Europakritische Partei AfD bittet zu umstrittener Versammlung ins Oldesloer Bürgerhaus. Aber nur Auserwählte dürfen rein. Ein Ortstermin

Bad Oldesloe. „Halt!“ Und schon schießt ihnen eine große Handfläche entgegen, die nun, am langen Arm gehalten, die Funktion eines Stoppschilds übernimmt. Emma und Lena stutzen. Ein untersetzter Mann mit weißem Haarkranz und Schnurrbart hat die Schülerinnen, 18 Jahre alt, mit entschiedener Geste gestoppt. Jetzt fragt er in scharfem Ton: „Als was sind Sie hier?“ Das kommt überraschend, und Emma antwortet überraschend spontan: „Als Menschen.“ „Das meine ich nicht“, sagt der Mann unwirsch. „Sind Sie politisch aktiv? Wollen Sie stören? Oder wollen Sie sich informieren?“

Später, auf Nachfrage, wird sich der Großhansdorfer als „Redemann. Harald. Kreisvorsitzender“ vorstellen. Als Stormarner Kreisvorsitzender der europakritischen Partei Alternative für Deutschland (AfD). Die hat zu einer Wahlkampfveranstaltung ins Oldesloer Bürgerhaus eingeladen. Und Störenfriede, das macht Herr Redemann im Foyer sehr deutlich, sind drinnen im Saal so gar nicht willkommen.

Draußen, auf der Mühlenstraße, haben sich knapp 100 überwiegend junge Demonstranten versammelt, die in Redemanns Augen Störpotenzial darstellen könnten. Sie haben Spruchbänder dabei. „Nationalismus ist keine Alternative“ steht auf einem, „Keine Stimme den Nazis und RechtspopulistInnen“ ist auf einem anderen zu lesen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, neben der Eingangstür des Bürgerhauses, lehnt wie als Antwort ein AfD-Plakat: „Mut zur Wahrheit.“ Die Demonstranten johlen und pfeifen, sobald ein mutmaßlicher Besucher das Gebäude betritt. Zwölf Polizisten bewachen die Veranstaltung, sie haben Hunde dabei. „Alles ruhig bis jetzt“, sagt Einsatzleiter Rolf Aßmann.

Emma und Lena, die im Unterschied zu vielen Demonstranten so vollkommen unauffällig aussehen, haben es in den Saal geschafft. Sie wundern sich: Was hat sie in den Augen des Mannes am Eingang so verdächtig aussehen lassen? „Wenn Sie stören, fliegen Sie raus“, hat er ihnen noch mit auf den Weg gegeben. „Vielleicht, weil wir so jung sind“, sagt Lena und schaut sich im Saal um. Die 70 Stühle sind schon besetzt, überwiegend von älteren Herren, 60 plus. „Oder ihm gefallen unsere Turnschuhe nicht“, meint Emma.

Eigentlich hätte die Versammlung längst beginnen sollen, aber im Foyer steht schon wieder so eine Störerin: Maria Herrmann, SPD-Fraktionschefin in der Stadtverordnetenversammlung, begehrt Einlass. Herr Redemann eilt herbei, deutet ihr den Weg zur Ausgangstür. Dann winkt er den Sicherheitsdienst herbei, junge, kräftige Burschen mit wahlweise kurzer, sehr kurzer oder unsichtbar kurzer Haartracht. Es kommt zu einer kleinen Rangelei. Ergebnis: Herrmann, obgleich oder weil sie laut dagegen protestiert, fliegt raus.

Nun kann es aber endlich losgehen. Herr Redemann begrüßt die Gäste und übergibt an den ersten Referenten: Der Stormarner Bruno Hollnagel, der als „unabhängiger Währungsexperte“ vorgestellt wird, ist ein Wirtschaftswissenschaftler mit Doktortitel. Er wolle keine politische Rede halten, sagt Hollnagel, „sondern Fakten benennen, die dazu führen, dass Sie sich Ihre eigene Meinung bilden können.“ Ein Beamer projiziert auf die Leinwand an der Stirnseite des Saals ein erstes Faktum dieses Typs: „Die Politik will uns für dumm verkaufen.“

