Medizin: Allergopharma entwickelt neue Präparate gegen die Volkskrankheit

Die Augen sind gerötet, die Nase tropft. Allein mit Heuschnupfen plagen sich während der Pollenflugzeit Millionen Menschen herum. In industrialisierten Ländern hat sich die Zahl der Allergiker in den vergangenen drei Jahrzehnten verdreifacht. Jeder dritte Deutsche reagiert allergisch. Inzwischen haben Forscher gute Fortschritte darin erzielt, hilfreiche Therapien zu entwickeln. Auch in Reinbek leisten Wissenschaftler Pionierarbeit. 450 Mitarbeiter von Allergopharma, einer Geschäftseinheit von Merck, haben ihren Sitz an der Hermann-Körner-Straße. 70 bis 80 davon arbeiten in der Forschung. Bei der Entwicklung von neuen Präparategenerationen dringen sie dabei bis zu den Molekülen vor.

Die technischen Möglichkeiten haben sich revolutionär entwickelt, seit Noon und Freeman 1911 die spezifische Immuntherapie entdeckten: Mit Injektionen von Gräserpollenextrakten behandelten die beiden Forscher Heuschnupfenpatienten. Am Prinzip der Hyposensibilisierung hat sich seit damals kaum etwas geändert, auch heute ist sie die einzige Möglichkeit, Allergien kausal, also ursächlich, zu behandeln.

Allerdings mit immer neuen Möglichkeiten, die Körperabwehr auszutricksen. Dabei ist die richtige Dosis das Geheimnis, denn die Abwehr wird mit den Stoffen überlistet, auf die der Körper allergisch reagiert. Die Reinbeker Forscher von Allergopharma versprechen sich dabei viel von "Rekombinanten Allergenen", die biotechnologisch hergestellt werden und Patienten noch effektiver helfen könnten. Ihr Vorteil: Sie sind reiner, optimaler zu dosieren und können präziser kombiniert werden als die aus Pollen auf konventionelle Weise extrahierten Wirkstoffe.

Die Herausforderungen sind groß: Denn nicht nur störende Symptome müssen bekämpft werden, sondern auch der "Etagenwechsel" der Allergie auf die Atemwege und damit die Entstehung von Asthma, erläutert Dr. Susanne Thum-Oltmer, Leiterin der Abteilung Medizinische Wissenschaft.

Was Noon und Freeman noch nicht wussten: Jeder Allergiker trägt ein spezielles Sensibilisierungsmuster gegen einzelne molekulare Bausteine des Auslösers in sich. Eine Immuntherapie kann umso besser wirken, je mehr richtige Komponenten sie zur Desensibilisierung enthält. "Molekulare Techniken eröffnen heute Zugang zu Informationen, die eine individuellere Planung der Behandlung ermöglichen", erklärt Dr. Andreas Nandy, Leiter der Molekularen Allergologie. Und hier setzt sein Team an. Molekularbiologische Techniken werden die konventionellen Verfahren in Zukunft nach und nach ablösen, ist Allergopharma-Sprecher Gerd Eschholz sicher. "Die Hoffnung ist, langfristig jedem Patienten eine maßgeschneiderte Therapie anbieten zu können", sagt Dr. Susanne Thum-Oltmer. "Dazu müssen aber auch die internationalen Zulassungsbehörden diesen Weg mitgehen."

Die Allergopharmapräparate für die Hyposensibilisierung werden überwiegend in Injektionsform verabreicht. Erforderlich ist eine Therapie über mindestens drei Jahre. Aber nicht alle Patienten halten das regelmäßige Spritzen durch, bedauert Eschholz. Deshalb forsche Allergopharma auch daran, dass Patienten mit weniger Spritzen auskommen. Auch andere Möglichkeiten, wie die Aufnahme durch die Haut, werden ins Auge gefasst. Das Allergie-Pflaster sei allerdings noch Zukunftsmusik.

Drei wirksame Präparategruppen wurden von Reinbek aus bereits weltweit auf den Markt gebracht. Erste klinische Studien zu rekombinanten Pollenallergenen zeigen vielversprechende Ergebnisse. Die Nutzung biotechnologischer Lösungen wird ein Meilenstein in der Allergologie werden, ist man in Reinbek sicher. Doch bevor sie die Regale in Apotheken oder bei Ärzten füllen, müssen aufwendige Testreihen durchlaufen, Millionen Euro investiert werden. Denn bis zur Zulassung kann ein Entwicklungsprogramm zwölf bis 15 Jahre dauern.