Anwohner der Kreisstraße 80 fordern seit Jahren mehr Schutz vor Krach. Ein 36-seitiges Dokument setzt Verwaltung und Politik jetzt unter Druck

Glinde. Das wertvollste Stück im Haushalt von Dagmar Coordts ist, was die Materialkosten betrifft, recht billig. Es handelt sich um eine Mappe aus Kunststoff mit 36 DIN-4-Seiten. Doch der Inhalt ist für die 63-Jährige Gold wert – genauso wie für ihre Nachbarn, die Anwohner der Straße Stübenkoppel in Glinde direkt an der Kreisstraße 80. Seit viereinhalb Jahren hat die Rentnerin, neben Junias Berndt Sprecherin der Bürgerinitiative „Lärmschutz K80“, auf diesen Moment gewartet. Jetzt hält sie das Gutachten eines Ingenieurbüros für Akustik, Luftreinhaltung und Immissionsschutz endlich in den Händen. Die Erleichterung ist ihr anzumerken. Sie lächelt, sagt: „Das Schriftstück zeigt deutlich auf, dass die vorhandene Lärmschutzwand aus Holz keine schalldämmende Wirkung hat. Konkret heißt das also: Es gibt überhaupt keinen Lärmschutz. Und laut Gutachter haben wir hier ein Anrecht darauf.“ Dort, wo laut Landesbetrieb Verkehr (LBV) im Schnitt täglich 29.000 Fahrzeuge mit bis zu 100 km/h vorbeidonnern, darunter eine Menge Schwerlaster, die das angrenzende Industriegebiet, dass sich die Städte Reinbek und Glinde teilen, anfahren. Zum Vergleich: Im Jahr 1995 waren es noch knapp 22.000 Fahrzeuge.

Coordts, die seit beinahe 40 Jahren an der Stübenkoppel wohnt und damit schon länger als es die K 80 gibt, ist von dem Ergebnis keineswegs überrascht. Sie hatte es schon immer geahnt und sich gemeinsam mit rund 30 Nachbarfamilien dafür eingesetzt, dass der Lärmschutz verbessert wird. Passiert ist jedoch wenig: „Wir hatten den Eindruck, dass unser Anliegen von der Politik und im Rathaus nicht ernst genommen wurde.“ So seien die Mitglieder des Bauausschusses eingeladen gewesen, um sich vor Ort ein Bild von den Gegebenheiten zu machen. Gekommen sei jedoch niemand. Zudem seien abgestimmte Besichtigungstermine mit der Verwaltung oder Zusagen nicht eingehalten oder wiederholt verschoben, ein Antrag auf Verbesserung des Lärmschutzes bereits vor Jahren abgeschmettert worden.

Stattdessen votierte der Bauausschuss einstimmig für den Vorschlag, die Verwaltung damit zu beauftragen, ein Gutachten erstellen zu lassen. Es sollte ermittelt werden, welchen Belastungen die Bewohner ausgesetzt sind und ob die Zahlen mit Berechnungen übereinstimmten, die Ende der 70er-Jahre gemacht wurden, als die Kreisstraße 80 entstand. Das war im Mai 2009. Doch bis das Gutachten in Auftrag gegeben wurde, dauerte es vier Jahre. Deshalb wirft die Bürgerinitiative der Verwaltung Verzögerungstaktik vor. Berndt: „Jedenfalls hatten wir ein Mitspracherecht bei der Auswahl des Gutachters. Allerdings haben wir uns auch mit zehn Prozent an den Kosten beteiligt, das sind etwa 360 Euro.“ Den Löwenanteil zahle die Stadt.

Demnächst kommen pro Tag 1300 Lastwagen auf der K 80 hinzu

Für den Bankkaufmann, der direkt neben Coordts mit Frau und Kind am Ende der Stübenkoppel ein Einzelhaus mit großzügigem Garten bewohnt, ist die derzeitige Situation unerträglich. Er spüre die Erschütterungen am Esstisch im Wohnzimmer, wenn Schwerlast durchfahre. „Und die Lärmbelästigung wird nicht weniger. Wenn das DHL-Zentrum im Industriegebiet erst einmal fertiggestellt ist, sind pro Tag noch 1300 Laster mehr auf der Kreisstraße 80 unterwegs.“ Coordts mache es ganz wuselig, wenn sie tagsüber im Garten arbeite. Sie und ihr Mann hätten zwischenzeitlich sogar darüber nachgedacht, ihr Anwesen zu verkaufen. „Aber Interessenten wissen um die Sache mit dem Lärm. Das drückt den Preis. Und wir hätten für das Geld nichts Adäquates an anderer Stelle bekommen“, sagt sie.

Jetzt könnte sich für die Glinderin und ihre Nachbarn doch noch alles zum Guten wenden. Sie haben die berechtigte Hoffnung, endlich ruhige Stunden in ihren idyllischen Gärten genießen zu können. Bürgerinitiativensprecher Berndt: „Wir fühlen uns als Sieger, weil die Wahrheit endlich präsent ist. Das ist auch die Bestätigung für unsere Arbeit. Jetzt erwarten wir Handlungen von denjenigen, die für den Lärmschutz zuständig sind.“

Laut Coordts ist die Stadt Glinde Ansprechpartner, das belege das Gutachten. Bürgermeister Rainhard Zug hatte bereits im Mai dieses Jahres verkündet, dass im Fall einer Überschreitung der geplanten Lärmwerte sich die Stadt an den Kreis sowie den Landesbetrieb Verkehr wenden und mehr Lärmschutz einfordern werde. Glindes Amtschef sieht die beiden übergeordneten Behörden in der Pflicht, da es sich um eine Kreisstraße handele.

Anwohner lehnen Kostenbeteiligung an neuer Lärmschutzwand ab

Vorerst soll zum Thema eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Mitarbeitern der Verwaltung, Politikern und Mitgliedern der Bürgerinitiative, gegründet werden, berichtet Coordts. Zug wird den Bauausschuss am 9. Januar über den Inhalt des Gutachtens informieren. Bis dahin werden laut Berndt noch Ergänzungen eingearbeitet. So sollen in der kommenden Woche Messungen auf jedem Grundstück der Stübenkoppel gemacht werden. Was die finanzielle Beteiligung an einer neuen Lärmschutzwand betrifft, ist die Lage für Berndt klar: „Hier handelt es sich um ein bestehendes Baugebiet. Laut B-Plan war ein Lärmschutz vorgesehen und beauftragt, ist aber nicht errichtet worden. Insofern kann man uns nicht an den Kosten beteiligen.“ Man erwarte jetzt, das gebaut werde.