Rund 20.000 Unternehmen in Schleswig-Holstein stehen in den kommenden zehn Jahren zur Übergabe an. Vielen Inhabern fällt das Loslassen schwer

Ahrensburg. Tausenden von inhabergeführten Unternehmern in Schleswig-Holstein stellt sich in den kommenden Jahren die Frage der Betriebsübergabe. Mit anderen Worten: Sie brauchen neue Chefs. Das allerdings wollen die im wahrsten Wortsinn alten Chefs allzu oft nicht wahrhaben. Sie seien sich der Notwendigkeit, einen Nachfolger zu finden, entweder nicht bewusst oder verdrängten sie, sagen Experten übereinstimmend. Ein riesengroßes Problem. Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern und auch ehrenamtliche Berater wollen nun verstärkt handeln. „Es muss dringend etwas geschehen“, sagt etwa Friedrich-Karl Marcus vom Verein Wirtschafts Senioren Beraten.

Dabei ist es bis jetzt noch schwer, die Problematik überhaupt in Zahlen zu fassen. Bislang gibt es so gut wie kein belastbares Datenmaterial, und die potenziell Betroffenen schweigen. Denn wer offen zugäbe, dass seine Nachfolge ungeklärt ist, stellte damit letztlich die eigene Firma als nicht mehr zukunftsfähig dar. Erkenntnisse über die aktuelle Situation soll nun eine gemeinsame Umfrage der Industrie- und Handelskammern (IHK) und der Handwerkskammern (HWK) in Schleswig-Holstein bringen. Nils Thoralf Jarck, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK zu Lübeck: „Alle inhabergeführten Unternehmen in Schleswig-Holstein, in denen das Thema aktuell sein könnte, sind angeschrieben worden.“

Die Zahl der verschickten Fragebogen könnte ein erster Anhaltspunkt für das Ausmaß der Problematik sein. Es sind ungefähr 20.000. Jeder Unternehmer, der das 55. Lebensjahr vollendet oder bereits hinter sich gelassen hat, ist kontaktiert worden. Ulf Grünke, Sprecher der Handwerkskammer Lübeck, schätzt, dass jeder zweite Adressat Handwerker ist. Grünke: „In jedem dritten der landesweit etwa 30.000 Handwerksbetriebe dürfte in den kommenden zehn Jahren eine Nachfolgeregelung erforderlich sein.“

Einen weiteren Anhaltspunkt liefert eine aktuelle Studie des Bonner Instituts für Mittelstandsforschung (IfM). Dessen Mitarbeiter haben den Zeitraum 2014 bis 2018 beleuchtet. Sie sprechen von schätzungsweise 4800 Unternehmen in Schleswig-Holstein, die zur Übergabe anstünden. Und an denen hingen knapp 70.000 Arbeitsplätze.

Im Alter von 55 Jahren an die Nachfolge zu denken – das liege fielen Unternehmern fern, sagt Ulf Grünke. „Insbesondere in einer durchweg von positiben Zahlen geprägten Zeit wie dieser. 90 Prozent der Handwerker sagen, sie seien gut oder zumindest befriedigend ausgelastet. Wer so viel zu tun hat, lässt den Gedanken an die Nachfolge in den Hintergrund treten.“ Und das, obwohl sie sich in immer weniger Firmen von selbst regelt. Grünke: „Die Idealvorstellung, die Firma an seine Kinder oder einen Gesellen zu übergeben, ist heute leider nicht mehr Realität.“ Insofern sei es gerade für Handwerker eine große Herausforderung, nicht nur Fach-, sondern auch Führungskräfte zu gewinnen.

Und das in einer Zeit, in der schon die Lehrlingssuche vielen Handwerkern Probleme bereite. Horst Kruse aus Großhansdorf, Präsident der Handwerkskammer Lübeck: „Obwohl unsere Mitglieder sehr um Jugendliche werben, bleiben leider viele Lehrstellen unbesetzt.“

Die Kammern bieten unterdessen Hilfe an. „Unsere Betriebsberater beschäftigen sich mittlerweile schwerpunktmäßig mit dem Thema Unternehmensnachfolge“, sagt Handwerkskammer-Sprecher Grünke. Und IHK-Vizehauptgeschäftsführer Jarck sagt: „Wir bieten uns noch stärker als bisher an – auch weil wir den Eindruck haben, dass vielen Unternehmern einfach ein Ansprechpartner fehlt. An wen sollen sie sich auch wenden?“

Selbst wenn- die Unternehmer bereit sind, sich mit dem Thema Nachfolge auseinanderzusetzen: Viele Übergaben werden nach Einschätzung der Kammerberater dadurch erschwert, dass die Vorstellungen des alten und des potenziellen neuen Eigentümers nicht zusammenpassen. Dabei muss es nicht immer ums Geld gehen. Es gebe noch andere Konfliktpotenziale. Friederike Kühn, IHK-Präses aus Bargteheide, zählt einige auf: „Welche Rolle soll nach einer Übernahme der alte Chef noch spielen? Bekommt er vielleicht einen Beratervertrag? Behält er noch ein Büro im Haus? Wie wichtig ist seine Person eigentlich für die Firma? Auch solche Fragen müssen so früh wie möglich geklärt werden.“