Demokratiezentrum

Studie belegt: Viele Schüler denken rechtsextrem

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Alexander Sulanke

Unter 900 befragten Jugendlichen in den Kreisen Stormarn und Herzogtum Lauenburg sowie in Lübeck ist es jeder Elfte, besagt eine neue Studie. Sie wurde in Ratzeburg vorgestellt.

Ratzeburg. Etwa jeder elfte Mittelstufenschüler im Südosten Schleswig-Holsteins hat eine rechtsextreme Gesinnung. Zu diesem Ergebnis sind Wissenschaftler der Kieler Christian-Albrechts-Universität in einer nun vorgestellten Studie gelangt. Im Auftrag des schleswig-holsteinischen Innenministeriums haben sie gut 900 Siebt- bis Zehntklässler an 18 Schulen in den Kreisen Herzogtum Lauenburg und Stormarn sowie in der Hansestadt Lübeck befragt. Unter den befragten Jungen ist rechtsextremes Gedankengut offenbar deutlich verbreiteter, rund zwölf Prozent von ihnen passen in das von den Wissenschaftlern definierte Raster; bei den Mädchen sind es 6,3 Prozent.

Eine weitere Erkenntnis der Wissenschaftler: Jeder vierte der Befragten hat nach eigenem Bekunden schon mal Kontakt zur rechtsextremen Szene gehabt, sei es durch Freunde (41,1 Prozent), „Bekannte“ (24,3 Prozent), Eltern oder Geschwister (je 4,9 Prozent), Lehrer (4,3 Prozent) oder durch die Feuerwehr (2,1 Prozent).

Die Studie ist Teil einer Bedarfsanalyse und eines Konzepts für ein sogenanntes Zentrum für Demokratieentwicklung, das in der Region geplant ist. Beide Ausarbeitungen sind vom Land bezahlt worden. Sie bestärken die Akteure vor Ort in ihrer Auffassung, dass so eine Einrichtung sinnvoll sei. „Wir werden das vorantreiben“, sagt Ratzeburgs Bürgermeister Rainer Voß. Die Idee ist im „Ratzeburger Bündnis“ gegen Rechtsextremismus geboren worden. Im Rathaus der lauenburgischen Kreisstadt laufen seitdem die Fäden zusammen. Voß setzt nun auf eine Förderung des Projekts durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Denn andere Geldtöpfe seien bislang nicht in Sicht, sagt der Verwaltungschef.

Es gab Morddrohungen gegen den Ratzeburger Bürgermeister

Was das Zentrum an sich angeht, ist vieles ebenfalls noch recht vage, so etwa die Frage, an welchem Ort oder an welchen Orten die Einrichtung ihre Arbeit aufnehmen könnte. Die Soziologin Antje Gansewig, die ein Konzept für das Demokratiezentrum ausgearbeitet hat, erklärt: „Konkret geht es um eine Anlauf-, Informations- und Koordinierungsstelle mit festen Ansprechpartnern und verlässlichen Öffnungszeiten.“ Die Aufgabenstellung: Die Mitarbeiter der Einrichtung sollen Besuchern unter anderem Experten und Institutionen vermitteln, beraten und – idealerweise in Zusammenarbeit mit den Volkshochschulen – Multiplikatoren fortbilden. „Ein wichtiger Aspekt ist außerdem der Bereich Recherche und Analyse“, sagt Gansewig. Ihr schwebt vor, dass auch Informationen über rechtsextremistische Aktivitäten in der Region zusammengetragen und ausgewertet werden.

Die hatten vor zweieinhalb Jahren einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. In der Nacht zu Freitag, 13. Januar 2012, hatten Unbekannte eine Morddrohung gegen den Ratzeburger Bürgermeister auf die gelbe Fassade des Rathauses geschrieben, die weiße Eingangstür mit einem antisemitischen Schriftzug versehen und weitere Häuser in der Stadt beschmiert. Die Täter seien damals gefasst worden, sagt Ratzeburgs Polizeichef Manfred Börner heute. Seitdem sei es mit dem offenen, offensichtlichen Wirken der Szene vorbei. Inwiefern und in welchem Ausmaß sie noch existiert, vermag er nicht zu sagen. „Sie ist so schwer greifbar“, sagt er, „das ist das Problem. Wir wissen jetzt, was in manchen Köpfen drin ist. Wir wissen aber nicht, wie es sich konkret äußern wird.“

Ähnlich sieht es der Kieler Psychologie-Professor Thomas Bliesener, der die Studie ausgearbeitet hat. Anhand verschiedener Parameter kann er sehr gut analysieren, was die befragten Jugendlichen denken. Was halten sie zum Beispiel von den Aussagen, dass es genug Ausländer in Deutschland gebe (dem stimmen 29 Prozent der Befragten zu), dass Deutschland wieder die führende Rolle in der Welt übernehmen sollte (31 Prozent), dass der Nationalsozialismus auch seine guten Seiten gehabt habe (17 Prozent), dass die Juden durch ihr Verhalten an ihrer Verfolgung mitschuldig seien (elf Prozent), dass sich wie in der Natur auch in der Gesellschaft der Stärkere durchsetzen sollte (22 Prozent) oder dass man sich wegen der vielen Muslime manchmal wie ein Fremder im eigenen Land fühle (23 Prozent)?

Setzt Bliesener all das in Korrelation, so kann er eben einen gewissen Prozentsatz der Jugendlichen als „rechtsextrem eingestellt“ klassifizieren. „Aber das heißt nicht zwangsläufig, dass sie jemals auffällig werden.“

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