Die Kommission zu den Ahrensburger Missbrauchsfällen kritisiert das anfängliche Taktieren, lobt aber auch die aktuelle Aufarbeitung. Bischöfin Fehrs nimmt Kritik an.

Ahrensburg. Die evangelische Nordkirche hat in der Anfangszeit bei der Aufarbeitung der Ahrensburger Missbrauchsfälle Fehler gemacht. Außerdem haben interne Strukturen dazu beigetragen, dass die Fälle aus den 70er- und 80er-Jahren erst im Mai 2010 bekannt wurden. Mittlerweile habe die Kirche aber aus den Fehlern gelernt. Das sind erste Erkenntnisse einer unabhängigen Expertenkommission, die die Kirche im September 2012 berufen hatte. Das Gremium legte jetzt im Ökumenischen Forum in der Hamburger HafenCity ein Zwischenergebnis vor. Die Kommission hat in den vergangenen Monaten sechs Betroffene sowie Zeitzeugen, Seelsorger und Kirchenmitarbeiter interviewt. Weitere Gespräche sollen folgen.

Dirk Bange, Erziehungswissenschaftler und Mitglied der Kommission, fand klare Worte für das Verhalten der Kirche ab Mai 2010. Damals war bekannt geworden, dass sich der Ahrensburger Pastor Dieter K., der im Kirchsaal Hagen tätig war und mittlerweile aus dem Dienst ausgeschieden ist, sexuell an Jugendlichen vergangen hatte. "Die Öffentlichkeitsarbeit war zögernd, taktierend und dazu geeignet, den Ruf der Kirche sauber zu halten", sagte Bange, der ein Experte für das Thema Missbrauch und Prävention ist. "In den Jahren 2010, 2011 hat sich die Kirche richtig schwer getan. Diese Zeit war unstrukturiert und von Abwehr gekennzeichnet", so Bange weiter.

Kirsten Fehrs, Bischöfin für den Sprengel Hamburg und Lübeck, nahm diese Kritik an: "Es gibt den unbewussten Reflex des Nicht-Wahrhaben-Wollens, mit dem man die Betroffenen abwehrt." Mittlerweile sei der Kirche klar geworden, dass sie den "schonungslosen Blick von außen" brauche.

Bange und Fehrs betonten, dass die seelsorgerische Schweigepflicht, der Pastoren unterliegen, dazu beigetragen habe, dass die Fälle so lange geheim blieben. "Die Schweigepflicht wurde insofern missverstanden, als nichts getan wurde", sagte Fehrs. Die Kommission habe eine "Grauzone" zwischen dieser Schweigepflicht und der Pflicht, gegebenenfalls dritten Personen zu helfen, aufgedeckt. Außerdem sei die kircheninterne Dokumentation solcher Fälle bisher mangelhaft gewesen - das betonte Dirk Bange.

Wie will die Kirche aus den Fällen lernen? "Wer von Missbrauch erfährt, muss klären, ob er nicht aktiv werden kann", sagte Kirsten Fehrs. Sie erhofft sich von der Kommission auch weitergehende Hinweise darauf, wie man das Thema Schweigepflicht auf Möglichkeiten überprüft, dass nicht den Tätern in die Hände gespielt wird. Außerdem hat die Kirche bereits ein Bündel von Maßnahmen eingeleitet. So habe die Nordkirche sogenannte "Fallkonferenzen" bei Verdachtsfällen sexuellen Missbrauchs eingerichtet.

Eine weitere wichtige Neuerung: Es wird jetzt immer ein externer Experte dazugeholt, wie Ulrike Murmann sagte, Hauptpastorin und Pröpstin im Kirchenkreis Hamburg-Ost. Die Nordkirche arbeite an einem Präventionskonzept, das auf einer Synode am 25. September vorgestellt werden soll. Die Kirche hat außerdem eine neue Stelle für eine Präventionsbeauftragte geschaffen, die Alke Arns, studierte Psychologin und Kriminologin, seit April besetzt. "Mein Ziel ist es, Fälle zu sammeln, damit ein struktureller Ausbau der Präventionsarbeit passieren kann. Mitarbeiter der Kirche, aber auch Opfer von sexueller Gewalt können sich jederzeit bei mir melden", so Arns. Das sei etwa per E-Mail an alke.arns@praevention.nordkirche.de möglich.

Kommissionsmitglied Anselm Kohn, Stiefsohn von Pastor K. und Vorsitzender des Vereins Missbrauch in Ahrensburg, lobte die Anstrengungen der Kirche. Diese mache "mutige Schritte vorwärts, ist auf einem sehr, sehr guten Weg". Das Thema Entschädigungen müsse aber noch geklärt werden. Dirk Bange fand ebenfalls positive Worte, betonte aber auch, dass es in Sachen Aufarbeitung noch "Luft nach oben" gebe.

Laut Bange gibt es jetzt nähere Erkenntnisse, wie es zu dem Missbrauch kommen konnte. In der damaligen kirchlichen Jugendarbeit sei "sexuelle Libertinage gepredigt" worden, auf Jugendfreizeiten sei regelrecht "gesoffen" worden. Das habe die "Abwehrkräfte der Kinder geschwächt". Die Täter hätten die "Maske der Fortschrittlichkeit und Liberalität" genutzt, um sich an Kindern zu vergehen. Bange geht davon aus, dass es eine Reihe von erwachsenen Mitwissern gab. "Es gibt Hinweise, dass das nicht unbekannt war", sagt er. Weitere Interviews in Ahrensburg und Umgebung sollen in dieser wichtigen Frage Licht uns Dunkel bringen.