Die Damen von der Barsbütteler Tafel haben dem Mann, dessen Rente zum Leben nicht ausreicht, den Weg zum erfolgreichen Eingriff geebnet.

Barsbüttel. "Jetzt kann ich sogar die Köhlbrandbrücke sehen", sagt Horst Schultz. Wir stehen auf seinem Balkon, im sechsten Stock eines Barsbütteler Mietshauses. Ich suche den Horizont ab. Köhlbrandbrücke? "Dahinten", sagt Schultz. Tatsächlich: Nur mit Mühe zu erkennen, heben sich in weiter Ferne die beiden Pylone gegen das Blau des Herbsthimmels ab. "Ich sehe sie auch ohne Brille", sagt der 84-Jährige - und macht mich, den glatte 35 Jahre jüngeren Berichterstatter, der ohne Sehhilfe auf dem Balkon nicht einmal einen Elefanten erkennen würde, endgültig zum Blindfisch.

Es ist meine zweite Begegnung mit Horst Schultz. Im März hatte mir der Kaufmann, der seit 20 Jahren im Ruhestand ist, erzählt, wie es ist, wenn die Rente zum Leben nicht reicht. Wenn man trotz zusätzlicher Unterstützung vom Staat, "Grundsicherung" genannt, mit 250 Euro im Monat auskommen muss. Mutig war das. Alle wissen, dass es Altersarmut gibt -aber wer sie spürt, schweigt zumeist.

Horst Schultz hat geredet - und freut sich noch heute über die Folgen, den der Zeitungsartikel für ihn gehabt hat. Die wichtigste: Er hat sich am Grauen Star operieren lassen. "Für mich ist das ein Riesengeschenk", sagt er. "Ich habe noch nie so gut sehen können wie jetzt."

Vor der Augenoperation hatte er sich gefürchtet - besonders vor dem damit verbundenen Fixieren. "Als Soldat war ich mal verschüttet", sagt er. "Ich habe Angst davor, irgendwo festgebunden oder festgeschnallt zu sein." Außerdem, so hatte er im März erzählt, müsste er sich nach der OP eine neue Brille kaufen. Aber woher das Geld nehmen? Und wenn der Eingriff seine Sehkraft gar nicht verbessere? Dann sei die ganze Sache ja pure Geldverschwendung gewesen.

Diese Gedanken eines 84-Jährigen, der jeden Euro umdrehen muss, waren am 30. März in dieser Zeitung zu lesen. Schon am selben Tag meldeten sich Helfer in der Redaktion, schon am selben Tag fand Schultz einen Brief in seinem Postkasten. Eine Dame von der Barsbütteler Tafel hatte ihm per Hand geschrieben, sehr einfühlsam geschrieben - spürbar vom Wunsch angetrieben, helfen zu wollen, aber dennoch zurückhaltend.

Seitdem hat Schultz zur Barsbütteler Tafel, die er schon zuvor kannte, eine besondere Beziehung. "Die Damen haben dafür gesorgt, dass ich nicht zur Ruhe komme", sagt er schmunzelnd. Immer wieder hätten sie ihn gefragt, wie es mit der Operation sei. Sie erzählten ihm von einer Brillenversicherung, die 50 Euro im Jahr koste, aber dafür die neue Brille komplett bezahle. Und sie erwähnten die Parkklinik Manhagen in Großhansdorf, die Star-Patienten operiert.

"Da konnte ich mich dann nicht mehr weigern. Ich habe mich geschämt gegenüber den Damen, dass ich so ängstlich war", sagt Schultz. Im Juli wurde das eine Auge operiert, im August das andere. "Es war unglaublich", erzählt der Barsbütteler. "Ich konnte plötzlich wieder Farben sehen. Vorher hatte ich ja einen Gelbschleier, das war ja alles nur wie Erbsensuppe. Das war mir gar nicht mehr aufgefallen."

Nun sind die Folgen der Operation fast überwunden. Eine Rentenerhöhung hat er mittlerweile auch bekommen. Seine finanzielle Situation hat das allerdings nicht verbessert. Der Zuwachs bei der Rente wird von der Verminderung der vom Staat dazugelegten Grundsicherung aufgefressen. Deshalb überlegt Schultz schon, wie lange er die Brillenversicherung bezahlen kann. "Im nächsten Jahr will ich auf jeden Fall noch versuchen, sie zu behalten", sagt er. "Wenn mir die Brille mal runterfällt, kriege ich gleich Ersatz."

Über eine zweite große Veränderung, die sein Leben zuletzt erfahren hat, spricht Schultz nicht gern. Seine "Weggefährtin" - die Frau, mit der er 36 Jahre verbunden war - ist unlängst gestorben. Fotos von ihr und ihren Kindern aus erster Ehe, mit denen er engen Kontakt hält, schmücken die Schrankwand in seinem kleinen Wohnzimmer.

Neulich, am Telefon, hat Horst Schultz knapp gesagt: "Das ist schwer, so ein Verlust." Aber heute kommt ihm nichts über die Lippen, was einer Klage auch nur ähneln könnte. Lieber freut er sich über die Tafel, die den Zivi zum Nachschauen schickt, wenn Schultz donnerstags bei der Ausgabe der Lebensmittel doch mal fehlt. Lieber freut er sich über seine Sehkraft. "Das ist toll", sagt er. "Wenn es mehr als 100 Prozent gäbe, würde ich sagen: Das sind mehr als 100 Prozent."