Kreis beruft sich auf Richtlinie von 1982, die bislang großzügig ausgelegt worden ist

Ahrensburg/Bad Oldesloe. Ein Bescheid der Sozialbehörde des Kreises Stormarn sorgt zurzeit für Verwirrung unter behinderten Menschen, die in einer Pflegeeinrichtung leben und den vom Kreis finanzierten Fahrdienst des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) für Behinderte nutzen. Die Idee hinter dem Fahrdienst: Menschen mit Behinderungen sollen mobiler werden, das soll ihnen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Doch mit dem Schreiben widerruft der Kreis nun die Nutzungsbewilligung für diesen Service. „Damit wenden wir unsere Richtlinie an, die seit der Einführung des Dienstes 1982 Bestand hat, allerdings in den vergangenen Jahren in der Praxis etwas anders gehandhabt worden ist“, sagt Imke Colshorn, Fachbereichsleiterin Soziales und Gesundheit in der Kreisverwaltung.

Der Transport von Menschen, die in einem Seniorenwohnheim oder Reha-Zentrum leben, war demnach schon immer ausgeschlossen. Die Verwaltung habe dies in den vergangenen Jahren dennoch bewilligt, solange sie sich noch nicht mit der Politik über eine Novellierung der Richtlinie verständigt hatte, erklärt Colshorn. „Die Politiker haben sich schließlich explizit gegen eine Ausweitung der Richtlinie für Heimbewohner ausgesprochen.“

Die Teilhabe an gesellschaftlichen Aktivitäten sei für Menschen in Einrichtungen nicht ausgeschlossen. Denn Pflegeheime könnten ihren Bewohnern verschiedene Angebote wie zum Beispiel Ausflüge ermöglichen. „Anders ist es bei Behinderten, die nicht betreut leben und womöglich noch auf dem Land zu Hause sind. Für diese Menschen ist dieser Dienst vielleicht die einzige Möglichkeit, mal ins Theater zu gehen oder Verwandte zu besuchen“, sagt Colshorn. Die Verwaltungsbeamtin räumt aber auch ein, dass in Heimen betreute behinderte Menschen durch diese Regelung eingeschränkt werden. „Individuelle Fahrten sind in der Form nicht mehr möglich.“

Für Menschen wie Anneliese Seidling wird sich durch den Widerruf also viel ändern. Die 85 Jahre alte Ahrensburgerin ist seit einem Schlaganfall linksseitig gelähmt und nutzt den ASB-Fahrdienst seit Ende 2012. Sie kann die Argumente der Kreisverwaltung nicht nachvollziehen. „Ein Pflegeheim kann individuelle Fahrten ins Theater oder zur Familie, die ich regelmäßig mache, überhaupt nicht leisten“, sagt Seidling.

Zwei Ausflüge im Jahr biete ihre Einrichtung an. „Das ersetzt die Freiheit und Flexibilität, die ich mit dem Fahrdienst habe, überhaupt nicht.“ Fahrten in die Oper oder zu Familienfesten könne sie nun nicht mehr ohne Weiteres unternehmen. Für den nächsten Theaterbesuch in Hamburg, den die Rollstuhlfahrerin lange vor Erhalt des Bescheids gebucht hat, muss sie eine andere Lösung finden. „Ich werde jemanden im Bekanntenkreis fragen, ob er mich hinfahren kann. Aber das kann ich auf Dauer niemandem zumuten“, sagt die 85-Jährige.

Ein Taxi nach Hamburg würde sie hin und zurück mehr als 100 Euro kosten, sagt Seidling. Das könne sie sich nicht leisten. Die Rentnerin fühlt sich benachteiligt und hat dem Bewilligungswiderruf daher widersprochen. „Ich finde, das ist eine Ungleichbehandlung von Behinderten. Diejenigen, die den Dienst offensichtlich mehrheitlich nutzen, dürfen es nicht. Und diejenigen, die ihn nutzen sollen, tun es nicht.“ Sie vermutet, behinderte Menschen, die ihr soziales Umfeld nicht verlassen haben, seien nicht so sehr auf den Fahrdienst angewiesen wie Heimbewohner.

Wie viele Menschen tatsächlich von den Bewilligungswiderrufen betroffen sind, darüber hat der Kreis keine Zahlen erhoben. Doch eine Auswertung der Nutzerzahlen ergab kürzlich, dass im Jahr 2013 nur 67 behinderte Menschen im gesamten Kreis das Angebot nutzten – die meisten davon in den Städten. Dies befanden die Vertreter aller Fraktionen im Sozial- und Gesundheitsausschuss des Kreises als zu wenig. Nun dürfte diese Zahl weiter sinken.

Allerdings schätzt der Kreis den Bedarf deutlich höher ein, vor allem im ländlichen Raum. Deshalb hat die Verwaltung kürzlich mit einer Werbeaktion begonnen, um genau diese Menschen zu erreichen (wir berichteten). Der ASB bekommt jährlich 41.000 Euro vom Kreis für dieses Angebot, das möglichst voll ausgeschöpft werden soll. Ob die Rechnung aufgeht, weiß noch keiner. Anneliese Seidling jedenfalls muss erst einmal auf das Angebot verzichten. „Ich warte jetzt erst mal ab.“