des Holden Commodore VR Kombi, den sich die 20-Jährigen am anderen Ende der Welt ausgesucht haben, funktioniert nicht mehr. Bei 283 000 ist er einfach stehen geblieben. Wie viele Kilometer mag der Wagen zusätzlich noch abgerissen haben?

Gesas Handy klingelt. Es ist der Verkäufer, ein Student aus München. Er wolle ja keinen Druck machen, aber es gebe noch andere Interessenten. Wie der Stand der Dinge sei? Der Stand der Dinge ist, dass Sophie und Gesa digitale Tauschbörsen, Sydneys Autohändler und die Aushänge in den Hostels intensiv durchforstet haben auf der Suche nach einem Bus für die Tour hinauf in den tropischen Norden. Angebote gibt es genug, aber keine, die für Schulabgänger bezahlbar wären.

Wenn also schon kein Bus, dann wenigstens der Fünftürer, praktisch und gemütlich ausgestattet mit Campingküche, zwei Matratzen und dunkelroten Gardinen. Schlafzimmer und Küche an Bord geben den Ausschlag: Was sind schon 2500 australische Dollar (umgerechnet knapp 1900 Euro) gegen ein neues mobiles Zuhause, viel flexibler und preisgünstiger als die Bettenburgen für Backpacker? Das Abenteuer Autokauf im Großstadtdschungel mit Linksverkehr kann also beginnen.

Sophie stellt fest: "Das ist viel unkomplizierter als in Deutschland." Die Zulassungsstelle prüft Kaufvertrag und Führerschein, die Schilder müssen nicht ausgetauscht werden. Beim Straßenamt gibt es den Green Slip, die Versicherung gegen Personenschäden gegen Vorlage des Pink Slip, einer Art TÜV-Zulassung aus der Werkstatt.

Und los geht's: Eine Woche nach ihrer Landung in Sydney rollen Sophie und Gesa im Auto auf dem Highway gen Norden. Links und rechts monotone Wüste aus rotem Sand, gelbe Schilder, ab und zu mal eine Kuh oder ein Kadaver, kaum Gegenverkehr: "Lebt hier eigentlich noch was?", wundert sich Gesa.

Drei lange Tage teilen sich die beiden Freundinnen das Steuer und schaffen fast 3500 Kilometer bis hinauf nach Cairns, Treffpunkt zahlloser Rucksacktouristen im Nordosten. Von da aus wollen sie gemütlich die Ostküste hinunterfahren: "Strand, Regenwald und Sonne satt, Great Barrier Reef und Whitsunday Islands", zählt Gesa die ersten Attraktionen auf. Das sei zwar alles sehr touristisch und total überteuert, aber wunderschön.

Die beiden Freundinnen leben auf engstem Raum "auf einem Haufen", wie sie betonen, aber das geht, solange es draußen sonnig ist. Sanitäreinrichtungen inklusive Duschen gibt es ebenso wie Barbecue-Anlagen kostenlos am Strand, und wenn nicht die Hitze weckt, sind es Ranger, die unsanft gegen die Scheibe klopfen. "Das Übernachten außerhalb von Campingplätzen ist offiziell verboten, aber überall die Regel", erklärt Gesa. Benzin und Lebensmittel sind auch so schon teuer genug, und neben Schnorcheln und Sonnenbaden steht auch Jobben auf dem Programm.

Work & Travel lautet das Schlagwort, das ganz oben auftaucht, wenn man Australien in die Suchmaschinen eingibt. Es fällt auch, wenn man Hamburger Schulabgänger nach ihren Zukunftsplänen fragt: Ins Ausland gehen, Arbeit suchen und machen, was auf einen zukommt, so eine typische Antwort. Australien ist dafür mit seinen vielen Saisonjobs prädestiniert. Bis zu zwölf Monate können junge Leute reisen und arbeiten, beispielsweise als Erntehelfer, Aushilfskellner oder Fließbandarbeiter in der Fruchtindustrie.

Das Programm kann man über Organisationen buchen, muss man aber nicht, meint Sophie: "Die Organisationen richten ein Bankkonto ein, teilen Handykarten aus, bieten manchmal Englischkurse an, aber es gibt keine Garantie auf eine Jobvermittlung." Die Jobs finde man auch so über Anzeigen oder eine Hotline. Im Fall von Gesa und Sophie in einer Waschküche im Touristenzentrum Airlie Beach, Queensland: "Garten- und Malerarbeit zu vergeben", so der Aushang. Ein Knochenjob bei sengender Hitze, aber mit 15 Dollar die Stunde bar auf die Hand ganz anständig entlohnt.

Bei ihrer zweiten Jobstation im Hinterland von Brisbane verpacken sie Früchte vom Laufband in Kartons. Mit anderen Saisonarbeitern sind sie auf einem Campingplatz mit Küche, Bad und Waschmaschine untergebracht. "Das war richtig cool", so Sophie. Aber nur kurz, die Saison ist schlecht gelaufen, und nach fünf Tagen stehen die Backpackerinnen wieder auf der Straße oder besser am Strand. "Wir haben dann erst mal einen Surfkurs belegt."

Australien, die große Freiheit. Am Strand einschlafen, am Strand aufwachen und frühstücken. "Du lebst in den Tag hinein, bist spontan und kannst immer neue Eindrücke sammeln." Und wenn es mit dem einen oder anderen Job nicht klappt, fährt man halt erst die Great Ocean Road herunter und sucht sich dann Arbeit", sagt Gesa. Glück spielt natürlich auch eine Rolle, und zum richtigen Zeitpunkt anrufen. Oder so wie Sophie einen Großvater haben, der von Hamburg aus mitsurft und die Aufenthaltsorte seiner Enkelin nach potenziellen Jobs durchforstet: Die Backpackerinnen kriegen noch einen dritten Job auf einer Farm in Victoria und kommen damit insgesamt auf fünf Wochen Work und fünf Monate Travel: "Wir hatten vorher ordentlich gespart und haben unterwegs sehr kostengünstig gelebt und das Auto nach 12 000 gemeinsamen Kilometern zu einem guten Preis verkauft", erklärt Gesa die Bilanz. Der Verkauf finanziert den Freundinnen noch einen Flug ans andere Ende von Down Under, nach Perth.

Bilder von Sonnenuntergängen, von türkisblauem Wasser und weißem Sand sind das eine, das die Hamburgerinnen von ihrer Reise zurückgebracht haben. Das andere sind neue Freunde von überall aus der Welt: "Du lernst so viele Leute kennen, alle sind locker, und alle sitzen im selben Boot", sagt Sophie. Dazu noch Erlebnisse, die haften bleiben. Etwa der kleine Auffahrunfall, der den Holden zwar unbeschadet, am gegnerischen Fahrzeug aber eine ordentliche Beule hinterlässt. Die Besitzerin bleibt gelassen, der Wagen sei eh schrottreif gewesen: "Reist schön weiter, und habt noch eine gute Zeit."

Video: Ein Jahr Australien