Eichedes Präsident Olaf Gehrken und Trainer Oliver Zapel über Rotation, hektische Fehlentscheidungen und einen fußballverrückten Neuzugang

Steinburg. Seit 17 Spielen kein Sieg, Absturz auf den letzten Platz der Fußball-Regionalliga – wie konnte es dazu kommen? Die Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn fragte nach bei den Verantwortlichen des SV Eichede. Zwischen dem Vormittagstraining auf dem Nebenplatz des Ernst-Wagener-Stadions und einem Treffen mit einem möglichen Neuzugang für die kommende Saison in Hamburg nahmen sich Vereinspräsident Olaf Gehrken und Fußball-Cheftrainer Oliver Zapel knapp zwei Stunden Zeit, um sich im Doppel-Interview den Fragen zu stellen.

Hamburger Abendblatt:

Herr Zapel, das bittere 4:5 am Sonnabend gegen den Goslarer SC hat sogar einem so redegewandten Trainer wie Ihnen die Sprache verschlagen. Haben Sie das Spiel schon verarbeitet?

Oliver Zapel:

Ein solches Spiel verkraftet man natürlich nicht so schnell. Das gehört ja zu einem Sportler dazu, dass er mit einer solchen Erfahrung zu kämpfen hat. Aber wir haben die Partie aufgearbeitet. Drei der fünf Gegentore resultierten aus Standardsituationen, obwohl wir wussten, dass das die große Stärke der Goslarer ist. Also werden wir im Training weiterhin ein besonderes Augenmerk darauf legen, die Konzentration hoch zu halten.

Mit Misserfolgen kennen Sie sich inzwischen aus. Der SV Eichede ist seit 17 Spielen sieglos, in der Regionalliga nach gutem Start von Platz acht auf den letzten Rang abgerutscht. Mal Hand aufs Herz, hätten sie so eine Misserfolgsserie nach dem letzten Sieg Anfang Oktober für möglich gehalten?

Zapel:

Jederzeit.

Warum?

Zapel:

Man darf niemals vergessen, unter welchen Voraussetzungen wir in die Regionalliga gestartet sind. Uns allen war bewusst, dass wir in der neuen Liga und im direkten Vergleich mit Mannschaften, die uns allesamt personell und strukturell in jeder Hinsicht überlegen sind, große sportliche Risiken eingehen würden. Umso bemerkenswerter ist es, dass genau das Gegenteil eingetreten ist. Wir haben jetzt schon 20 Punkte. Einige, die gesagt haben, wir holen keine zweistellige Punktzahl, sprechen jetzt plötzlich von einer Krise. Das ist absurd und hat meine jungen Spieler stark verunsichert. Doch das, was die Mannschaft in dieser Saison leistet, übertrifft alles. Wir sind manchmal erstaunt, wie viel Anerkennung wir bundesweit als kleinstes Regionalliga-Dorf Deutschlands bekommen – und umso mehr, wie wenig einzelne Kritiker vor Ort unsere Erfolge registrieren.

Wenn der SV Eichede Ende dieser Saison wieder absteigen sollte, was bleibt dann nach einem Jahr Regionalliga?

Olaf Gehrken:

Zunächst einmal: Wir haben noch sieben Spiele und noch alle Chancen. Es gibt zum jetzigen Zeitpunkt keinen Grund, vom Abstieg auszugehen. So oder so bleibt eine ganze Menge. Eine gute Infrastruktur, ein regionalligataugliches Stadion, ein funktionierendes Umfeld. Und nehmen Sie das Heimspiel kürzlich gegen die zweite Mannschaft des HSV: 99 Prozent der mehr als 1000 Zuschauer sind trotz der 2:4-Niederlage glücklich und stolz nach Hause gegangen, weil sie ein großartiges Spiel gesehen haben. Man kann sagen: Die Region hat die Vierte Liga angenommen. Wir haben einen Zuschauerdurchschnitt von 580, das ist das doppelt so viel wie wir kalkuliert hatten. Wir haben hier etwas in Bewegung gebracht, worauf wir in der Zukunft weiter aufbauen werden.

Verein und speziell der Trainer haben in den vergangenen Wochen auch öffentliche Kritik einstecken müssen. Unter anderem ging es darum, dass die Vielzahl an Verletzten eine Folge zu hoher oder falscher Trainingsbelastung sei.

Zapel:

Eigentlich ist genau das Gegenteil der Fall, Verletzungen gibt es oft, wenn zu wenig trainiert wird. Gerade weil viele unserer Spieler nicht das volle Trainingspensum ableisten können, sind sie in den Spielen den Belastungen manchmal nicht gewachsen. Im Übrigen: Die meisten Verletzungen unser Spieler sind mit gegnerischer Einwirkung im Spiel passiert, zum Beispiel bei Torge Maltzahn und Petrik Krajinovic. Wir haben mit ärztlicher Unterstützung untersuchen lassen, ob die vielen Schambeinentzündungen Folge von Überbelastung oder falscher Belastung sein können. Darauf gibt es aber keine Hinweise.

