Erdmute Partecke aus Reinbek bekommt den Stormarner Kulturpreis 2014 für ihre Geschichte „Der weiße Elefant“

Reinbek. Erdmute. Das klingt altmodisch. Brav. Fast ein bisschen zopfig. Aber mit der Frau, die da am Esstisch in ihrem Reinbeker Einfamilienhaus sitzt und offen über sich erzählt, hat das nichts zu tun. Der Gewinnerin des Stormarner Kulturpreises 2014 nähert man sich mit einer anderen Lesart: Erdmute. In dem Wort steckt Erde. Und Mut. In diesem Fall der Mut, die Erde auch mal mit einem befreienden Luftsprung zu verlassen, sich auszuprobieren, um dann selbstbewusster in das gesellschaftliche System zurückzukehren. Oder der Mut, anderen diese Chance zu geben und einem Jungen in der Kita zuzurufen: „Spring vom Tisch Luigi“.

Es ist der Titel eines der vielen Fachbücher, die Erdmute Partecke geschrieben hat. Er zeigt die Haltung der Diplom-Psychologin und Therapeutin, die besonders Kinder befähigen möchte, sich zu entwickeln. Und die aus demselben Impuls heraus Geschichten schreibt. Geschichten über Kinder, die ihren Weg suchen. Über Eltern. Über Menschen. Über die Sehnsucht nach Bindung und Liebe.

Die Bewerber sollten Werke zum Thema „Begegnungen“ einreichen

Beim Kulturpreis ging es genau darum: um Begegnungen. „Das ist mein Lebensthema“, sagt die Preisträgerin. „Auch wenn ich weiß, dass manche sagen: Mein Gott, diese Psychologin. Muss die denn nun auch noch schreiben!“ Doch sie hatte schon mehrere Erzählungen zu dem Thema im Schubfach. Durch die Ausschreibung ermuntert, schrieb sie noch drei Texte am Computer. Herausgekommen ist ein sechsteiliges Geschichten-Konvolut, das 1945 beginnt und bis in die heutige Zeit reicht. Für den Wettbewerb reichte Erdmute Partecke den ersten Teil ein: „Der weiße Elefant“.

Es geht um Josephine. Fünf Jahre alt. Der Vater im Krieg, die Mutter nie da. Die Elefanten, die auf der Handtasche der Mutter prangen, faszinieren das Mädchen und beginnen, in ihrer Fantasiewelt ein Eigenleben zu führen. Als ein junger Mann aus Burma in die kleine Stadt kommt, fragt Josephine ihn, ob es in seiner Heimat Elefanten gebe. Seine Antwort ist ein Geschenk: ein kleiner, weißer Elefant aus Elfenbein. Er wird zum Symbol für die Sehnsucht nach Nähe.

„Das Mädchen verliebt sich natürlich in den jungen Mann, so wie es Kinder tun“, sagt die Preisträgerin, die in der Ich-Form geschrieben hat. „Es klingt merkwürdig, wenn man über Kinder schreibt. Was im Inneren vor sich geht, weiß ja eigentlich nur das Kind selbst“, sagt Erdmute Partecke und lächelt wie eine Verbündete.

„Nicht das Kind muss verändert werden, sondern die Umgebung“, sagt die 75-Jährige. Voller Leidenschaft für ihren Beruf geht sie in Kitas, um das Verhältnis zwischen Kindern und Erziehern im Team neu zu ordnen. Die Psychologin hat sich immer für das Miteinander in Strukturen interessiert, für die Begegnung in Systemen – im Verhältnis zwischen Erzieherinnen und Kindern, Eltern und Kindern, Schülern und Lehrern, Patienten und Ärzten. Und das immer mit einem emanzipatorischen Ansatz. Sie nennt die Mittel ihrer Wahl: mehr Zuwendung, mehr Sicherheit und mehr Freiheit.

„Wenn ein Junge auf den Tisch steigt, hat er den Finger gehoben und zeigt: Hier ist etwas nicht in Ordnung“, sagt die Reinbekerin. Die Aufforderung „Komm‘ da runter“ helfe nicht weiter. Partecke: „Ich sage: Ich sehe dich da oben. Denn groß zu sein, ist für Kinder sensationell.“ Und so nimmt Erdmute Partecke die Sache mit der Veränderung der Umgebung wörtlich.

„In den meisten Kitas liegen unendlich viel Spielsachen herum. Wir räumen alles weg und rücken die Möbel beiseite.“ Das bedeute nicht, dass Kinder machen dürften, was sie wollten. „Ich sorge erstens für Sicherheit und lege Matten aus. Und natürlich geht es letztlich darum, die Kinder ernst zu nehmen, um sie gestärkt ins Wertesystem zurückzuholen.“

In einer Kita in Hamburg-St. Pauli mit 85 Prozent Migrationshintergrund ist Erdmute Partecke einmal in der Woche. Ihr Grundkonzept: Spiele in der Gruppe. „Ich bin dabei nicht Beobachterin. Ich spiele mit“, sagt sie und meint sowohl das Experimentelle und Risikobehaftete des Umgangs als auch das Streben nach Augenhöhe mit dem Gegenüber. Und sei es auch noch so klein.

Die Augen sind ihr wichtig. Nähe entstehe durch Blicke. „Kinder empfinden sie als Liebkosung. Das ist wie später beim Flirten. So entsteht das Schwingen von einer Seele zur anderen.“ Aus beruflicher Erfahrung weiß sie, dass trotzdem oft das Anfassen als Beweis von Liebe gewertet wird. „Aber das ist ein Trugschluss.“

Autobiografische Momente fließen in ihre Geschichten ein. Und so geht es im zweiten Teil um Josephines Mutter. Während sich das Mädchen nach Nähe sehnt, ist die Mutter selbst auf der Suche nach Liebe. Ihr Mann ist im Krieg. Und als auch ihr Geliebter verschwindet, wird sie krank. „Ich zeichne nicht schwarz-weiß“, sagt die Autorin. „Ich sehe beide Seiten.“ Die Mutter schüttelt die Trauer und damit die Krankheit ab. Sie befreit sich. „Indem sie sich amüsieren geht“, sagt Erdmuthe Partecke.

Altmodisch? Nicht derjenige, der Haltung zeigt und das urdemokratische Prinzip im Miteinander gegen institutionelle Machtstrukturen hochhält. Und brav? Schon gar nicht. „Ich war als Kind vorlaut und frech“, sagt die Preisträgerin. Auch sie sei ihren Weg gegangen. „Meine Schwiegereltern waren entsetzt über die Frau mit den kurzen Haaren. Sie konnten nicht fassen, dass ich nicht aufstand, um Frühstück für meinen Mann zu machen“, sagt Erdmute Partecke und lacht.

Ihre Geschichten hat sie all die Jahre unter Verschluss gehalten. Doch sie ließ sich nicht beirren. „Ich habe neulich meinen Kindern etwas von mir vorgelesen. Hinterher war es ganz still. Die fanden das richtig gut.“

Doch jetzt wird es laut um die Kulturpreis-Trägerin. Und das ist ihr ein bisschen unheimlich. „Klar möchte ich Erfolg haben. Aber das stresst auch. Du meine Güte, jetzt wird meine Geschichte tatsächlich öffentlich vorgelesen.“