Im Ahrensburger Marstall sprach der große alte SPD-Politiker über eine Männerfreundschaft, die Ostverträge und das Glück der deutschen Einheit

Ahrensburg. Egon Bahr ist sicher einer der letzten seiner Art. Wie sein Parteigenosse Helmut Schmidt möglicherweise einer der letzten großen Männer der Politik. Es mag auch an „ihrer Zeit“ liegen. Der Zeit, in der die Bundesrepublik noch in Spannungsfeldern lag, die maßgeblich vom Kalten Krieg bestimmt wurden – dem Stoff, aus dem die besten James-Bond-Filme geschrieben wurden. Und auch beim Besuch Egon Bahrs im Ahrensburger Marstall lag ein Hauch der alten Ost-West-Bedrohung in der Luft, aber auch ganz viel Idealismus und viel Weisheit.

Der ehemaligen Ahrensburger Bürgermeisterin Ursula Pepper stand Egon Bahr Rede und Antwort. Zwei Stunden interviewte die SPD-Frau den Genossen – vor Hunderten Zuhörern im restlos ausverkauften Saal. Es ging um die großen Themen aus dem politischen Wirken von Egon Bahr: die Annäherung der Bundesrepublik Anfang der 70er-Jahre an Moskau, die DDR und die übrigen Satellitenstaaten der Sowjetunion und um Willy Brandt. Dem Mann, der auf seinem Sterbebett Sohn Lars auf die Frage, wer sein Freund gewesen sei, antwortete: „Egon.“ In seinem jüngsten Buch „Das musst Du erzählen“ schreibt Bahr erstmals über die Männerfreundschaft zum ersten SPD-Kanzler der Bundesrepublik.

Dass Egon Bahr als Journalist um ein Haar eine andere Laufbahn (Karriereende WDR-Intendant) eingeschlagen hätte, das erzählte er auch den Ahrensburgern. Eine Anekdote, welche die Besucher offenbar ebenso amüsierte wie die Tatsache, dass Bahr zuvor nur Presse-Attaché in Ghana geworden war, weil seine damalige Ehefrau nicht „feuchttropentauglich“ war. Andere Botschaften der Bundesrepublik, an denen Attachés gesucht wurden, wären somit nicht mehr in Frage gekommen, sagte Bahr – nicht ohne ein bisschen schelmisch vom Ledersessel auf der Bühne hinab ins Publikum zu schauen. Während Bahr im Marstall plauderte, mit der Stimme würdig eines Geschichtenerzählers, wurde auch klar, dass er nicht nur der kluge und geschickte Lenker der Ost-West-Annäherung war, sondern dass offenbar auch Humor notwendig war, um die vertrakten Verhandlungen mit Moskau zu führen.

Hinter diesen Verhandlungen stand allerdings auch Brandt, der Freund. 1960, so erzählte Bahr, habe er sowohl ein Angebot von Henri Nannen, stellvertretender Chefredakteur vom „Stern“ zu werden, als auch von Brand auf den Tisch bekommen. „Ich wusste, sollte ich mich für die Stelle im West-Berliner Rathaus bei Bürgermeister Brandt entscheiden, dass ich dann nicht mehr sagen kann, was ich denke.“ Trotzdem sei er kurz darauf zum ersten Mal die Treppen zum Rathaus hinaufgelaufen und habe im Angesicht des Regierenden Bürgermeisters gedacht: „Was für eine Mimose.“

Kurz darauf waren sie Freunde. Bahr: „Nahe kommen konnten ihm nur diejenigen, die ihm nicht zu nahe traten.“ Doch die beiden Männer habe vor allem eines verbunden: der Wunsch nach einer Verbesserung der Lebensbedingungen für die Berliner. 1961, ein Jahr, nachdem Bahr die Leitung des Presseamtes im Rathaus übernommen hatte, zog SED-Chef Walter Ulbricht die Mauer in der geteilten Stadt hoch, schloss die West-Berliner endgültig ein.

Die Verbitterung, mit der Bahr 2013 im Ahrensburger Marstall auf die Frage Ursula Peppers „Wo war Adenauer?“ mit „In Bonn, wo sonst“ antwortete, lässt erahnen, wie energisch ihn und den Bürgermeister die Situation damals umtrieb. Sie veranlasste das Duo, den „Bauherr und seinen Architekten“, wie Bahr Brandt und sich nennt, das Grundlagenpapier zu entwerfen, das schließlich zu den Verhandlungen der Ostverträge führte. Und später zur grundlegenden Verbesserung des Verhältnisses zwischen dem Osten und dem Westen.

Während Bahr über die Verhandlungen spricht, lauschen fast alle Besucher im Ahrensburger Marstall andächtig – bis auf wenige Grüppchen, die nach etwa 70 Minuten gelebter Zeitgeschichte aus dem Saal huschen. Nach und nach und die Helfer im Marstall damit ziemlich auf Trab halten.

Die verbliebenen Zuhörer im Saal erfahren noch, dass Bahr die Linke „sehr interessant findet“, dass „Gregor Gysi ein intelligenter Mann mit viel Humor ist“ und dass er selbst, „im Alter immer linker geworden ist“. Außerdem, dass er nach fast zweieinhalb Stunden Interview gern noch Autogramme gibt – aber nur, wenn er dabei eine Zigarette rauchen darf. Und wie es sich für einen der letzten großen Männer der Politik gehört, darf er das ausnahmsweise, so wie auch Helmut Schmidt das Rauchen nicht verboten wird. Um 23 Uhr macht der ehemalige Chefunterhändler in Ahrensburg Feierabend und verschwindet in die Dunkelheit.

Das Buch „Das musst Du erzählen. Erinnerungen an Willy Brandt“ von Egon Bahr ist im Propyläen Verlag erschienen. Es kostet 19,99 Euro.