Kaplan quittiert seinen Dienst in der katholischen Gemeinde Ahrensburg der Liebe wegen und sorgt für Aufsehen. Das Abendblatt nimmt die Debatte zum Anlass, mit Hans Janßen und Michael Grodecki zu sprechen. Der eine ist verheirateter Priester und Vater von vier Kindern, der andere der Vorgesetzte der Geistlichen. Ein Interview von Martina Tabel und Edgar S. Hasse

Wir treffen uns im Büro von Priester Michael Grodecki in Ahrensburg. Priester Hans Janßen ist aus Bad Oldesloe angereist. Es herrscht eine offene, entspannte Atmosphäre. Die Geistlichen erinnern sich freundlich an Nils Schellhaas, der zur Zeit verreist ist. Sein Weggang hat Irritation ausgelöst, ist aber auch auf Zustimmung gestoßen.

Hamburger Abendblatt: Sie waren der direkte Vorgesetzte von Nils Schellhaus. Jetzt hat er der Liebe wegen die Gemeinde verlassen. Wie schätzen sie den Fall ein?

Michael Grodecki: Er zeigt vor allem, dass man eine Lebensentscheidung treffen kann, die in der katholischen Kirche akzeptiert wird. Ich selbst bin seit 30 Jahren Priester, habe es noch keinen Tag bereut und würde nie eine andere Entscheidung treffen.

Hans Janßen: Wir sind zusammen geweiht worden. Ich bin traurig, dass Nils Schellhaas geht und war überrascht von der Beurlaubung. Wir haben zwar vor längerer Zeit über den Zölibat gesprochen, aber nicht in diesem konkreten Zusammenhang.

Das Thema hat eine persönliche Bedeutung für Sie. Auch sie sind zur katholischen Kirche konvertiert - als verheirateter Vater von vier Kindern, und durften trotzdem Priester werden.

Janßen: Es gibt die Möglichkeit einer Dispens vom Zölibat und damit die Zulassung zur Priesterweihe. Vorausgesetzt, der Bewerber ist nicht geschieden und die Ehe wurde kirchlich geschlossen. Allerdings gilt die Zölibatspflicht, sollte die Ehefrau sterben.

Warum die Ungleichbehandlung?

Janßen: Sie erklärt sich aus den ungleichen Voraussetzungen, die auch in diesem Fall vorliegen. Dabei finde ich es bemerkenswert, dass die katholische Kirche sowohl die Ordination evangelischer Geistlicher, als auch die Sakramentalität einer in der Evangelischen Kirche geschlossenen Ehe so schwer gewichtet, dass sie beides als irreversible Wirklichkeiten ernst nimmt und damit auch die Unverfügbarkeit von Berufungswegen. Hinsichtlich der Ökumene ist das viel mehr, als manch einer der katholischen Kirche zutraut.

Was sagt ihre Frau dazu? Janßen: Wir haben natürlich lange vor meiner Entscheidung darüber geredet. Aber offen gesagt, das Priesteramt ist für die Ehefrau eine ziemliche Zumutung. Ich habe mich auch oft gefragt, wie es für unsere Kinder gewesen wäre, wenn ich früher konvertiert wäre. Ich kann mir das nicht vorstellen.

Wenn Sie jünger wären, würden sie noch einmal so entscheiden?

Janßen: Eine spannende Frage. Ich kann sie nicht beantworten. Mit 14 wäre es für mich undenkbar gewesen, Pastor zu werden. Als Pastor war es für mich zunächst undenkbar, katholischer Priester zu werden. Es wird von Brüchen in der Vita von Nils Schellhaas gesprochen. Kann man das so sagen? Es ist eine Wegführung, eine Entwicklung und nicht zuletzt eine Berufung.

Aber warum der Zölibat?

Grodecki: Man kann man den Zölibat nicht losgelöst sehen von der Aufgabe als Priester. Es geht darum, in der tiefen Hinwendung zu Christus sein Leben auszurichten und damit für die Menschen frei zu werden. Das ist eine große Chance und eine Möglichkeit der persönlichen Erfüllung. Auch das Leben in der Ehe ist eine Berufung. Man darf das nicht gegeneinander ausspielen, natürlich kann man auch als Ehemann, als Ehepaar Christus nachfolgen. Aber in einer anderen Dimension.

Macht der Zölibat nicht einsam?

Grodecki: Nein. Zölibat zu leben, bedeutet nicht Einsiedler zu sein. Im Gegenteil. Jemand, der diese Lebensform wählt, muss kontaktfreudig sein, sonst geht es gar nicht. Ich habe einen Freundeskreis und ganz viele Beziehungen zu Menschen. Das ergibt sich schon aus dem lebendigen Gemeindeleben.

Janßen:

Es macht mich nachdenklich, dass der Fokus immer so stark auf dem Zölibat liegt. Wir erleben ja auch in der Gesellschaft hinsichtlich der Ehe Umbrüche und Verunsicherungen. Es ist doch schon merkwürdig, dass unser Bundespräsident mit einer anderen Frau zusammenlebt, als mit der er verheiratet ist. Ich wundere mich auch über Menschen, die eine Abschaffung des Zölibats fordern, aber nicht in gleicher Intensität für die Ehe eintreten.