Später wird Hollnagel – „lassen Sie mich das nur kurz in zwei Sätzen erklären – „die Ursachen der Misere“ benennen, nämlich „den Euro“ und „den Bruch des Vertrauensprinzips“. Er ist so ein Experte, der europäische Politik auf eine Art und Weise erklären kann, die jeder versteht. „Das ist wie im Kegelclub“, sagt Hollnagel. „Sie wollen sich nur ein Bauernfrühstück für 7,80 Euro bestellen und selbst zahlen. Heute will aber jemand eine Umlage machen. Und schon bestellt sich Ihr Nachbar ein Steak für 20 Euro. Die Rechnung steigt und steigt. Und dann will auch noch einer Hummer haben.“ Klar, das ist die unausgesprochene Quintessenz, dass am Ende der sparsame Deutsche mit dem Bauernfrühstück für alle anderen mitbezahlen muss. Applaus.

Draußen auf der Straße empört sich unterdessen die Stadtpolitikerin Maria Herrmann über ihren Rauswurf aus dem städtischen Gebäude. Bürgermeister Tassilo von Bary ist in die Mühlenstraße gekommen. Wie berichtet, hat er die Überlassung des Bürgerhauses an die AfD zunächst zurückgezogen, dann aber mangels rechtlicher Grundlage Abstand davon genommen. „Die AfD hat hier heute das Hausrecht“, erklärt er. In diesem Augenblick versucht ein junger, gepflegter Mann, schwarz das Haar, dunkel der Teint, tiefbraun die Augen, das Haus zu betreten. Burschen halten ihn zurück, schütteln ihre Köpfe. Nicht mal sein deutscher Personalausweis vermag daran etwas zu ändern. „Wenn das Hausrecht in dieser Art und Weise ausgeübt wird, sehe ich das allerdings mehr als kritisch“, sagt von Bary. „Das müssen wir gründlich aufarbeiten.“ An diesem Abend aber beschwichtigt er den jungen Mann wie auch Maria Herrmann. Deeskalation ist das Gebot der Stunde. „Alles ruhig bis jetzt“, sagt Polizei-Einsatzleiter Rolf Aßmann.

Plötzlich sind auch Emma und Lena wieder draußen. Genug gehört? „Rausgeflogen.“ Sie haben AfD-kritische Flugblätter auf einen Stuhl gelegt.

So verpassen sie nun den zweiten Referenten: Jörn Kruse, Wirtschaftswissenschaftler mit Professorentitel, seit Jahren in Diensten der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg, AfD-Landeschef in der Hansestadt. Auch er sagt gleich zu Beginn, dass er an diesem Abend nicht alles ausführlich darstellen könne. Kruse plädiert sodann für eine stärkere Kontrolle der Banken. Kritisiert Altkanzler Helmut Kohl für sein leidenschaftliches Euro-Engagement, „und die Zeche zahlen wir jetzt“. Sagt, dass Polen noch europafreundlicher sei als Deutschland, „kein Wunder bei den Subventionen“. Und dass Frankreich eine staatenübergreifende Arbeitslosenversicherung wolle, „würde ich als Franzose auch wollen.“ Gelächter.

Draußen wird gerade diskutiert, wer das Schild „Kein Ort für Nazis“ vom Bürgerhaus entfernt hat. Es ist jedenfalls weg, das Mauerwerk beschädigt. Drinnen kritisiert Kruse die EU-Kommissare, die nicht demokratisch legitimiert seien und nicht vom Bürger zur Rechenschaft gezogen werden könnten. „Sie machen, was sie wollen beziehungsweise was Lobbyisten sagen.“

Die AfD darf das Bürgerhaus bis 21Uhr nutzen. Um 21.17 Uhr meint Herr Redemann, dass noch Zeit für eine letzte Frage aus dem Publikum sei. Eine junge Frau, offenbar nicht rechtzeitig als Störenfried identifiziert, fragt den Professor: „Wie erklären Sie sich, dass draußen so viele Menschen stehen und protestieren?“ Jörn Kruse: „Die kennen unser Programm nicht.“ Und: „Ich bin kein Rechter, ich wäre auch nicht in der AfD, wenn sie sich zu einer rechten Partei entwickelte.“

Dann wird der Hinterausgang geöffnet. Ein Fluchtweg, den viele Besucher gern nutzen, um, von den Demonstranten unbemerkt, zu verschwinden.