Vor sieben Jahren bricht die damals 23-Jährige unvermittelt den Kontakt zur Familie ab. Der Vater fürchtet, dass die junge Frau in die Fänge einer Sekte geraten sei.

Wesenberg. Über ihre jüngste Tochter zu sprechen, fällt Marianne Hoffmann schwer. Ihre Stimme zittert. Leicht, aber doch immer wieder merklich. Ganz selten vor Wut, aber immer vor Sorge, vor Verzweiflung und Hilflosigkeit. Vor sieben Jahren haben Marianne und Paul Hoffmann den Kontakt zu Karina (Name geändert) verloren.

Ihre Tochter ist damals 23 Jahre alt und lebt in Göttingen. Dorthin ist sie mit ihrem Freund gezogen, um zu studieren. Zu Beginn scheint alles in Ordnung. Doch dann trennt sich das junge Paar, und Karina lernte einen neuen Mann kennen. Schnell zieht er - nennen wir ihn Martin - bei ihr ein. "Das war schon alles ein wenig komisch", sagt Paul Hoffmann heute.

Später lernen die Eltern den jungen Mann in Göttingen kennen. Martin weicht nie von Karinas Seite. Was ihnen zuerst wie ein frisch verliebtes Paar erscheint, empfinden Marianne und Paul Hoffmann bald als befremdlich. "Wir kamen nicht richtig an sie ran", erinnert sich Marianne Hoffmann. "Es wirkte, als habe sie keinen Freiraum gehabt."

Die wirklichen Sorgen jedoch beginnen Weihnachten 2005. Karina kommt allein nach Wesenberg, obwohl auch Martin eingeladen ist. "Sie war in einem schlimmen Zustand", sagt Paul Hoffmann. Ein Arm sei gebrochen gewesen. Außerdem habe sie unvermittelt einen Weinkrampf bekommen, habe abwesend, fast wie benebelt auf sie gewirkt. "So kannten wir unsere Tochter nicht", sagt die Mutter heute.

Nach den Feiertagen Ende 2005 gibt es noch sporadisch telefonischen Kontakt. Doch aus Sicht der Eltern verändert sich die junge Frau immer mehr. "Sie sprach irgendwann wie ein Kind", erzählt Marianne Hoffmann. "Als ich sie am Telefon darauf ansprach und fragte, was eigentlich mit ihr los sei, wurde sie sehr wütend und legte auf." Es war das letzte Mal, dass Marianne Hoffmann mit ihrer Tochter sprach.

Bis 2006 hält Karina noch Kontakt zu ihrer Großmutter, doch seit sie sich auch dort nicht wieder meldet, erhält die Familie kein echtes Lebenszeichen mehr von ihr. "An manchen Tagen habe ich Angst, dass sie gar nicht mehr lebt", sagt Vater Paul Hoffmann.

Die Eltern haben sich viele Gedanken darüber gemacht, was die Veränderungen bei ihrer Tochter ausgelöst haben könnte. Ein Verdacht liegt für die Hoffmanns besonders nah: Ihre Tochter sei in die Fänge einer Sekte geraten. Das, was er über die Methoden einer der bekanntesten Sekten gelesen habe, passe genau zum Verhalten von Karina, sagt Paul Hoffmann. Die Eltern haben deshalb Sorge, dass Karina nicht freiwillig den Kontakt zu ihnen abgebrochen, sondern dass ihr Freund sie zum Kappen aller Verbindungen gezwungen habe. Dazu passt aus Sicht der Eltern, was sie seit dem Jahr 2007 erlebt haben.

Damals ist ein finanziell schwieriges Jahr gewesen, erzählt Mutter Marianne Hoffmann. Die Hoffmanns sind selbstständig, sie als Immobilienmaklerin er als Bauunternehmer. Deshalb und weil damals noch die Verärgerung über das Verhalten ihrer Tochter überwiegt, kürzen sie ihr den Unterhalt. "Dann kam plötzlich Post vom Anwalt", sagt Marianne Hoffmann. "Das war ein Schock. Unser eigenes Kind wollte uns verklagen." Das Ehepaar zahlt sofort wieder den ursprünglichen Betrag - auch wenn sie das finanziell sehr belastet. "Wir wollten die gerichtliche Auseinandersetzung vermeiden", sagt die Mutter. Dass das richtig war, bezweifelt sie heute. "Dann hätte ich mein Kind wenigstens noch einmal gesehen."

Immer wieder versucht Marianne Hoffmann, Kontakt zu Karina aufzunehmen. Mehrmals fährt sie nach Göttingen. Doch nie öffnet ihr jemand.

Als die Hoffmanns über eine ehemalige Nachbarin erfahren, dass Karina inzwischen nach Berlin gezogen sein soll, fahren sie auch in die Hauptstadt.

Erst nach mehreren Anläufen traut sich die Mutter, mit einer Freundin an der Tür zu klingeln. Diesmal öffnet jemand - Martin. Doch als er Marianne Hoffmann erkennt, so schildert sie es, wird er leichenblass und schlägt ihr wortlos die Tür vor der Nase zu. Von Karina keine Spur. Ein Nachbar, den die Mutter im Treppenhaus anspricht, vergrößert die Sorge: Er habe ihr gesagt, dass er in der Wohnung noch nie eine junge Frau gesehen und Karina auf einem Foto auch nicht erkannt habe, berichtet Marianne Hoffmann. Getrieben von der Sorge um die Tochter fährt Marianne Hoffmann in Berlin zur Polizei.

Als die Beamten ihre Geschichte aufnehmen wollen, stellt sich heraus, dass an der Adresse der Tochter gerade ein Polizeieinsatz läuft. Offenbar habe Martin die Polizei angerufen, erzählt Marianne Hoffmann. Die Beamten hätten sie dann mit dem Vorwurf konfrontiert, es gebe eine einstweilige Verfügung gegen sie. Sie dürfte sich ihrer Tochter nicht nähern. Der Besuch in Berlin werde rechtliche Konsequenzen haben, sollen die Polizisten ihr angedroht haben. Das war im Dezember vergangenen Jahres. Passiert sei nichts. Es habe sich herausgestellt, dass es die einstweilige Verfügung nie gegeben habe, sagen die Eltern.

Immerhin bringt die Episode eine Erkenntnis: Polizisten geben an, Karinas Personalien kontrolliert zu haben. Ein Zweifel jedoch nagt an Mutter Marianne. Ein Polizist habe ihr erklärt, dass sich die Frau im Vergleich zum Ausweisfoto verändert habe.

Ist die Frau mit dem Ausweis tatsächlich Karina? Wenn ja, was hat sie veranlasst, den Kontakt zur Familie abzubrechen? Die Eltern wissen es nicht. Licht ins Dunkel könnte nur Karina selbst bringen. "Wir wollen doch nur wissen, ob es unserer Tochter gut geht", sagt Mutter Marianne Hoffmann. Wenn sie ihnen persönlich ins Gesicht sagen würde, dass sie keinen weiteren Kontakt mit ihnen wünsche, müssten sie damit leben, sagen die Eltern. Mit der Ungewissheit leben können sie nicht.