Der rote Superfelsen Uluru, früher als Ayers Rock bekannt, ist ein Heiligtum der Ureinwohner. Um den Monolithen ranken sich viele Mythen

Hier ist nichts, was normale Reisende in diesen desolaten, versandeten Teil Australiens treiben könnte. Niemand wird den Drang haben, hierher zu kommen als Tourist." Klare Worte von Naturforscher Prof. Baldwin Spencer. Allerdings aus dem Jahr 1912. Heute haben jährlich etwa 340 000 Reisende erheblichen Drang, zum Uluru zu kommen. 23 von ihnen sind an diesem Morgen unterwegs mit Ranger Lee Dalton. Sie wollen den Sonnenaufgang am roten Superfelsen erleben, ihn umrunden und begreifen, welche Bedeutung er in der Kultur der Aborigines hat.

Um 6.30 Uhr, eingepackt in Fleece-Jacken, Mützen und Schals, steigt die Gruppe aus dem Kleinbus. Es ist kalt, nur ein paar Grad über null. Timm, 14, zittert, hat seine Handschuhe vergessen und Glück, dass Lee ihm welche leiht. Warme Farben sind nirgendwo zu sehen. Grau der Himmel, Boden, Büsche und Riesenfelsen verschwimmen in mattbraunem Einerlei. Die Uluru-Besucher trotten los, schweigend. Nach wenigen Minuten wird das Himmel-Grau zum Himmel-Blau - so schnell, als drehe jemand am Farbknopf. Fingerzeige in Richtung Horizont, ein erstauntes Raunen geht durch die Gruppe. Noch keine Sonne zu sehen, und trotzdem leuchtet der Uluru plötzlich in so kräftigem Rotbraun, als sei er binnen weniger Minuten komplett verrostet.

"Das ist er ja genau genommen seit Millionen Jahren", erklärt Lee beim ersten Stopp. "Eigentlich ist der Uluru langweilig grau, hat aber einen Eisenoxyd-Überzug und sieht daher aus wie ein rostiger Metallklumpen", erklärt der Ranger. Und macht gleich darauf klar, dass er so eine Art Old Shatterhand der Aborigines ist: Kein Ureinwohner, aber doch Blutsbruder - der weiße Kämpfer für ihre Sache. "Wisst ihr, was das ist?", fragt er herausfordernd in die Runde und zeigt auf den Boden. "Gras", sagt ein amerikanischer Besucher, leicht verunsichert ob dieser Kindergarten-Frage. "Ja, Rhodesisches Büffelgras", antwortet Lee, "angepflanzt nach dem großen Feuer 1976." Damals hätten die weißen Parkverwalter gedacht, die ursprünglich hier wachsenden Pflanzen seien vernichtet. "Dabei brauchen die nur winzige Wassermengen, um wieder zu wachsen", ereifert sich Lee und schimpft über die Ahnungslosigkeit damaliger Park-Ranger. Denn das Büffelgras hat sich seitdem vermehrt wie eine Krankheit, nimmt vielen einst hier heimischen Pflanzen den Lebensraum. "Kein Feuer, kein Gift wirkt gegen dieses Gras, deshalb lassen wir es jetzt von freiwilligen Helfern mit Stumpf und Stiel rausrupfen."

Inzwischen projiziert die Sonne meterlange Schatten der Uluru-Wanderer in den roten Wüstensand. Zeit für die Frühstückspause auf einem Felsplateau. Und für Lees Geografie-Unterricht. Ohne Tafel und Kreide, ohne Powerpoint-Präsentation, aber mit Händen und Füßen beschreibt der Ranger, wie Uluru einst entstand - kritzelt per Stock ein zerbeultes Osterei in den Sand: "Zuerst war da ein Schlammklumpen aus Quarz-Sandstein und Feldspat, vor 600 Millionen Jahren", doziert er. Der sei unterirdisch zusammengebacken und wie in einer Waschmaschinenentrommel von Erdbewegungen hin- und hergedreht, geknetet, gepresst, wieder gedehnt und irgendwann nach oben gedrückt worden. Eine Vulkanexplosion habe es da gegeben, neun Kilometer hoch, sagt Lee, so als sei er als Urzeit-Seismologe dabei gewesen. 348 Meter hoch ragt der Inselberg seitdem auf - höher als der Eiffelturm. Das sieht man dem Uluru nicht an, weder aus der Ferne, noch ein paar Schritte neben ihm auf dem Rundweg.

