Größere Gegensätze kann es kaum geben.

Jeden Tag kommen Meldungen, die den Abgesang der Kirche verkünden. Gemeindehäuser werden aus Finanznot abgerissen. Gotteshäuser werden entwidmet. Und trotzdem gibt es so etwas wie einen Run auf kirchliche Großereignisse. Der Papst kann kaum einen Fuß ohne roten Schuh vor den anderen setzen, ohne dass alles genauestens verfolgt wird. Und die evangelische Kirche lädt zum Kirchentag nach Hamburg ein, und 300.000 Menschen machen sich auf den Weg. Auch Stormarner, die leidvolle Erfahrungen mit Kirche gemacht haben, sind voller Begeisterung dabei. Was steckt dahinter?

Es ist die Suche nach Gemeinschaft. Die Suche nach dem (verlorenem?) Glauben. Aber auch die Suche nach Gerechtigkeit, nach Chancengleichheit, nach ökologisch vernünftigem Umgang mit der Schöpfung und nach dem Sinn im alltäglichen Irrsinn moderner Industriegesellschaften. Die Veranstaltungen des Kirchentages decken alle diese Themen ab. Auch den Missbrauch. Gepaart mit der Chance, kreativ sein, über Dinge kritisch sprechen und mit anderen nach Lösungen suchen und trotzdem Spaß haben zu können, macht das in der Tat Sinn. Dann ist der Kirchentag keine Flucht in eine andere Welt. Dann ist es der Versuch, Verantwortung zu übernehmen. Wenn Kirche diese Offenheit und Lebendigkeit zulässt, nicht nur an fünf tollen Tagen, wird sie ihre Krise überstehen. Und zwar nur dann.