Julia Röhr hatte Probleme, in Ahrensburg einen Termin für ihren Sohn zu bekommen. In anderen Orten ist es ähnlich

Ahrensburg. Julia Röhr fühlt sich wohl in Ahrensburg. Aber aufgewachsen ist sie hier nicht – und als sie ihren Sohn Finn für die Vorsorgeuntersuchung U3 anmelden wollte, führte das zu einem Problem. „Bei beiden Kinderärzten in Ahrensburg hieß es, ich hätte mich während meiner Schwangerschaft anmelden müssen“, sagt sie. „Wenn ich in der Stadt aufgewachsen wäre, hätte ich vielleicht gewusst, dass das so ist. Aber ich dachte, solche Wartelisten gibt es nur für Kitaplätze.“

Die Praxis von Dr. Stefan Smidt-Begemann führt eine solche Liste. „Anders geht es nicht. Ich bin pro Woche 56 bis 60 Stunden beschäftigt und möchte mir für meine Patienten Zeit nehmen“, sagt der Ahrensburger Kinderarzt. „Neue Geschwister von Kindern aus meiner Praxis bekommen sofort einen Termin. Aber wer das erste Kind bekommt, muss sich derzeit noch auf diese Warteliste setzen lassen.“

16 Kinderärzte gibt es in Stormarn. „Das entspricht einem Versorgungsgrad von 139,7 Prozent“, sagt Marco Dethlefsen von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Schleswig-Holstein. Ab 110 Prozent gilt ein Gebiet als überversorgt. „In Stormarn gibt es drei Ärzte mehr, als es geben müsste“, sagt Dethlefsen.

Wie viele Mediziner einer Fachrichtung für wie viele Einwohner zuständig sind, legt der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (G-BA) mit der Bedarfsplanungs-Richtlinie fest. Der neue Plan gilt seit Anfang dieses Jahres. Nun errechnet sich die Quote für Kinderärzte nicht mehr an der Einwohnerzahl, sondern an der Zahl der unter 18-Jährigen.

Laut Bedarfsplan ist der Kreis Stormarn sogar deutlich überversorgt

In Stormarn wurde mit 41.089 Kindern und Jugendlichen gerechnet, das ist der Stand vom Dezember 2011. Zuvor lag die Versorgungsquote sogar bei 160 Prozent gegeben. Vor zwei Jahren hatte die Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn bei Kinderärzten nachgefragt, damals beklagten viele den hohen Druck und hofften, die Situation werde sich verbessern. Auch Marco Dethlefsen gestand ein, dass die demografische Entwicklung nicht berücksichtigt worden sei . Dies zeige sich nicht nur beim Mangel an Allgemeinmedizinern auf dem Land, sondern auch bei der kinderärztlichen Versorgung. Aber: „Mit der neuen Bedarfsplanung sind es nach wie vor 16 Kinderärzte im Kreis“, sagt Dethlefsen. Neue Niederlassungen wird es nicht geben. Was der Plan nicht regelt: „Die Ärzte dürfen sich im Versorgungsbereich niederlassen, wo sie wollen.“

Dehtleff Banthien aus Bad Oldesloe ist Vorsitzender des Landesverbands der Kinder- und Jugendärzte in Schleswig-Holstein. Er ist von der neuen Bedarfsplanung total enttäuscht: „Alles, worauf wir seit Jahren hingewiesen haben, wurde nicht berücksichtigt. Die Versorgung ist nicht in vollem Umfang gewährleistet. Wer in unsere Wartezimmer und Terminbücher schaut, sieht, wie die Situation ist: Alle Kollegen bemühen sich und arbeiten hart, aber wir müssten mehr sein.“

Die Ahrensburgerin Julia Röhr hatte sich für einen Arzt in Hamburg-Volksdorf entschieden. „Das ist gut zu erreichen, deshalb hab ich mich nicht weiter in Ahrensburg bemüht.“ Bis zu jenem Morgen im März, an dem sie Blut in Finns Windel entdeckte. „Als Erstlingsmama war ich sehr beunruhigt“, sagt sie. „Mein Mann war mit dem Auto unterwegs, deshalb hätte ich mit dem Kinderwagen Bahn und Bus fahren müssen. Am U-Bahnhof gibt es keinen Aufzug, und außerdem lag Schnee. Deshalb habe ich versucht, in Ahrensburg zum Kinderarzt zu gehen.“ Das Ergebnis: „Ich wurde abgewimmelt.“ Erst nach einer Diskussion habe eine Mitarbeiterin angeboten, Röhr könne am späten Nachmittag kommen. „Aber dafür war ein langes Hin- und Her nötig. Und das war nicht gerade freundlich.“

Sie ist dann doch nach Volksdorf gefahren. Finn hatte nichts Schlimmes. „Aber das konnte ich ja nicht wissen“, sagt Julia Röhr. Als eine andere Mutter dann erzählte, sie habe sofort einen Termin für eine Impfberatung bekommen, sei sie sauer geworden. „Da habe ich mich gefragt, ob Impfungen mehr Geld einbringen als Vorsorgeuntersuchungen.“ Nein, tun sie nicht, sagt Dehtleff Banthien. „Impfungen sind sehr schlecht bezahlt, eigentlich müssten Einfachimpfungen mindestens 15Euro kosten, wir bekommen aber nur die Hälfte dafür.“

Der Ahrensburger Kinderarzt Stefan Smidt-Begemann betont, dass im Akutfall niemand weggeschickt werde, etwa wenn jemand gerade umgezogen sei und noch keinen Arzt habe. „Aber wenn jemand sonst zu einem anderen Kinderarzt geht, soll er auch im Akutfall zu diesem gehen.“

In ganz dringenden Fällen, sagt auch der Reinbeker Kinderarzt Stephan Michele Eiselt, könnten Eltern sofort vorbeikommen. Für Vorsorgeuntersuchungen gebe es eine Wartezeit von ein bis zwei Monaten. „Außerdem gehen Patienten immer häufiger zum Arzt, auch wegen Nichtigkeiten. Und bei Eltern nimmt die soziale Kompetenz ab, das muss man ganz klar sagen. Sie sind stärker verunsichert als früher, heute ist es bei vielen nicht mehr so, dass sie Großeltern oder Eltern in der Nähe haben, die sie um Rat fragen können. Dass Stormarn überversorgt sein soll, kann ich nicht verstehen.“

Beim Reinfelder Kinderarzt Ingo Kirchholtes sind die Patientenzahlen relativ konstant. „Natürlich ist das saisonal verschieden, aber insgesamt gibt es keine größeren Probleme.“

Das ist aber offenbar die Ausnahme. „Das ist ein schweres Thema, weil das alles nicht hinhaut“, sagt eine Sprechstundenhilfe. Eine andere sagt, in ihrer Praxis habe niemand Zeit: „Wir machen derzeit Vertretung für andere Ärzte und haben ein Computerproblem, da sehen Sie schon, wie die Situation ist.“