Ich denke, die heftige Reaktion hat mit einer allgemeinen Verunsicherung unserer Lebensformen zu tun. Deshalb ist der Zölibat auch eine Provokation. Wir leben in einer Zeit, in der man sich möglichst viele Optionen offenhalten will. Der Zölibat ist das Gegenteil. Wenn jemand das Priesteramt wegen des Zölibats aufgibt, interessiert das die Menschen. Vielleicht in der Hoffnung, allgemeine Antworten zu finden.

Aber warum kann der Zölibat nicht ein Akt der Freiwilligkeit sein?

Grodecki: Ob man den Zölibat zwingend an das Amt binden muss, wird heute ja schon offen besprochen. Es wäre durchaus denkbar, dass man das aufhebt.

Aber das wäre doch eine Revolution.

Grodecki: Es würde sich vieles ändern.

In welchem Zeitraum könnte eine solche Veränderung erfolgen?

Grodecki: Es ist müßig, darüber nachzudenken. Zurzeit gilt der Status quo. Wer sich zum Priester weihen lässt, kann an der Frage nicht vorbei. Und wie gesagt: Der Zölibat ist auch eine Provokation. Zum Christentum gehört auch, dass es eine Spitze hat. Und die sollte man nicht abbrechen.

Wir erleben Sie den Zölibat?

Grodecki: Als etwas Wunderbares, etwas Befreiendes. Der Zölibat als geistlicher Weg, den es in der Kirche immer schon gegeben hat, ist eine sinnvolle Sache.

Die katholische Kirche ist von Priestermangel geprägt. Wäre eine Lockerung des Zölibats nicht eine Möglichkeit, dem abzuhelfen?

Grodecki: Man darf nicht vergessen, dass diese Entscheidung keine lokale, sondern eine weltkirchliche Angelegenheit ist. Von daher muss man klug abwägen, was das mit der Kirche macht, wenn etwas in der einen Region möglich ist, in der anderen aber nicht. Das würde eine Spaltung des Amtes bedeuten. Ich denke, der Heilige Geist wird uns zeigen, wo es lang geht.

Schadet der Zölibat dem Ansehen der katholischen Kirche?

Janßen: Wir haben, wie gesagt, eine starke Verunsicherung in der Gesellschaft, was das Zusammenleben betrifft - nicht nur in der Kirche. Die Baustelle ist an einer ganz anderen Stelle: Es geht um eine geistliche Vertiefung für die gesamte Gemeinde. Das ist also nicht nur eine Frage der Priester. Außerdem: In Krisensituationen sollte man sowohl privat als auch in der Kirche keine weitreichenden Entscheidungen treffen.

Grodecki: Wir dürfen die Frage nicht nur von der profanen Seite betrachten. Kirche ist eine Weggemeinschaft auf Christus hin. Nur vor diesem Hintergrund kann man da herangehen. Der Priestermangel ist nicht das Problem, für das man den Zölibat aufgeben muss. Sondern, um mit Martin Luther zu sprechen: "Wir müssen sehen, was "Christum treibet".

Zurück zum Weggang des Kaplans. Wie sind die Reaktionen?

Grodecki: Es gab Zustimmung, aber auch Trauer. Er war ein Mann, der die Menschen durchaus begeisterte. Es war schön, ihn predigen zu hören und mit ihm die Messe zu feiern. Wir haben ihm alle das Glück des Anfangs gegönnt.

Umso größer die Enttäuschung?

Grodecki: Bei einigen schon. Es ist für eine Gemeinde nicht einfach zu sehen, wenn ein Geistlicher geht.

Hat die Gemeinde gewusst, dass Nils Schellhaas eine Freundin hat?

Grodecki: Die Bekanntgabe war mit dem Erzbischof abgesprochen worden. Und dann hat er es in den Messen mitgeteilt.

Das ist ungewöhnlich.

Grodecki: Es ist ein guter Weg, dass man offen damit umgeht. Da merken Sie, dass sich Kirche auch wandelt.

Der öffentliche Eindruck ist: Der Zölibat wird oft gebrochen. Die Doppelmoral.

Grodecki: Das gibt es durchaus. Aber dass einige Priester den Zölibat nicht leben können, macht die Sache an sich nicht schlecht.

Ist die katholische Kirche in der Krise?

Janßen: Wenn Krisen Chancen sind, sind Krisen Entscheidungszeiten. Die nötige Entscheidung ist eine gefragte Mündigkeit. Darin sehe ich eine große Herausforderung und Möglichkeiten.

Der sexuelle Missbrauch hat der katholischen Kirche geschadet. Viele stellen einen Zusammenhang zum Zölibat her.

Janßen: Wissenschaftliche Untersuchungen besagen, dass es diesen Zusammenhang nicht gibt. Aber sexueller Missbrauch ist ein sehr ernstes Thema. Ich bin froh darüber, dass die katholische Kirche Präventionsschulungen und weitere Forschungen durchführt.

Wie geht es nun mit dem ehemaligen Kaplan Nils Schellhaas weiter?

Grodecki: Das muss er für sich selbst klären. Die Kirche hilft ihm noch finanziell, damit er nicht in ein Loch fällt. Ich hoffe, dass er bald eine Arbeit findet, von der er leben kann.

Könnte er denn weiter in der Kirche arbeiten, im Büro beispielsweise?

Grodecki: Das wäre möglich. Nur Priester darf er nicht mehr sein.

Das heißt: Die katholische Kirche macht die Türen nicht zu?

Grodecki: Die Kirche schlägt keine Türen zu, wir machen sie auf. Und wir wünschen Nils Schellhaas, dass er auf dem Weg, den er jetzt eingeschlagen hat, das Glück findet.