Reinbek. Es ist morgens um 9 Uhr. Binnen weniger Sekunden rasen zwei Autos an Hans Kaphengst vorbei den Heideweg im Reinbeker Stadtteil Neuschönningstedt entlang Richtung Möllner Landstraße. Tempo 50 ist hier erlaubt, doch die Fahrzeuge sind um einiges schneller. Der 80-Jährige schüttelt mit dem Kopf. Er ist verärgert wie so viele Menschen aus der Nachbarschaft. Sie müssen nämlich mit dem Rad auf der Straße fahren und fürchten um ihre Gesundheit. Im vergangenen Jahr wandelte die Stadt den kombinierten Rad- und Gehweg um. Erwachsene dürfen sich auf ihm nur noch zu Fuß bewegen. Das wollen Bürger aber nicht akzeptieren und fordern eine Änderung. Doch die Verwaltung stellt sich stur, sieht wegen fünf fehlenden Zentimetern keinen Handlungsspielraum.
Stadt wollte Umbaukosten auf Anlieger abwälzen
„Ich will mein Leben nicht auf der Kühlerhaube eines Lastwagens beenden“, sagt Kaphengst, der lange CDU-Stadtverordneter gewesen ist und der Partei noch angehört. Er lebt mit seiner Frau Didi seit 46 Jahren auf dieser Ecke, zwölf Monate länger als Hans-Jürgen Callsen (81). Die beiden Rentner und weitere Personen aus der Umgebung hatten in den 90er-Jahren darauf hingewirkt, dass der Gehweg auf der westlichen Seite um einen Meter verbreitert wurde und somit offiziell für Radfahrer in beide Richtungen zugänglich war. Im Gegenzug wurde die Fahrbahn enger gestaltet. Das ging nicht ohne Nebengeräusche. Die Stadt wollte die Umbaukosten komplett auf Anlieger und Bewohner angrenzender Straßen abwälzen. Daraufhin formierte sich eine Bürgerinitiative.
Callsen hat den Schriftwechsel mit dem Rathaus in einer Mappe aufbewahrt. In den Dokumenten sind jede Menge Ziffern gelistet. Ursprünglich sollten die Grundstückseigentümer im Schnitt rund 1500 Mark zahlen, durch den Protest verringerte sich die Summe auf 800 Mark. Kaphengsts Haus liegt in der Straße Rehwinkel, einer Sackgasse. Um auf die Möllner Landstraße zu gelangen, muss er den Heideweg passieren. „Deshalb wurden auch wir finanziell beteiligt“, sagt der Christdemokrat. Er radelt per anno rund 2500 Kilometer und trat nahezu täglich auf dem kombinierten Weg in die Pedalen.
Jetzt starten die Anwohner eine Unterschriften-Aktion
2018 untersagte die Stadt Radfahrern dann die Nutzung und führte als Grund eine Novellierung der Radwegebenutzungspflicht durch den Gesetzgeber an. Dass die Schilder abgebaut wurden, bemerkten Kaphengst und Callsen erst Monate später. Sie beklagen auch, dass man sie nicht informiert habe. „Ich habe mich bei der Polizei erkundigt. Wenn die einen mit dem Rad auf dem Weg erwischen, kann das zehn Euro kosten“, so Kaphengst.
Der Ärger in der Nachbarschaft ist groß. Bettina Schwarz (38) macht sich Sorgen um Kinder und Jugendliche. Sie sagt: „Auf der Strecke sind sehr viele Jungen und Mädchen mit dem Rad auf Achse, die weiterführende Schulen besuchen, auch die in Glinde.“ Sie habe schon einige brenzlige Situationen erlebt, wo Fahrzeuge Radfahrern sehr nahe gekommen seien. Zum Glück sei bisher nichts passiert. Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr müssen den Gehweg mit ihrem Rad nutzen, bis Zehnjährige haben die Wahl. Wer älter ist, muss im Heideweg auf die Straße.
Bettina Schwarz hat selbst zwei Söhne im Alter von drei und acht Jahren. „Schon bei dem Gedanken, dass sie später nur die Fahrbahn nutzen dürfen, bekomme ich es mit der Angst“, sagt sie. Die Mutter nennt als einen Grund die großen Busse. Dort fahren mehrere Linien. „Ich finde es grotesk, dass Reinbek sich als fahrradfreundliche Stadt bezeichnet und so handelt.“
Anwohner Jürgen Hoch weist auch auf die Rettungswache am Birkenweg hin, der in den Heideweg übergeht. „Die Fahrzeuge müssen bei Einsätzen schnell raus, da sehe ich Gefahrenpotenzial für Radfahrer“, sagt der 78-Jährige. Horch berichtet auch von Geschwindigkeitsmessungen der Polizei auf dem Abschnitt und Autos, die doppelt so schnell wie erlaubt gewesen sind.
Bürger appellieren auch an den Bürgermeister
All diese Argumente hat Kaphengst an die Verwaltung herangetragen und gebeten, den Weg für Radfahrer wieder zuzulassen. In einem Antwortschreiben heißt es unter anderem: „Ein Gehweg mit Freigabe der Benutzung durch Radfahrende muss baulich eine durchgängige Breite von mindestens 2,50 Meter aufweisen. Diese Voraussetzung erfüllt der Gehweg im Heideweg leider nicht.“ Zudem weise die Fahrbahn für den gemeinsamen Fahrzeug- und Fahrradverkehr eine ausreichende Breite auf.
Um dem Wunsch der Bürger entsprechen zu können, fehlen also fünf Zentimeter. „Wir appellieren an den Bürgermeister, für Sicherheit zu sorgen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es bei dieser Sache keinen Ermessensspielraum gibt“, sagt Kaphengst. Zwischen Fußgängern und Radfahrern habe es noch nie Streitigkeiten gegeben. Man respektiere einander und gehe aufmerksam miteinander um.
Verwaltungschef Björn Warmer ist derzeit im Urlaub. Mit der Angelegenheit ist im Rathaus Jenny Laue betraut, die Leiterin der Verkehrsaufsicht. Sie sagt: „Eine Änderung ist rechtlich nicht haltbar.“ Man habe alle zwei Jahre eine Verkehrsschau mit der übergeordneten Behörde. Die Fachaufsicht habe in der Vergangenheit schon diverse Hinweise gegeben, weil Reinbek bei der Umsetzung in solchen Sachen spät dran gewesen sei.
Kaphengst startet jetzt eine Unterschriftensammlung, will die Liste dann an Bürgermeister Warmer übergeben. Sollte die Stadt weiter abblocken, erwägen er und seine Mitstreiter, sich einen Anwalt zu nehmen.
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