Glinde (st). Unsere Redakteurin Susanne Tamm hat vor der Lesung mit Autor und Autist Axel Brauns gesprochen.

Susanne Tamm:

Herr Brauns, als Autist nehmen Sie Ihre Mitmenschen nicht als Ihresgleichen wahr und können ihre Gefühle nicht erkennen. Ist das richtig? Und leiden Autisten darunter?

Axel Brauns:

Genau, menschliche Gesichter waren für mich verschwommen. Sie sagten mir ebenso viel wie ein Ellenbogen. Ich habe das Gefühl, von Dingen umgeben zu sein. Wir Autisten haben schon Gefühle. Aber warum sollte ich einem Ding meine Gefühle mitteilen? Das würde ich bei einem Stuhl auch nicht tun.

Aber Autismus ist eine Entwicklungsstörung, keine Krankheit. Für uns wird es nur schwierig, weil diese "Dinge" darauf pochen, Gefühle zu haben. Nichtautisten haben das Sagen und setzen die Standards.

Welche Rolle spielt die Sprache dabei, Kontakt zur Welt der anderen aufzunehmen? Ihre literarische Sprache ist sehr beschreibend, bildreich und oft lautmalerisch.

Sprachstörungen können auch schöpferisch genutzt werden. Ich habe mittlerweile meinen Frieden mit der deutschen Sprache geschlossen. Als Kind wollte ich nicht sprechen. Die Sprache war meine Feindin, eine Raubritterin, die mir meine Ruhe geraubt hätte. Deutsch ist meine Muttersprache, aber ich musste sie erst wie eine Fremdsprache lernen.

Die Kreuzworträtsel-Redaktion meiner Mutter, in der ich in meiner Jugend mitgearbeitet hat, hat mir sehr geholfen. So habe ich mir als 16-Jähriger nicht nur wesentlich mehr verdient als die anderen Schüler als Taschengeld bekamen, ich habe mir auch Witze ausgedacht. Dabei habe ich die Mechanismen von Pointe und Humor gelernt. Den Kontakt erschließe ich mir über humorvolle Anekdoten. Ein gutes Training waren auch die öffentlichen Auftritte, nachdem 2002 mein Roman "Buntschatten und Fledermäuse" erschienen ist. Ich profitiere von meinem Vorteil als Autist, da ich keinerlei Lampenfieber spüre: Vor Kohlköpfen kann man sich nicht blamieren.

Was haben Sie aktuell an Büchern und literarischen Ideen in Arbeit?

Für meinen ersten Roman habe ich 17 Jahre gebraucht. Es war ein bisschen wie ein Selbstmord, diesen Schritt zu wagen, mich den Lesern anzuvertrauen. Außerdem kam mir meine Geschichte zuerst doch zu ausufernd vor. Darum habe ich sie wieder reduziert: erst auf 400 Seiten, auf ein Kapitel, einen Absatz, einen Satz, ein Wort und schließlich auf einen Punkt. Dann ging mir doch auf, dass das niemand veröffentlichen will und ich habe meine Erzählung in vier, fünf Jahren wieder aufgefächert. Seit sechs Jahren arbeite ich an meinem vierten Roman, einer Liebesgeschichte zwischen zwei Steuerfachangestellten. Für mich ein Minenfeld. Bald ist er fertig.

Danke für das Gespräch.