Am Rande von Stormarns reichster Gemeinde leben neun Asylbewerber. Die in ihrer Heimat Verfolgten sollen hier eine bessere Unterkunft bekommen.

Großhansdorf. Wenn Hosam von seiner Heimat spricht, verändert sich sein Gesichtsausdruck - so, also würden Gewitterwolken vor einen eben noch strahlend blauen Himmel ziehen. Der noch sonst fröhliche 40-Jährige wird bekümmert und ernst, sehr, sehr ernst. "Assad" sagt er und schiebt seinen Stickpullover hoch. Drei Narben werden auf seiner Haut sichtbar. Einstichlöcher, entstanden durch Folter, wie er erzählt. In einem Gefängnis, in seiner Heimat.

Hosams Heimat ist Syrien - das von Präsident Baschar al Assad regierte Land ist seit zwei Jahren in einem blutigen Bürgerkrieg versunken, in dem nach UN-Schätzungen mehr als 90.000 Menschen ihr Leben verloren haben. Millionen sind auf der Flucht. Müsste man sich eine Gegenwelt zu dieser Region vorstellen, sie wäre vermutlich ruhig, grün und beschaulich. Wohlhabend wäre sie auch, vielleicht gäbe es einen See dort und Wanderwege.

Einen Ort, der genau so ist, gibt es: Es ist Großhansdorf. Eine der reichsten Gemeinden in einer der reichsten Regionen Europas - und der Ort, an dem Hosam jetzt lebt. Er ist einer von derzeit von neun Asylbewerbern, die in der Unterkunft am Rande der Gemeinde leben. Zwei Flachdach-Gebäude aus den 60er-Jahren sind es, sie liegen fast versteckt zwischen Bäumen und Feldern, in der Nähe einer Kleingartenanlage.

Die Gemeinde wollte die Gebäude Mitte der 2000er-Jahre schon abreißen lassen, als die Asylbewerberzahlen sanken und die sogenannten "Schlichtwohnungen" nutzlos zu werden schienen. Jetzt steigt die Zahl der Asylsuchenden wieder - und Großhansdorf investiert Geld in die Erneuerung der Unterkunft. 360.000 Euro sollen es sein, dafür wird ein neuer Bungalow gebaut und ein alter abgerissen. Bürgermeister Janhinnerk Voß findet die Investition richtig und sinnvoll, die letztlich "wegen der politischen Weltlage" erfolge, wie er es formuliert.

Das etwas zugewachsene Gelände wirkt an diesem Tag friedlich - und die politische Weltlage, von der der Bürgermeister spricht, ist an diesem Tag erfreulich weit weg. Hosam bringt seinem Gast einen Kaffee an den kleinen Gartentisch, der eine Spende des örtlichen Roten Kreuzes ist. Viel Zucker ist drin und stark ist er auch, "arabische Art", wie er sagt. Hosam erzählt, dass er seit sieben Monaten hier lebt, dass er zuerst über die türkische Grenze nach Griechenland geflüchtet ist, dann weiter in die Schweiz - Lore Grube vom DRK-Ortsverein, sie kümmert sich ehrenamtlich um die Asylbewerber, hilft ihm beim Finden der deutschen Worte. Von der Schweiz also ging es nach Deutschland, mit dem Zug. Hosams Mutter aber ist in der Türkei, sein Bruder ist in Syrien - doch immerhin ist er aus dem Gefängnis frei gekommen.

Ob er Kontakt zu seiner Familie habe? "Klein" sagt er und macht eine Geste mit Daumen und Zeigefinger. Sein größter Traum: Dass dieser Kontakt wieder größer wird. Und sein zweitgrößter: Dass er wieder in seinem Beruf arbeiten kann. Hosam ist Schiffsmechaniker, in anderen - friedlicheren - Zeiten hat er Länder wie Japan, Malaysia, gesehen. Jetzt muss er erst einmal besser Deutsch lernen, einen Anspruch auf Kurse hat er, als anerkannter Asylbewerber. Wie er sich eigentlich die Zeit vertreibe? "Essen, schlafen, essen, schlafen", sagt er, klopft er sich mit dem Finger gegen die Stirn und sagt "kaputt". Gemeint ist, so übersetzt es Lore Grube: Er macht sich Sorgen, den ganzen Tag, um die Heimat, die Familie. Eine Frau, Kinder, hat er nicht. Vielleicht besser so, denn dann wären die Sorgen wohl noch größer.

