Verein Frauen helfen Frauen Stormarn fordert Änderung des Paragrafen zur sexuellen Nötigung

Bad Oldesloe. Es gibt Gesetze in Deutschland, die bei ihrer Durchsetzung zwar zu Rechtsprechung, nicht aber immer zu Gerechtigkeit führen. Für Frauenrechtler ist der Paragraf 177 des Strafgesetzbuches solch ein Fall. Er regelt, wie juristisch mit sexueller Nötigung und Vergewaltigung umzugehen ist. „Dieses Gesetz geht bei seiner jetzigen Auslegung an der Realität vorbei“, sagt Dagmar Greiß vom Verein Frauen helfen Frauen Stormarn.

Der Paragraf führe dazu, dass Täter trotz belegbarer sexueller Handlungen gegen den Willen einer Frau freigesprochen oder gar nicht erst angeklagt werden. „In vielen Fällen erfüllt der Paragraf, Frauen besser gegen sexuelle Gewalt zu schützen, nicht seinen Zweck“, so Greiß.

Beraterinnen kritisieren, dass Täter häufig freigesprochen werden

Um das zu ändern, startet der Verein in Zusammenarbeit mit dem Landesverband Frauenberatung Schleswig-Holstein (LFSH) und dem Bundesverband Frauenberatung und Frauennotrufe (BFF) eine kreisweite Plakataktion unter dem Motto „Vergewaltigung verurteilen“. Erklärtes Ziel der Aktion ist, die Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren und die Reform des Paragrafen voranzutreiben. „Das Gesetz muss an die realen Bedingungen angepasst werden, unter denen die meisten Vergewaltigungen passieren“, sagt Marion Bolfeld, Juristin und erste Vorsitzende des Vereins.

Das Gesetz besagt Folgendes: Verurteilt kann nur derjenige werden, der eine andere Person entweder „mit Gewalt, durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist“ zu sexuellen Handlungen nötigt. „In der Praxis sind diese Kriterien häufig nicht erfüllt. Daher gibt es keinen Straftatbestand“, sagt Bolfeld.

Das Problem liege zum einen darin, dass häufig keine Gewalt oder Drohungen nötig seien, um einen Übergriff ausüben zu können. „Auf der anderen Seite wird die schutzlose Lage als solche nur anerkannt, wenn das Opfer objektiv keine Chance auf Flucht oder Gegenwehr hatte.“ Passiere die Vergewaltigung zum Beispiel in einer nicht abgeschlossenen Wohnung, habe das Opfer eine Möglichkeit, der Situation zu entfliehen. „Die Frau ist also objektiv gesehen nicht schutzlos.“

Die Frauenberaterinnen kritisieren, dass die subjektive Wahrnehmung des Opfers keinen Bestand vor Gericht hat. „Viele Frauen lassen sexuelle Nötigung über sich ergehen, weil sie Angst vor Gewalt haben, auch wenn sie vorher nicht angedroht wurde“, sagt Bolfeld. Es reiche nicht, wenn die Frau Nein sage oder weine. Sie müsse sich aktiv wehren. „Es ist den Tätern möglich, sich über den formulierten Willen der Opfer hinwegzusetzen“, sagt Marion Bolfeld.

Richter seien deshalb regelmäßig in der Situation, Vergewaltiger freisprechen zu müssen. „Die Verhandlungen enden nicht selten mit den Worten ‚Es ist zwar moralisch verwerflich, was der Angeklagte getan hat, aber strafrechtlich nicht verfolgbar‘“, sagt Dagmar Greiß. Der BFF betitelt diesen Missstand in seiner „Fallanalyse zu bestehenden Schutzlücken in der Anwendung des deutschen Sexualstrafrechts bezüglich erwachsener Betroffener“ folgendermaßen: Was Ihnen widerfahren ist, ist in Deutschland nicht strafbar.

Das Argument, Falschbeschuldigungen würden mit einer Änderung der Kriterien des Paragrafen 177 Tür und Tor geöffnet, möchte der Verein nicht gelten lassen. „Falschbeschuldigungen gibt es sowohl im Sexualstrafrecht als auch in anderen Strafrechtsgebieten. Das Problem muss man natürlich ernst nehmen. Die Zahl der Falschbeschuldigten steht aber in keinem Verhältnis zu der Zahl der Frauen, denen durch die derzeitige Auslegung des Paragrafen 177 Ungerechtigkeit geschieht“, sagt Marion Bolfeld.

Der Stormarner Verein hofft auch auf einen Impuls aus Brüssel. Im Mai 2011 hatte der Europarat eine Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt verabschiedet. Mit dem Inkrafttreten im August dieses Jahres sind alle ratifizierenden Mitgliedsstaaten verpflichtet, die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen zu treffen, um Frauen adäquat vor sexueller Gewalt zu schützen. „Deutschland hat das Übereinkommen bislang nur gezeichnet, hat aber angekündigt, die Konvention zeitnah zu ratifizieren“, sagt Bolfeld.