"Ab hier nicht mehr fotografieren", bittet Lee und weist auf eine der Kultstätten der Anangu-Aborigines hin. Jede davon ist mit einer heiligen Geschichte aus der Tjukurpa genannten Mythologie verbunden, stets spielt der Felsen darin eine Rolle: zum Beispiel als Geburtsstätte für Aborigines-Mütter oder als sagenhafter Ort, an dem sich angeblich der Streit zweier Schlangen-Clans abgespielt hat. Kuniya, eine Python ist dort von Lirus, den Schlangen eines verfeindeten Stamms getötet worden. Kuniyas Tante, auf Rache sinnend, hat die Lirus daraufhin mit Speeren bekämpft und einer gegnerischen Python schließlich den Kopf gespalten. "Da, schaut", sagt Lee und deutet auf ein Felsenstück. Es sieht ohne viel Fantasie aus wie ein Monsterschädel mit Riesenkerbe. Gleich daneben: witterungsbedingte Löcher im Felsen, der Sage zufolge jedoch Einstiche der Speere.

Heute Morgen ist hier keine Schlange weit und breit zu sehen. Nur eine streunende Katze. Der nächste Anlass für Lees Aufregung: "Die haben die Siedler eingeführt. Inzwischen sind sie eine Landplage, denn sie haben hier keine Feinde", sagt er und beklagt, Katzen hätten die Malas, eine kleine Känguru-Art fast ausgerottet. Nicht der einzige Tier-Import mit weitreichenden Folgen im Öko-System: Das erste Kamel wankte, halb tot von der Überfahrt aus Teneriffa, 1840 von einem Schiff. Heute stolzieren geschätzte zwei Millionen Höckertiere in Down Under herum und vermehren sich ungebremst. "Auch sie haben keine natürlichen Feinde, aber viel Hunger und fressen anderen Tieren die Nahrung weg", sagt Lee. "Von 22 Säugetier-Arten rund um den Uluru sind heute nur noch 14 vorhanden."

Eine Erblast aus der Verwaltung der Weißen, in die auch die Zwangsadoption von etwa 35 000 Aborigineskindern durch die Australier zwischen 1920 und 1969 fiel - die "Stolen Generations", gestohlene Generationen. Die Verwaltung endete 1985, seit 1989 wird zum Gedenken daran jährlich am 26. Mai der National Sorry Day begangen.

Der Ayers Rock, so der damalige Name des Felsen, benannt nach einem Gouverneur, wurde mit dem Nationalpark an die Anangu zurückgegeben. Die verpachteten ihn für 100 Jahre an den australischen Staat, übernahmen die Verwaltung und änderten den Felsen-Namen in Uluru. Seitdem ist es für viele Besucher zumindest eine Überwindung, ihn zu besteigen. Denn auf Plakaten und in Broschüren bitten die Aborigines darum, dies nicht zu tun, da er ein Heiligtum ist. "170 000 Besucher jährlich ignorieren das", erzählt Lee, "200 davon müssen von Park-Rangern gerettet werden, weil sie einen Sonnenstich kriegen oder ihnen die Schuhe in der Hitze unter den Füßen wegschmelzen. Aber es gibt eine Methode, das Herumtrampeln auf dem Uluru zu verhindern", sagt Lee und grinst: "An mehr als 170 Tagen pro Jahr machen sie den Pfad dicht, wetterbedingt, wie es heißt."

In gleißender Mittagssonne sieht der Uluru nun dunkelbraun, fast verkohlt aus. Die Besucher brauchen Schatten, verabschieden sich vom mythischen Monolithen, wollen ihm abends einen letzten, besonders faszinierenden Besuch abzustatten - aus der Ferne, beim "Sounds of Silence Diner": Auf einem Hügel im Nationalpark wird der Begrüßungs-Champagner serviert, während der Uluru, gut zehn Kilometer entfernt wie ein Findling in der Steppe liegend, seine letzte Metamorphose im Sonnenuntergang macht: Zuerst in Richtung Weinrot, dann Nachtgrau. Seine Fans knipsen mit der einen Hand jede Farbnuance und knabbern mit der anderen an Häppchen mit Krokodilfleisch. Dann pilgert die Gesellschaft an weiß gedeckte Tische mitten in der Wüste, um dort Schildkrötensuppe mit Limonengeschmack, Emu-Filet, Caesar Salad mit Kängurufleisch und Barramundi-Filet zu genießen. Ein Didgeridoo-Spieler untermalt das Essen mit nörgelnden Klängen, eine Astronomin erklärt bei totaler Dunkelheit den Sternenhimmel und entführt die Gäste vom roten Felsen zum roten Planeten: "Würdet ihr eure Weinbestellung da oben hinschicken, bräuchte sie acht Jahre. Die Antwort der Marsmenschen noch einmal acht Jahre für den Rückweg. Aber Wein hättet ihr nach 16 Jahren immer noch nicht auf dem Tisch. Denn die Antwort würde vermutlich lauten: "Rotwein oder Weißwein?"

Video: Uluru - Die Anangu heißen Sie willkommen

Quelle: www.environment.gov.au