Dabei sollte er langsam endlich einmal auf andere Gedanken kommen. Das findet zumindest Lore Grube. Auch Shamin findet das. Er ist 38 Jahre alt, stammt aus Pakistan - und teilt sich mit Hosam ein Zimmer in der Unterkunft. Wenn die beiden scherzen, wird der andere, fröhliche Hosam wieder sichtbar.

Und den würde Shamin gerne einmal mit in die Disco nehmen. Nach Hamburg zum Beispiel. Shamin, der schon seit 2006 in Deutschland ist und die Sprache beherrscht, arbeitet dort, in einer Großbäckerei. Shamin steht jeden morgen um drei auf, um dann mit der Bahn in die Stadt zu fahren und zur Frühschicht anzutreten.

Was er in der Bäckerei macht? "Brötchen auf die Bleche legen, runter nehmen. Reinigung. Alles, was Arbeit ist." Über diese Arbeit ist Shamin sehr glücklich, er ist stolz, sein eigenes Geld zu verdienen, obwohl es wenig mit dem zu tun hat, was er einst an der Universität studiert hat: "Wirtschaft" hieß das Fach. In seinem jetzigen Job bekommt er acht Euro in der Stunde. Das würde reichen für eine kleine Wohnung oder ein kleines Zimmer. Das Problem: Er ist in Deutschland nur geduldet, seine Aufenthaltserlaubnis muss er einmal im Monat verlängern lassen. Wie er sagt, ist es schwierig, mit diesem Status eine Wohnung zu bekommen, es gebe bürokratische Hindernisse - "Deutschland sollte ein bisschen mehr Vertrauen in die Ausländer haben", sagt er.

Ansonsten lässt er auf seine neue Heimat wenig kommen. "Die Leute hier sind sehr nett. Auch die im Amt in Großhansdorf." Zufrieden ist er auch mit seinem Arbeitgeber. Freunde habe er dort gefunden, deutsche Freunde, die er gerne nach der Arbeit trifft. "Meine Kollegen fragen mich immer, warum ich so müde bin", sagt er.

Sein Tagesablauf ist so etwas wie das Gegenstück zu dem der anderem Anwohner der Unterkunft. Er ist wach, wenn sie schlafen - und sie schlafen, wenn er wach ist. Neben ihm und Hosam leben Fatme und Said, eine Mutter und ihr Sohn aus dem Iran. Sie sind seit 15 Monaten in Deutschland, geflohen wegen "religiöser Probleme", wie sie sagen. Nun teilen sich die beiden eine der "Schlichtwohnungen", die mit einem Sofa und Teppichen aus DRK-Beständen, einer kleinen Küche und einem Fernseher eine bescheidene Gemütlichkeit bietet.

Fatme, sie ist 50, war im Iran Friseurin, ihr größter Wunsch ist es, in Deutschland "Arbeit" zu finden, wie sie sagt. Said, er ist 27, würde gerne Sport machen, Fußball zum Beispiel - er ist Fan von Borussia Dortmund. Und er hätte gerne Kontakte zu den jungen Leuten in der Umgebung. Manchmal geht er in die Disco, in Ahrensburg, versucht mit den Leuten zu sprechen - doch mit wenig Erfolg. "Ich muss besser Deutsch lernen", sagt er, und meint damit den Schlüssel in das Leben, das er gerne hätte.

Immerhin: Im August beginnt für ihn und seine Mutter ein neuer Kursus an der Volkshochschule Ahrensburg. Lore Grube, die sich schon seit Jahren um Menschen in der Unterkunft kümmert, hat die beiden angemeldet. Die 76-Jährige gibt ihnen, wie allen anderen Bewohnern der Unterkunft, auch ehrenamtlich Unterricht. Zweimal in der Woche - die pensionierte Lehrerin geht dabei, so darf man es sich vorstellen, ebenso resolut wie herzlich zu Werke. "Deutschland ist gut, Lehrerin ist auch gut!", sagt Hosam und lacht.

Viel fällt ihm auf, viel, das anders in der Heimat ist. Beispielsweise dass Menschen in Cafés draußen sitzen. Dass sie freundlich "Hallo" zu Menschen sagen, die sie nicht kennen. So täten es zum Beispiel die Kleingärtner von nebenan. Dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich nicht so groß seien wie zu Hause. Doch bis er nicht mehr so viel an zu Hause denkt, braucht es wohl noch eine Menge Zeit - bis Said Freunde in Großhansdorf hat und bis Shamin eine eigene Wohnung beziehen kann, wohl auch.