Erinnerungen: Holocaust-Überlebende Esther Bejarano (88) berührt ihr Publikum

Schon bei den ersten Worten, die Esther Bejarano aus ihrem neuen Buch "Erinnerungen" vorträgt, hätte man am Sonnabend im Bürgerhaus die berühmte Stecknadel fallen hören können. Es ist sterbensstill als sie mit ruhiger, klarer Stimme vorträgt, was ihr während des Krieges widerfahren ist. Sie erzählt, wie sie und ihre Freundinnen mehrere Tage in einem Viehwagon eingepfercht mit vielen anderen Menschen nach Auschwitz gebracht wurden.

"Ich habe Bilder vor meinem Augen...", ist einer dieser Sätze, die vielen im Publikum unter die Haut gehen. Die Holocaust-Überlebende erinnert sich an Frauen, die nicht mehr leben wollten. Sie liefen in den Starkstromzaun, um endlich zu sterben. Sie erinnert den berüchtigten KZ-Arzt Josef Mengele, vor dem alle im Lager zitterten, und den Aufseher, der aus Spaß seine Hunde auf Frauen hetzte, um diese zerfleischen zu lassen.

Die jüdische Musikerin Esther Bejarano spielte als 18-jährige im Mädchenorchester von Auschwitz und überlebte den Holocaust. Für ihr künstlerisches und antifaschistisches Engagement erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. Wenn sie nicht singt, schreibt sie ihre Erinnerungen nieder. Mittlerweile hat die Hamburgerin drei Bücher geschrieben. Ihr neuestes kommt am 9. Oktober unter dem Titel "Erinnerungen" auf den Markt.

Viele Zuschauer kennen die kleine, große Dame offenbar und begrüßen die 88-Jähige schon mit einem herzlichen Applaus. Der Saal im Marcellin-Verbe-Haus ist komplett besetzt. "Ist das Mikro überhaupt an?", fragt Esther Bejarano kritisch und prüft mit einem Klopfen die Technik. Das Publikum applaudiert gleich noch einmal. Doch während des Vortrags verstummen die Menschen. Viele haben die Hände fast wie zum Gebet im Schoß gefaltet und sind zutiefst berührt. Sie alle lauschen, wie die Lebensgeschichte der Holocaust-Überlebenden weitergeht. Nach einem Moment der Stille am Ende der Lesung klatschen die ersten Zuhörer und plötzlich klingt es, als seien 1000 Menschen in dem Saal. Sie erheben sich ehrfürchtig vor Esther Bejaranos Mut und klatschen, klatschen ohne Unterlass.

Danach ist noch lange nicht Schluss: Die 88-Jährige steht auch im zweiten Teil des Abends auf der Bühne. Diesmal nicht allein. Neben ihr Sohn Joram ( 60), rechts und links die Hip-Hopper Kutlu Yurtseven (40) und Rosario Pennino (41). Drei Generationen, drei Religionen. Die Menge klatscht. Esther Bejarano singt, scheint förmlich am Mikrofon zu kleben. Joram Bejarano begleitet das Trio auf dem Bass, und die beiden Hip-Hopper rappen. Seit vier Jahren berühren die Jüdin, der Katholik und der Muslim mit ihrer Musik die Menschen - auch in Glinde.