Ein weiterer häufig geäußerter Kritikpunkt ist die Rotation auf der Torwartposition.

Zapel:

Auch bei anderen Vereinen spielt mal der eine und mal der andere Torwart. Für mich ist das eine Position wie jede andere: Auch ein Torwart muss sich unter der Woche für einen Einsatz aufdrängen. Wer spielt, hängt von den Trainings- und Spielleistungen und natürlich auch vom Gegner ab. Aber es ist ja nicht so, dass wir im Tor jede Woche wechseln. In der Hinrunde hat beispielsweise Fabian Lucassen 16 von 19 Spielen bestritten.

Aber könnte die fehlende Konstanz der Torhüter nicht eine Folge der Rotation sein?

Zapel:

Ganz sicher nicht. Alle Torhüter hatten in der Wintervorbereitung und den ersten Spielen in diesem Jahr eine faire Chance. Diese hatten sie sich durch harte Arbeit verdient. Wenn man von Konstanz spricht, dann muss man ja auch immer die anderen Einflüsse sehen: Es gibt Spiele, in denen ein Torwart glänzen kann, und andere, in denen es insgesamt hinten schlecht läuft. Da passiert es dann immer schnell, dass dem Torwart etwas angelastet wird, das sich nach genauerer Analyse erübrigt.

Was hätten Sie – mit dem Wissen von heute – nach dem Aufstieg anders gemacht?

Zapel:

Wir hätten natürlich fünf bis acht Spieler mit Regionalligaerfahrung holen können – und damit unsere Identität verloren. Das ist ja das Absurde: Dieser Identitätsverlust wird uns vereinzelt tatsächlich vorgeworfen, und im selben Atemzug werden unsere sportlichen Leistungen beziehungsweise die Resultate kritisiert. Dabei sind wir – nicht nur wegen fehlender finanzieller Mittel, sondern vor allem aus Überzeugung – bewusst den Weg gegangen, unsere Identität zu stärken, statt sportlichen Erfolg um jeden Preis zu wollen. Wir spielen überwiegend mit den Jungs, die auch für den Aufstieg verantwortlich waren. Jeder Spieler aus der Aufstiegsmannschaft, der den Aufwand in der Regionalliga mitgehen kann und mitgehen will, hat bei uns seine Chance, statt jemanden mit ein paar Regionalligaeinsätzen vor die Nase gesetzt zu bekommen. Dennoch wollen wir keinesfalls leugnen, dass wir in der Planung der Saison auch hektische Fehlentscheidungen getroffen haben.

Zum Beispiel?

Zapel:

Nicht jede Neuverpflichtung, speziell aus unteren Spielklassen, hat die Erwartungen erfüllt. Die in einige Spieler gesetzten Hoffnungen haben viele Ressourcen verschlungen, die an anderen Stellen sinnvoller einsetzbar gewesen wären. Auch die Sommervorbereitung verlief alles andere als entspannt. Viele Spieler waren noch total leer, mussten dann aber sofort wieder durchstarten.

Auch in der Winterpause hat der Verein nicht nur eine glückliche Hand gehabt. Mit Serhat Cayir und Lamin Jawla sind zwei Neuverpflichtungen beispielsweise schon wieder weg.

Zapel:

Da muss man immer den Zusammenhang und die Verhältnismäßigkeit sehen. Dass wir jungen Talenten eine Chance geben, ist zwangsläufig damit verbunden, dass es auch mal jemand nicht schafft – zum Beispiel weil er feststellt, den Aufwand doch nicht leisten zu können. Außerdem haben wir auf der anderen Seite mit Fousseni Alassani, Jonathan Marschner und Abdel Abou Khalil echte Verstärkungen integriert.

Viele Fans sorgen sich, dass das Team bei einem Abstieg auseinanderbricht.

Zapel:

Noch einmal: Wir gehen nicht davon aus, dass wir absteigen. Und natürlich wird die Mannschaft nicht auseinanderbrechen. Identifikationsfiguren wie Jan-Ole Rienhoff oder Nico Fischer haben unabhängig von der Ligazugehörigkeit ihre Verträge frühzeitig verlängert. Es wird allerdings einen kleineren Umbruch geben. Wir haben einige Spieler im Kader, die jetzt am Scheideweg stehen und entscheiden müssen, wie es beruflich oder privat weitergeht und den für Leistungsfußball erforderlichen Aufwand nicht mehr betreiben können.

Konkret gefragt: Ist ein Spieler wie Alassani auch im Fall des Abstiegs zu halten?

