Der 45-Jährige von der TSV Reinbek begeistert sich für Jodo. Kürzlich hat er die Prüfung zum zweiten Dan bestanden

Reinbek. Die Wahl der Waffen lässt auf der ersten Blick auf einen unfairen Kampf schließen: Mit beiden Händen umfasst der Schwertkämpfer sein aus japanischem Tamagagane-Stahl geschmiedetes Langschwert. Jederzeit bereit, die gut 60 Zentimeter lange und rund ein Kilogramm schwere Waffe gegen seinen Gegner einzusetzen.

Ihm gegenüber der Jodo-Kämpfer. Seine Waffe: ein Hartholzstock aus japanischer Eiche von 128 Zentimeter Länge und 2,4 Zentimeter Durchmesser. Ein Vorteil für den Schwertkämpfer? Von wegen: „Mit dem Holzstock, dem sogenannten Jo, habe ich einen deutlichen Vorteil in der Reichweite. Es ist eine sehr schnelle und präzise Waffe, die weniger gegen das Schwert des Gegners als gegen seine schmerzempfindlichen Körperteile eingesetzt wird“, sagt Harald Jess von der TSV Reinbek. Ein weiterer Vorteil: Beide Enden des Stocks können im Kampf als Stoß-, Schlag-, oder Hiebwaffe dienen. Jess, der vor 18Jahren in die japanische Schwertkampfkunst Iaido einstieg, wechselte 2005 zum Jodo. Vor kurzem legte der 45-Jährige in Mannheim (Baden-Württemberg) im Anschluss an einen Lehrgang des Deutschen Jodo Bundes die Gürtelprüfung zum zweiten Dan ab.

Die Entstehung der Kampfkunst Jodo geht – wie bei vielen anderen Kampfstilen auch – auf eine Legende zurück. Muso Gonnosuke, ein bis dahin unbesiegter Samurai, fand Anfang des 17. Jahrhunderts in Japans berühmtesten Schwertkämpfer Myamoto Musashi seinen Meister. Gonnosuke lies diese Niederlage keine Ruhe: Er zog sich in die Einsamkeit zurück.

Dort entwickelte er nicht nur eine neue Waffe, den Jo, sondern auch eine neue Kampfkunst, das Jodo, das die Stoßtechniken des Speeres, die runden Schwünge der Lanze und die Schlagbewegungen des Schwertkampfes vereinte. Der Legende nach brachte Gonnosuke in einem zweiten Duell Musashi mit dem Hartholzstock die einzige Niederlage bei. Filme wie „Kill Bill“, eine der erfolgreichsten Arbeiten des amerikanischen Regisseurs Quentin Tarantino, zeigt die mehrere 100 Jahre alte japanische Schwertkampfkunst in Kombination mit den heute üblichen aufwendigen Special Effects.

„Dieser Film, unbestritten einer meiner Lieblingsstreifen, spiegelt aber nicht die frühere Realität wider“, sagt Jess. „Brutale Schwertkampfszenen sind unterlegt mit Guter-Laune-Musik. Das kann vor allem für jüngere Menschen, die in ihrer Persönlichkeit noch nicht gefestigt sind, gefährlich sein.“

Der 45-Jährige kennt sich aus: „Ältere Schwarz-Weiß-Filme des japanischen Regisseurs Akira Kurosawa oder neuere Streifen wie ,Last Samurai’ mit Tom Cruise kommen der Wirklichkeit dagegen sehr nahe.“ Jess, selbstständiger Medieningenieur, lebt seit 1995 in Stormarn. Berufliche Gründe veranlassten den geborenen Aachener, von Meckenheim bei Bonn nach Reinbek zu ziehen. „Ich bin kein Stadt- aber auch kein hundertprozentiger Landmensch“, sagt Jess, der im gut 26.000 Einwohner zählenden Reinbek ein Pendant zu seiner nordrhein-westfälischen Herkunft fand.

Interesse an der Architektur war einer der Gründe, weshalb Jess, Vater der Töchter Annika, 11, und Eva, 5, vor knapp sechs Jahren das Backsteingebäude erwarb, in dem er seit 1995 gemeinsam mit Ehefrau Antje und den Kindern lebt. Die Renovierungsarbeiten sind noch längst nicht abgeschlossen.

„Ich möchte den alten Charme des Gebäudes wiederherstellen – das möglichst mit meinen eigenen Händen“, sagt der 45-Jährige, dem vor knapp 16 Jahren ein Schutzengel zur Seite stand. Bei Tempo40 flog Jess – ohne Schutzhelm – kopfüber aus dem Sattel seines Rennrades. Die Ursache des Unfalls ist bist heute ungeklärt. Ohne Erinnerung an das Geschehene erwachte Jess im Krankenhaus. Ihm brummte der Schädel – ein Aufschlagen des Kopfes auf den Asphalt konnten die Ärzte nicht feststellen. Jess: „Das habe ich wohl dem Kampfsporttraining zu verdanken – man lernt instinktiv, sich bei einem Sturz abzurollen.“