Historische Aufnahmen

Ahrensburg besitzt weltweit erste Schneeflocken-Fotos

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Christina Schlie
Die Ahrensburger Jürgen und Hannelore Plage mit zwei der restaurierten Fotos Johann Heinrich Flögels

Die Ahrensburger Jürgen und Hannelore Plage mit zwei der restaurierten Fotos Johann Heinrich Flögels

Foto: Birgit Schücking / HA

Die 136 Jahre alten Aufnahmen des Naturforschers Johann Heinrich Flögel wurden restauriert – eine spät entdeckte Sensation.

Ahrensburg.  In Ahrensburgs Stadtarchiv lagern nicht nur alte Schriften – sondern auch Schneeflocken. Genauer gesagt: Fotos von Schneeflocken. Historische Aufnahmen, die Stadtarchivarin Angela Behrens als absoluten Glücksfall für Ahrensburg bezeichnet: Bei den Bildern handelt es sich um den Nachlass des renommierten Ahrensburger Naturforschers Johann Heinrich Flögel (1834–1918), der – nach derzeitigen Erkenntnissen – als erster Mensch weltweit einen Schneekristall fotografiert hat. Das war 1879. Das Stadtarchiv hat die historischen Fotos jetzt mit Fördermitteln des Landes restaurieren lassen.

Gefunden hatten die Bilder die Ahrensburger Hannelore und Jürgen Plage, und zwar schon in den 1970er-Jahren. „Wir hatten damals das frühere Haus Johann Heinrich Flögels gekauft. Und haben dort im Keller einen alten, feuchten Karton mit diesen Aufnahmen entdeckt“, sagt Jürgen Plage. Dass er damit eine „weltweite Sensation“ in den Händen hielt, war ihm nicht bewusst.

Das kam erst vor gut fünf Jahren: Jürgen Plage las zufällig einen Zeitungsartikel über einen amerikanischen Schneeforscher, dem es im Jahr 1885 gelungen war, die angeblich weltweit erste Fotografie eines Eiskristalls anzufertigen. „Das kann nicht sein“, dachte sich Plage und überprüfte die Aufnahmen Flögels. Der Naturwissenschaftler hatte seine Fotos damals datiert und genau beschriftet – in Sütterlinschrift. Er schrieb: „Die Bilder elf bis 14 zeigen Schneesterne in schwächerer und stärkerer Vergrößerung. Sie sind nach einem bisher nicht veröffentlichten Verfahren hergestellt und liefern den Beweis, dass man diese entzückend schönen Formen trotz ihrer Vergänglichkeit sich dauernd festhalten kann.“ Plages Schwester hatte die Schrift in unsere heutige lateinische Schrift übertragen.

Flögel erforschte auch Insektengehirne und gilt als Pionier auf diesem Gebiet

Neben den vier Schneeflocken gab es auch Fotos von in Scheiben geschnittenen Insektengehirnen und Parasiten. So zeigt eine Aufnahme eine Muskeltrichine in 300-facher Vergrößerung. Das ist ein Fadenwurm, der durch rohes Schweinefleisch auf den Menschen übertragen werden kann. Flögel schreibt: „Das Tier stammt aus dem Muskel einer Frau, die an Trichinose starb. Es wurde frischlebend, sofort nach der Befreiung aus seiner Kapsel, fotografiert. Man sieht an diesem Bilde sehr viel mehr Details als an den gewöhnlich nach fertigen Präparaten toter Tiere gemachten Fotos.“

Flögel sei ein bekannter Wissenschaftler sowie Ehrendoktor der Universität Kiel gewesen, sagt Stadtarchivarin Angela Behrens. Er forschte viel an Insektenhirnen und lebte von 1892 bis zu seinem Tod 1918 in Ahrensburg. „Bahnbrechend“ sei seine Leistung gewesen, sagt Behrens. Auch die Aufnahmen, die er gemacht habe. „Fotografie war damals ja noch in der Entwicklung. Das war Spitzenforschung.“ Flögels bedeutender Forschernachlass war im Zoologischen Museum in Hamburg verwahrt worden – verbrannte jedoch 1943 während des Feuersturms, als die Hansestadt bombardiert wurde.

„Deshalb ist es so großartig, dass diese Aufnahmen und die dazugehörigen Texte gefunden wurden“, betont Behrens. 2013 wanderten die Dokumente in den Besitz des Stadtarchivs. Das Ehepaar Plage hatte sie der Stadt überlassen. Seitdem gab es schon mehrfach Anfragen von Wissenschaftlern, auch aus den USA. Im vergangenen Jahr waren die Schneeflocken-Bilder Teil einer Ausstellung im nordrhein-westfälischen Landesmuseum. Für Anfang nächsten Jahres hat sich eine Wissenschaftlerin des Deutschen Museums in München angekündigt, um den Nachlass zu bewerten.

Dass die 16 Aufnahmen Flögels jüngst für knapp 3500 Euro restauriert werden konnten, ist der Förderung zum Erhalt von schriftlichem Kulturgut beim Land Schleswig-Holstein zu verdanken. Die Stadtarchivarin hatte sich darum beworben – und noch weitere Projektanträge gestellt, die ebenfalls bewilligt wurden:

Darunter der erste Fahrplan der Eisenbahn von Lübeck nach Hamburg aus dem Jahr 1865 und ein Werbezettel des ersten „Supermarktes“ in Ahrensburg – dem Lebensmittelgeschäft Boy aus den 1950er-Jahren –, der mit der Anrede „Sehr geehrte Hausfrau“ beginnt.

Des Weiteren gab es Mittel für zwölf Protokollbücher aus den Jahren 1867 bis 1945. Sie belegen die kommunale Selbstverwaltung seit 1867 und „sind damit die wichtigsten Unterlagen der Stadtverwaltung im Stadtarchiv“, sagt Behrens. Besonderheiten wie die Auflösung der Gemeindeversammlung (ein Mann, eine Stimme) hin zur Gemeindevertretung (demokratisch gewählte Gemeindevertreter) oder die Umbenennung der Gemeinde von Woldenhorn in Ahrensburg werden darin schriftlich festgehalten.

Der Förderantrag des Stadtarchivs belief sich auf eine Summe von 6500 Euro. Davon muss Ahrensburg 700 Euro aus der eigenen Kasse zahlen. „Ohne die Zuwendung aus den Landesmitteln wäre eine nachhaltige Restauration nicht möglich gewesen“, sagt Behrens und betont: „Dass jedoch all unsere Anträge bewilligt wurden, zeigt auch den hohen Wert unseres Archivs.“

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