Zapel:

Ja. Er hat einen Vertrag, der in beiden Spielklassen gilt. Deshalb gehe ich davon aus, dass er auch nächste Saison für uns spielt.

Erschwert die Ungewissheit, ob die Mannschaft kommende Saison in der Regionalliga oder in der Schleswig-Holstein-Liga spielt, die Kaderplanung?

Zapel:

Das ist nicht so entscheidend. Auch die Schleswig-Holstein-Liga wäre für Spieler reizvoll. Wir würden ja nicht mit der Absicht in die Saison gehen, um Platz fünf zu spielen, sondern wären von Beginn an der Gejagte.

Gehrken:

Unsere Ausrichtung ist mittelfristig die Regionalliga. Wir haben mit gutem Grund zweimal darauf verzichtet, am Regionalliga-Lizenzierungsverfahren teilzunehmen. Einmal waren die Bedingungen in Sachen Stadion nicht erfüllbar, das andere Mal waren wir sportlich noch nicht so weit. Wir haben mit Bedacht gehandelt, und das hat sich nun ausgezahlt: Unsere Erfahrungen sind unabhängig vom aktuellen Tabellenstand durchweg positiv. Dahingehend werden wir auch unser Umfeld weiter professionalisieren. Viele haben von unserem Verein ja ein falsches Bild, denken, wir haben hier drei festangestellte Geschäftsstellenmitarbeiter. Dabei wird die gesamte Arbeit von Ehrenamtlichen geleistet. Im Sponsoring haben wir bereits Fortschritte gemacht, aber auch dort sind Verbesserungen möglich. Wir haben der Region mit unserem Aufstieg etwas gegeben, nach dem sie sich offensichtlich gesehnt hat. Wir sind jetzt darauf angewiesen, dass die Region uns etwas zurückgibt.

Was könnte das zum Beispiel sein?

Gehrken:

Ein Kunstrasenplatz ist für den Verein und insbesondere für seine Jugendarbeit unerlässlich, doch den können weder wir als Verein noch die Gemeinde Steinburg finanzieren.

Zapel:

Um das noch einmal deutlich zu machen: Auch bei den Verdienstmöglichkeiten sind wir Amateure: Wenn wir mit einem Spieler sprechen, müssen wir ihn mit Worten, mit unserer Arbeitsweise, mit dem Umfeld, mit der Begeisterung um den SV Eichede überzeugen – wegen des Geldes wird er nicht zu uns kommen.

Gehrken:

In Goslar etwa können Spieler vom Fußball leben. Bei uns bekommt ein Haris Huseni gerade einmal so viel, dass er es sich leisten kann, fünfmal pro Woche mit dem Auto nach Eichede zu kommen. Da bleibt sicher nicht viel übrig.

Zapel:

Deshalb kann man es ihm auch nicht vorwerfen, wenn er uns am Saisonende verlässt. Wir haben nun mal nicht die Möglichkeiten wie andere Regionalligaclubs.

Gibt es über das bisher Bekannte hinaus schon feste Abgänge oder Zugänge?

Gehrken:

Wir haben Vincent Janelt vom SSC Hagen Ahrensburg verpflichtet, ein weiterer Spieler aus der Region.

Zapel:

Er passt perfekt in die Mannschaft, ist außerdem ein Fußballverrückter. Der kann bestimmt aus dem Kopf alle Paarungen der nächsten drei Regionalliga-Spieltage aufsagen. Solche Jungs suchen wir, die heiß sind auf die Vierte Liga und mit ihrer Begeisterung auch das Publikum anstecken.

Sie haben im bisherigen Saisonverlauf schon 37 Spieler eingesetzt, so viel wie kaum ein anderer Verein. Das spricht nicht gerade für personelle Kontinuität.

Zapel:

Ich kann darin nichts Schlechtes erkennen. Viele Spieler bekommen bei uns die Gelegenheit, Regionalliga zu spielen. Das ist doch schön. Außerdem spricht das für die Nachhaltigkeit unseres Modells mit einem Leistungskader für zwei Mannschaften. Auslöser für die Umsetzung dieses Konzeptes waren Zeiten, in denen in der zweiten Mannschaft nur vier Spieler beim Training waren. Jetzt haben wir einen Kader mit höchster Durchlässigkeit zwischen erster und zweiter Mannschaft.

So ein Modell beinhaltet aber auch Nachteile.

Zapel:

Natürlich. Es ist für mich nicht immer einfach, den Anforderungen von über 40 Spielern in Sachen persönlicher Betreuung und Kommunikation so nachzukommen, wie ich es mir wünsche. Außerdem bildet sich insbesondere in der Reserve nicht so schnell eine Stammelf. Dennoch haben ja beide Mannschaften ein festes Gerüst.